Der Kritische Agrarbericht 2012
Am 19.01. erschien der vom AgrarBündnis e.V. herausgegebene Kritische Agrarbericht 2012. Wir wollen im Folgenden einen kurzen Überblick über einige der wichtigsten Inhalte und Forderungen des Berichts geben und mit einem eigenen Ausblick schließen.
Bereits zum jetzigen Zeitpunkt existieren in Deutschland rund 80 Mio. Mastplätze für Hähnchen. Eine erschreckende Zahl, die noch viel größer werden soll, denn obwohl hierzulande schon mehr Geflügelfleisch »produziert« als gegessen wird, sind derzeit Stallbauten für bis zu 36 Mio. weitere Hähnchen entweder in Planung oder bereits im Bau. Der Agrarbericht spricht in diesem Zusammenhang von einer rollenden »Überproduktionswelle« und fordert u. a., Mastanlagen mit einer Zahl von über 30.000 Hähnchen nicht mehr zu genehmigen, bestehende Großanlagen zu verkleinern und »artgerecht« umzubauen sowie Investitionen für Großschlachthöfe, Agrarfabriken und Überschussprodukte abzuschaffen.
Deutliche Kritik an industriellen Großanlagen wird auch hinsichtlich des in den letzten Monaten vieldiskutierten Aspekts des Antibiotikamissbrauchs geäußert: Ein agrarindustrielles System, in dem »nur auf der Grundlage von regelmäßigem Antibiotikaeinsatz (betriebs-)wirtschaftlich« produziert werden könne, müsse überwunden werden. Die Alternative sei klar: »Die bäuerlich-ökologische, nachhaltige, regional orientierte Produktionsweise mit hohen Tierschutzstandards, die deutlich geringere externe Kosten* verursacht.« Dem Bericht zufolge ist ein Systemwechsel aber nicht nur aus Kosten- und Tierschutzgründen dringend von Nöten, sondern auch aufgrund der direkten Gesundheitsgefahren für den Menschen, die aus dem hohen Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung nachweislich hervorgehen.
Mit einem eigenen Artikel über das Schnabelkürzen bei Geflügel gerät schließlich noch eine besonders tierquälerische Praxis ins Visier des Agrarberichts. Dabei wird dezidiert betont, dass das Schnabelkürzen gegen geltendes Tierschutzrecht verstößt und dass – v. a. mit Verweis auf unser konstruktives Papier zum Verzicht auf das Schnabelkürzen – längst schon realistische und umsetzbare Möglichkeiten bestehen, diese unsägliche Praxis auf schnellem Wege zu beenden.
Wie sieht die politische Zukunft aus?
Was die Aussicht auf politische Reformbemühungen betrifft, bleibt der Agrarbericht eher nüchtern. Hinsichtlich des vom EU-Agrarkommissar Dacian Cioloş im Oktober 2011 vorgelegten Vorschlags für eine grundlegende Reform der europäischen Agrarpolitik heißt es – wie auch schon von uns festgestellt – klar: »Mehr Tierschutz in den Ställen […] ist nicht in Sicht.« Und auch mit größeren Veränderungen im Bereich der Tiertransporte sei in absehbarer Zeit nicht zu rechnen, trotz so fortschrittlicher und für die öffentliche Wahrnehmung immens wichtiger Kampagnen wie der 8-hours-Kampagne. Auf nationaler Ebene könne vielleicht der im vergangenen Jahr vorgestellte Tierschutzplan Niedersachsens eine Art Vorreiterrolle einnehmen, wenngleich auch in Bezug auf seine inhaltlichen Defizite nachdrücklich Veränderungen eingefordert werden müssten. Inwieweit tatsächlich tiefgreifende Verbesserungen bei der angekündigten Veränderung des Tierschutzgesetzes vollzogen werden, bleibt – dem Tenor des Gesamtberichts zufolge – abzuwarten.
Wie lassen sich Veränderungen erfolgreich forcieren?
Um der politischen Behäbigkeit nicht nur hinsichtlich des Tierschutzes erfolgreich entgegentreten und positive Reformansätze gegen die »Profiteure des Systems« verteidigen zu können, schlägt der Agrarbericht den »Fachleuten aus der Agrarposition« und »dem breiten Bündnis besorgter Bürgerinnen und Bürger« als Handlungsmotto für die nächsten Monate »Zusammen arbeiten – für eine andere Landwirtschaft« vor. Einem solchem Motto, mit dem ein Ziel durch erhöhte Kommunikationsbereitschaft und durch machtvolle wie konstruktive Zusammenschlüsse erreicht werden soll, schließen wir uns grundsätzlich gerne an.
Aus der Sicht des Tierschutzes möchten wir jedoch abschließend noch einen weiteren, äußerst machtvollen Handlungsansatz hervorheben, der nicht nur entscheidend dazu beitragen kann, dem System der Massentierhaltung entgegenzuwirken, sondern der sich auch unabhängig von größeren Bündnissen durch jeden einzelnen Bürger in seiner Rolle als Verbraucher, Konsument und verantwortungsbewusstes Wesen verwirklichen lässt: Den auch schon vom späten Albert Schweitzer verfolgten Ansatz, »ganz dem Fleischkonsum [zu] entsagen und auch gegen ihn [zu] reden«. Wie der vorletzte Artikel des Kritischen Agrarberichts 2012 erfreulicherweise aufzeigt, stellt das Essen von Fleisch längst keine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit mehr dar. Die Zeit, um seinen eigenen Fleischkonsum zu hinterfragen und eine vegetarische / vegane Ernährungsweise zum Senken von Tierleid aktiv weiter zu verbreiten, erscheint daher wohl so günstig wie nie! Da ist unsere Selbst-Wenn-Broschüre offensichtlich genau zum richtigen Zeitpunkt erschienen, und fast 100.000 verteilte Exemplare innerhalb weniger Monate sprechen für sich.
* Externe Kosten sind Kosten, die nicht beim Verursacher, sondern bei der Allgemeinheit anfallen. Umweltschäden sind ein gutes Beispiel dafür: Großställe belasten die Umwelt, doch die Massentierhalter müssen die Schäden nicht beheben. Dafür müssen die Steuerzahler herhalten (oder häufiger: die Schäden werden gar nicht behoben).