Milchkühe
Rinder sind intelligente Tiere, die ihre Umgebung neugierig erforschen wollen. Sie laufen in freier Natur täglich mehrere Kilometer für die Nahrungsaufnahme und legen sich zwischendurch nieder, um wiederzukäuen. Rinder sind sehr soziale Tiere. Unter naturnahen Bedingungen bilden sie Familienverbände, die aus Muttertieren (Kühen) und ihrem Nachwuchs bestehen. Erwachsene männliche Tiere (Bullen) schließen sich ihrerseits zu Herden zusammen. In den Gruppen herrschen klare Verhaltensregeln: So ist etwa die Distanz der Tiere zueinander durch deren Status in der Herde geregelt.
Die Bindung zwischen der Mutterkuh und ihrem Kalb ist besonders stark. Sie pflegt es intensiv, schützt es vor Gefahren und ernährt es mit ihrer Milch. Die enge Mutter-Kind-Bindung bricht nie ganz ab. In konventioneller Tierhaltung werden Mutter und Kalb kurz nach der Geburt getrennt und ihnen jeglicher Kontakt zueinander verwehrt.
»Milchkühe« in Intensivtierhaltung
Aktuell leben in Deutschland knapp 11,6 Mio. Rinder. Darunter sind rund 4,0 Mio. Kühe für die Milchproduktion (Stand 2019). 2018 »produzierten« die deutschen Kühe schätzungsweise 33,1 Millionen Tonnen Milch – fast ein Viertel der Gesamtmenge in der EU. Für die Haltung von Rindern gibt es hierzulande immer noch keine besonderen gesetzlichen Regelungen außer den allgemeinen Bestimmungen der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung und des Tierschutzgesetzes. Lediglich für die Haltung von Kälbern gelten spezielle Anforderungen.
Laufstallhaltung
In Deutschland lebt ein Großteil der »Milchkühe« in der Laufstallhaltung. 87 % der Haltungsplätze gehören zu dieser Haltungsform (Stand 2020). Ein Laufstall ist in Ess-, Liege- und Melkbereiche eingeteilt, dazwischen dienen sogenannte Verkehrsflächen oder Laufgänge der Fortbewegung. Auslaufflächen, die den Kühen durchgehend oder zumindest stundenweise zur Verfügung stehen, sind nicht immer vorhanden.
In der Stallmitte befindet sich der Futtergang. Um an das Futter zu gelangen, müssen die Kühe ihren Kopf durch Metallstangen (»Fressgitter«) stecken. Die Liegeboxen befinden sich nur wenige Schritte davon entfernt und sind mit Gummimatten oder Einstreu versehen. Metallbügel grenzen die Boxen zueinander ab, sodass sich die Kühe nicht quer hinlegen können. Weitere sogenannte Liegeboxelemente verhindern, dass die Tiere zu weit in die Box treten können und auf die Liegefläche koten. Diese Elemente können jedoch zu Verletzungen führen (s. u.).
Der »Verkehrsbereich« im Stall besteht aus Beton oder Gussasphalt und kann perforiert sein (Spaltenboden). Kot und Urin verunreinigen die Böden und machen den Laufgang rutschig. Um nicht auszurutschen und sich zu verletzen, laufen die Kühe im Stall nur wenig umher und bewegen sich vorsichtig. Teils reinigen automatische Mistschieber die Laufgänge von Zeit zu Zeit. Doch die Kühe müssen erst lernen, über die Schieber hinwegzusteigen. Gerade junge und unerfahrene Tiere können sich dabei stark verletzen. Die automatischen Entmistungsanlagen können sogar lebensbedrohlich sein, wenn sie etwa am Boden liegende geschwächte Tiere oder unvorhergesehen im Laufstall geborene Kälber in den Gülleabfluss schieben.
Auch wenn Laufställe auf den ersten Blick großräumig wirken, sind sie für die darin lebenden Rindergruppen verhältnismäßig klein. Dominante Kühe können die Durchgänge versperren, den rangniederen fehlen dann Ausweichmöglichkeiten. Die Bewegungsfreiheit ist außerdem auf die relativ schmalen Laufgänge beschränkt, deren Enge Aggressionen unter den Kühen begünstigen kann.
Anbindehaltung
Laut Statistischem Bundesamt gehören in Deutschland noch 12 % aller Haltungsplätze für »Milchkühe« zur Form der Anbindehaltung (Stand 2020). Die Tiere sind dabei über Halsrahmen, Gurte oder Ketten um den Hals fixiert und stehen im sogenannten Anbindestand. Wesentliche Verhaltensweisen wie das Bewegungs-, Sozial- und Komfortverhalten sind darin stark eingeschränkt oder gänzlich verhindert (s. u.).
Im Anbindestand fallen der Ess- und Liegeplatz räumlich zusammen, was dem Verhalten von Rindern zuwiderläuft. Im Kopfbereich befinden sich der Futtertrog und eine Tränkanlage. Bei niedrig angebrachten Trögen entwickeln die Kühe aufgrund der chronischen Muskelüberdehnung beim Essen eine Fehlstellung der Vordergliedmaßen, eine zusätzliche Belastung für die angebundenen Tiere.
Am hinteren Ende des Anbindestands fließen die Exkremente über einen Mistgang oder durch ein Gitterrost in einen darunter liegenden Güllekanal. Viele angebundene Kühe müssen mit ihren Hinterbeinen auf dem vollgekoteten Gitterrost oder Mistgang stehen, da sie zu groß für die veralteten Anbindestände sind. Schmerzhafte Druckstellen und Geschwüre an den Klauen sind die Folge. Im Liegen befindet sich das Euter außerdem ständig in den Exkrementen. Diese Verschmutzung begünstigt langwierige und schmerzhafte Eutererkrankungen.
Weidehaltung
Laut Statistischem Bundesamt erhalten in Deutschland nur knapp 31 % der »Milchkühe« Zugang zu einer Weide (Stand 2020). Das sind weniger als noch vor zehn Jahren. In Betrieben mit Weidehaltung sind die Tiere im Schnitt 25 Wochen im Jahr auf der Weide, häufig in den Sommermonaten, und den Rest des Jahres im Lauf- oder Anbindestall. Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (WBA beim BMEL) stellt jedoch fest, dass möglicherweise allein schon der Zugang zu einem Laufhof als Weidehaltung angegeben wird.
Auf der Weide können Rinder am ehesten ihr natürliches Verhalten zeigen. Aufgrund der intensiven Milchproduktion hat sich dennoch überwiegend die ganzjährige Stallhaltung durchgesetzt, im Englischen auch »zero-grazing management« genannt. Dabei bleibt unbeachtet, dass vor allem die freie Wahl zwischen Innen- und Außenbereich für das Wohlbefinden der Rinder zuträglich ist. Je nach Wetterlage, Jahres- und Tageszeit bevorzugen Rinder mal das eine oder das andere. Aktuelle Untersuchungen lassen sogar erkennen, dass Kühe eine hohe Motivation haben, auf eine Weide zu gehen. Dabei ist Hunger weniger entscheidend als das Bedürfnis draußen zu sein und vor allem gemächlich zu grasen. Das dient nicht nur der Nahrungsaufnahme der Tiere, sondern auch ihrer Beschäftigung.
Zurückdrängung der Grundbedürfnisse
Zu den Grundbedürfnissen von Kühen gehört das Erkunden, Gehen, Galoppieren, Grasen, Ruhen, die eigene Körperpflege und vielfältige soziale Verhaltensweisen. Hierzu zählen etwa das »Hornen« (das Gegeneinanderstemmen der Hörner), das Aufreiten sowie gegenseitiges Belecken und Äußerungen einer intensiven Mutter-Kind-Bindung. Viele Bedürfnisse können die Tiere in der Intensivtierhaltung nicht mehr ausleben. Doch insbesondere die Anbindehaltung schränkt die Verhaltensweisen der Kühe erheblich ein oder verhindert sie völlig.
a) Nahrungssuche und -aufnahme
Unter naturnahen Bedingungen grasen Rinder bis zu 12 Stunden täglich im langsamen Vorwärtsschritt. In der Milchproduktion leben die Tiere jedoch in Stallgebäuden mit harten Betonböden und erhalten als Hauptenergiequelle verarbeitetes Getreide und Körnerleguminosen wie Soja. Die Zeit der Futteraufnahme ist also im Gegensatz zur Weidehaltung um mehrere Stunden verkürzt.
Gräser, Pflanzenstängel und Blätter sind ursprünglich die Hauptnahrungsquelle für Kühe. Wenn die Tiere gemächlich auf der Weide essen, stehen ihre Vorderbeine versetzt zueinander, auch Weideschritt genannt. Nur so gelangen sie mit ihrem Maul nahe genug an den Boden heran und können ihre Nahrung erreichen. Im Stall sind die Kühe dagegen gezwungen stehend – nicht wie in freier Natur gehend – zu essen. Außerdem ist der Futterbereich zusätzlich mit »Fressgittern« versehen. Die Metallrohre können neben Druckstellen sogar Verletzungen verursachen. Die »Fressgitter« sollen verhindern, dass rangniedere Tiere vom Futter verdrängt werden und so für Ruhe während der Futteraufnahme sorgen. Der Hauptzweck für die Gitter ist also letztlich, dass die Tiere ausreichend essen, um eine hohe Milchproduktion zu gewährleisten.
b) Fortbewegung
Rinder legen unter naturnahen Bedingungen täglich bis zu 40 km zurück. Sie sind an weiche Weideböden angepasst, die nachgiebig sind und die Klauen entlasten. Doch Rinder gehen nicht nur im Weideschritt, sie können auch traben und sogar galoppieren. Die Bewegung fördert ihre Gesundheit. Vergleicht man das Verhalten von Kühen im Laufstall mit dem Verhalten auf der Weide, zeigt sich, dass Kühe draußen deutlich aktiver sind. Im Laufstall sind die meisten Tiere eher passiv. Sie bewegen sich kaum und legen täglich gerade einmal 500 – 700 m zurück.
Angebundene »Milchkühe«, die zu fast völliger Bewegungslosigkeit gezwungen sind, wollen sich vermehrt bewegen. Doch der andauernde Bewegungsmangel ist auch körperlich belastend. So ist insbesondere der erforderliche Klauenabrieb unzureichend. Die Kühe entwickeln überlange Klauen (sogenannte Stallklauen), die Fehlbelastungen in den Gliedmaßen sowie schwerwiegende Klauen- und Gelenkerkrankungen verursachen.
c) Körperpflege
Kühe betreiben eine intensive Körperpflege, die dem Wohlbefinden und der Gesundheit dient, aber auch belohnend auf das Tier wirkt. Die Körperpflege hat zudem eine soziale Komponente. Das gegenseitige Umsorgen fördert Beziehungen zwischen den Tieren und wirkt entspannend. Rinder lecken, kratzen und scheuern sich nach Belieben und nutzen dafür ihre Zunge, Klauen und Hörner (wenn sie nicht im Kälberalter enthornt wurden). Während Kühe im Sommer Schatten bevorzugen, suchen sie in den Wintermonaten gern helle Plätze zum Sonnenbaden auf. Das erhöht nicht nur das Wohlbefinden, sondern dient auch der Abwehr von Parasiten und Pilzen.
Während die Kühe in der Laufstallhaltung die gegenseitige Körperpflege ausführen können, macht die Anbindehaltung jegliche – also die eigene und die gegenseitige – Körperpflege fast unmöglich. Durch die Fixierung des Kopfes und die Enge der Gittervorrichtung können die Kühe beispielsweise das typische Schleudern des Kopfes, um schlecht erreichbare Stellen zu lecken, nicht mehr ausführen. Gegen den Juckreiz versuchen die Kühe stattdessen, sich Futter auf den Rücken zu werfen.
Kühe bevorzugen trockene und bequeme Liegeplätze. Sowohl in der Anbinde- als auch in der Laufstallhaltung werden die Ställe jedoch teilweise nur unzulänglich gereinigt und neu eingestreut. In diesem Fall müssen die Kühe in ihrem eigenen Kot stehen und liegen. Beim Liegen sind ihre Euter dann von Exkrementen umgeben – das Risiko für schmerzhafte Euterentzündungen steigt.
d) Ruheverhalten
Anders als auf der Weide, wo Rinder auch beim Ruhen Individualdistanzen von bis zu mehreren Metern einhalten können, befinden sich im Stall die Liegeboxen direkt nebeneinander. Diese Anordnung widerspricht dem Platz- und Raumanspruch der Rinder. Darüber hinaus engen die Metallstangen der Liegeboxen, die als Begrenzungen dienen, die Bewegungsabläufe und die Liegeposition der Tiere ein. Nicht selten stoßen sich die Kühe und erleiden Verletzungen. Auf lange Sicht entwickeln sich haarlose Körperstellen, Borken und Schwielen in den beanspruchten Hautarealen.
Die Anbindehaltung schränkt das artgemäße und ungestörte Ruhen mitsamt des großräumigen Abliege- und Aufstehverhaltens besonders stark ein. Das Zusammenspiel aus engen und kurzen Liegeboxen sowie zu knappen Anbindungen zwingt die Kühe zu Verrenkungen und unvollständigen Bewegungsabläufen beim Aufstehen und Ablegen. Die Kühe können kaum noch ihre normalen Liegepositionen einnehmen. Sogar das Ablegen des Kopfes auf dem eigenen Körper – eine für Rinder typische Schlafposition – ist unmöglich.
Freie Liegeflächen im Laufstall und ein Verzicht auf die Anbindehaltung würden dagegen ein störungsfreies Ablegen und Aufstehen sowie natürliche Liegepositionen ohne Verletzungen ermöglichen.
e) Sozialverhalten
In der Milchproduktion können Kühe ihr umfangreiches Sozialverhalten nicht ausleben. Die komplexe Sozialstruktur innerhalb der Herde wird beständig gestört: Kühe mit nachlassenden Leistungen oder Gesundheitsproblemen werden aussortiert und geschlachtet. Junge Kühe nehmen ihre Plätze ein und müssen sich in der neuen Herde zurechtfinden. Diese ständigen Umgruppierungen rufen immer wieder Stress und Unruhen hervor und belasten die Tiere.
Ferner schränken die fehlende Ausweichmöglichkeiten, bauliche Sackgassen und Platzmangel die Tiere im Laufstall ein. Die Umstände begünstigen vielmehr Auseinandersetzungen und sind insbesondere für die rangniederen Tiere mit Stress verbunden. Um unter diesen Haltungsbedingungen Verletzungen zu vermeiden, werden den Tieren bereits im Kälberalter die Hornanlagen entfernt (s. u.). Im Anbindestand kann praktisch gar kein Sozialverhalten stattfinden, da sich die Kühe nicht aus ihren Einzelboxen hinausbewegen können. Höchstens ansatzweise ist es mit den benachbarten Artgenossinnen möglich. Bei Auseinandersetzungen verhindert die Anbindung jedoch jegliches Ausweichen.
f) Mutter-Kind-Verhalten
Unter naturnahen Bedingungen kümmert sich die Mutterkuh nach der Geburt intensiv um ihr neugeborenes Kalb. In den ersten Tagen verbleibt der Nachwuchs dann am Geburtsort. Die Mutter sucht es regelmäßig zum Säugen auf. Schon bald schließen sich Mutter und Kind wieder dem Familienverband an. In der industriellen »Milchkuh«-Haltung werden Mutterkuh und Kalb dagegen nach der Geburt voneinander getrennt. Das Kälbchen wird ohne jeglichen Kontakt zur Mutter untergebracht und erhält seine Nahrung nicht aus dem mütterlichen Euter, sondern aus Eimern oder Tränkeautomaten.
Als Folge der Isolierung nach der Geburt, entwickeln die Kälber ihr Sozialverhalten nur dürftig und sind weniger lernfähig. Hinzu kommen Verhaltensstörungen wie gegenseitiges Besaugen und Zungenrollen bis ins Erwachsenenalter, eine höhere Krankheitsanfälligkeit (bspw. Kälberdurchfall) und eine höhere Kälbersterblichkeit. Unter dem Trennungsschmerz leidet insbesondere die Mutter. Obwohl diese negativen Auswirkungen seit Jahren erforscht und bekannt sind, bleibt die Trennung weiterhin gängige Praxis.
Körperliche Leiden und Schäden
Die Kühe leiden aufgrund der gängigen Haltungsbedingungen und der Überzüchtung (s. u.) an verschiedenen Erkrankungen und Verletzungen, dazu gehören:
- Mastitis (schmerzhafte Entzündungen des Euters),
- diverse Euterverletzungen (u. a. verursacht durch Melkmaschinen),
- diverse Klauenverletzungen oder -erkrankungen (Klauenrehe, Sohlen-Ballen-Geschwüre),
- Erkrankungen der Verdauungsorgane, z. B. Pansenübersäuerung und Labmagenverlagerung,
- diverse Stoffwechselerkrankungen, z. B. Ketose und Leberverfettung (durch Hochleistungen und zu geringe Raufuttergabe),
- Gelenkverletzungen und -erkrankungen,
- Ekzeme an den Innenseiten der Oberschenkel (durch ständiges Aneinanderreiben von Euter- und Oberschenkelhaut),
- Gebärparese (Milchfieber),
- Stallklauen (durch fehlende Bewegung vor allem in der Anbindehaltung),
- sogenannte Technopathien (Verletzungen durch die Haltungsbedingungen, z. B. Klauenverletzungen durch Spaltenböden, Scheuerstellen an der Haut durch Stalleinrichtungen).
Viele gesundheitliche Probleme, beispielsweise Gebärmutter- oder Klauenerkrankungen und vor allem die häufig vorkommenden Euterentzündungen müssen antibiotisch versorgt werden. Zusätzlich gibt es routinemäßige Antibiotikagaben in der Milchproduktion. Ein Großteil der Kühe bekommt antibiotikahaltige Substanzen über die Zitzen in das Euter verabreicht, obwohl sie nicht krank sind. Diese Behandlung dient dem sogenannten Trockenstellen, das etwa sechs bis acht Wochen vor der Geburt des nächsten Kalbes durchgeführt wird. In dieser Zeit werden die Kühe nicht mehr gemolken, da sich das Euter für die nächste Laktation (Zeit in der die Kuh Milch produziert) regenerieren soll.
Überzüchtung
Für die Milchproduktion werden vor allem Hochleistungstiere – überwiegend der Rasse Holstein – genutzt. Die jahrelange intensive Zucht hat ihre Milchleistungen enorm gesteigert: Während bei einer »Milchkuh« 1950 durchschnittlich 3.785 kg Milch pro Jahr gemolken wurde, hat sich die durchschnittliche Milchleistung bis 2018 mit 8.059 kg Milch mehr als verdoppelt. Typische »Hochleistungskühe« produzieren heutzutage sogar bis zu 10.000 kg Milch pro Laktation.
Eine sichtbare Folge der Züchtung ist das große Euter. Es kann so groß werden, dass es die normalen Bewegungsabläufe der Kuh einschränkt. Doch die Überzüchtung wirkt sich nicht nur auf Aussehen und Wohlbefinden der Tiere aus, sie verursacht ebenfalls verschiedene Krankheiten: Dazu gehören Lahmheiten, Euterentzündungen, Reproduktionsstörungen und Stoffwechselerkrankungen. Das Gremium für Tiergesundheit und Tierschutz der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit bestätigt diesen Zusammenhang.
Insgesamt geht die intensive Milchproduktion erheblich zu Lasten der Tiere. So kommt es, dass Kühe nicht ansatzweise ihr natürliches Lebensalter erreichen. Sie leben kaum noch viereinhalb Jahre – gerade ausreichend für zwei Laktationen – bevor sie den Betrieb verlassen und geschlachtet werden. Zwar hat das Zuchtziel »längere Lebenszeit« in den letzten Jahren vermehrt Gewicht bekommen, jedoch einzig aus wirtschaftlichen Gründen. Denn »Milchkühe« erreichen eigentlich erst mit der dritten bzw. vierten Laktation ihre höchste »Milchleistung«.
Enthornung
Fast alle zukünftigen »Milchkühe« werden routinemäßig im Kälberalter von unter 6 Wochen enthornt. Ein heißer Brennstab (seltener ein Ätzstift) zerstört die Hornanlagen, die von Nerven durchzogen und durchblutet sind. Der schmerzhafte Prozess darf laut Tierschutzgesetz ohne Betäubung durchgeführt werden. Die Bundesländer geben unterschiedliche Empfehlungen zur Schmerzminderung oder örtlichen Betäubung.
Die Enthornung stellt einen tiefgreifenden Eingriff in die Unversehrtheit des Tieres dar. Als Grund für die sogenannte »zootechnische Behandlung« gilt ein verringertes Risiko, dass sich die Tiere untereinander oder Menschen verletzen (Unfallschutz). Orientierte sich die Größe der Ställe am tatsächlichen Raumbedarf der Rinder, würden sich die Tiere untereinander jedoch kaum verletzen. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik sieht die Enthornung ebenfalls kritisch und stellt fest, dass »bei Verzicht [darauf] bestehende Probleme in Haltung und Management wesentlich deutlicher sichtbar werden.«.
Seit einiger Zeit wächst in Deutschland der Anteil von hornlos gezüchteten Rindern. Dabei bleibt – ebenso wie bei der Enthornung – völlig unbeachtet, dass Hörner ein essenzielles Körperteil eines Rindes sind. Hörner spielen nicht nur bei sozialen Auseinandersetzungen und der Körperpflege, sondern ebenfalls bei der Wärmeregulierung eine Rolle. Geschickte Tiere können sie sogar als Werkzeug einsetzen und Gitter öffnen.
Schlachtung
Im Jahr 2019 wurden in Deutschland rund 1,2 Mio. Kühe geschlachtet. Nach dem oft stundenlangen Transport zum Schlachthof werden die Kühe vom Transporter in einen Wartebereich getrieben. Obwohl der Einsatz von Elektrotreibern zum Vorwärtstreiben von Rindern verboten ist, kommen die Geräte dabei immer wieder zum Einsatz – ein kaum dokumentierter oder gar geahndeter Verstoß , der lediglich eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Der Einsatz von Elektrotreibern für den Zutrieb zur Betäubungsanlage ist weiterhin erlaubt.
Der Schlachtvorgang umfasst eine Betäubung und die anschließende Tötung durch Entblutung. Für Rinder sind mehrere Betäubungsmethoden erlaubt. Die Betäubung mit dem Bolzenschussapparat beruht auf einer Gehirnerschütterung, zerstörtem Gehirngewebe und Druckschwankungen im Schädel. Im Zuge der Akkordarbeit im Schlachthof kommt es nicht selten zu Fehlschüssen und somit zu Fehlbetäubungen. Laut Tierschutzbericht 2015 liegt die Fehlbetäubungsrate bei bis über 9 %. Bei unerkannten Fehlbetäubungen (ob aus fehlendem Fachwissen oder Akkordarbeit) müssen die Tiere den anschließenden Entbluteschnitt und das Ausbluten bei Bewusstsein miterleben.Die elektrische Durchströmung ist ebenfalls als Betäubungsverfahren erlaubt. Die Betäubungsanlagen arbeiten fast vollautomatisch. Nach dem Hineintreiben der Kuh in die Anlage werden automatisch der Hals fixiert und der Kopf angehoben. Nase und das Maul werden gegen eine Platte geschoben, von der aus der Strom durch den Kopf fließt. Metallelektroden drücken von der Seite an den Körper für die zusätzliche Herzdurchströmung. Auch bei dem elektrischen Betäubungsverfahren kommt es zu Fehlbetäubungen, zum Beispiel durch einen zu geringen Stromfluss. Daneben verursacht die vollautomatische Fixierung und das Kopfanheben den Tieren extrem viel Stress.Nach der Betäubung (gleich welches Verfahren) fallen die Tiere aus der Betäubungsvorrichtung raus. Das Tier wird an einer Kette am Hinterbein hochgezogen, sodass mit einem Messer der Entblutestich gesetzt werden kann, der das Tier tötet.
Schlachtung schwangerer Kühe
Bislang werden immer wieder schwangere Kühe geschlachtet, einer Untersuchung zufolge sind das jährlich rund 180.000 Kühe in Deutschland. Bei der Schlachtung sterben die ungeborenen Föten langsam durch Sauerstoffmangel, jedoch erst nach dem Tod der Mutter.
Die Gründe hierfür können unerkannte Schwangerschaften sein, Verletzungen schwangerer Tiere, die eine weitere Nutzung ausschließen, oder gar zu teure tierärztliche Behandlungen. Aber auch eine Schwangerschaft als Masthilfe kann nicht ausgeschlossen werden – schwangere Kühe nehmen bis zu 15 % an Gewicht zu und sind ruhiger.
Eine Studie zeigt für Deutschland, dass die untersuchten schwangeren Kühe in unterschiedlichen Abschnitten ihrer Schwangerschaft geschlachtet werden. Mehr als die Hälfte der Kühe befanden sich bereits im letzten Schwangerschaftsdrittel. Spätestens zu dieser Zeit sind Föten leidensfähig und können Schmerzen und Ängste empfinden.
Bislang gilt eigentlich ein Transportverbot von hochschwangeren Tieren. Es liegen dennoch Berichte von größeren Rinderschlachthöfen vor, dass es mehrmals im Jahr entweder auf dem Transport zum Schlachthof oder im Schlachthof selbst Geburten gebe.
Die Tierschutz-Schlachtverordnung verbietet nicht die Schlachtung schwangerer Tiere. Die Lücke soll nun ein Abgabeverbot schließen. Seit September 2017 gilt das neue Tiererzeugnisse-Handels-Verbotsgesetz, laut dem hochschwangere Rinder nicht zur Schlachtung abgegeben werden dürfen. Verstöße können mit einer Geldbuße von bis zu 5.000 Euro bestraft werden.
Das Verbotsgesetz erlaubt jedoch weiterhin Ausnahmen. Eine Schlachtung ist erlaubt, wenn sie »nach tierseuchenrechtlichen Bestimmungen vorgeschrieben oder angeordnet worden ist oder im Einzelfall nach tierärztlicher Indikation geboten (…)«. Eine Euthanasie würde hier Mutter und Kind einschläfern und somit das qualvolle Ersticken des Fötus verhindern. Dieses Szenario, das eine Verwertung des Tierkörpers aufgrund der eingesetzten Medikamente ausschließt, ist jedoch gesetzlich nicht vorgesehen.
Vermeidbarkeit und Forderungen
Die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt fordert die Einführung spezieller und detaillierter gesetzlicher Regelungen für die Haltung von Kühen für die Milchproduktion, wie es sie auch in Österreich und in der Schweiz bereits gibt.
Zudem fordert die Albert Schweitzer Stiftung ein Verbot der betäubungslosen Enthornung, da diese Praktik ein schmerzhafter Eingriff ist. Ganz generell stellt dieser Eingriff eine vermeidbare Anpassung der Tiere an die Haltungsbedingungen dar. Überdies verändert er das Verhalten der Tiere tiefgreifend.
Weiterhin fordert die Stiftung, dass hochschwangere Kühe euthanasiert werden müssen, wenn ihr Überleben aufgrund von Krankheit oder Verletzung nicht möglich ist.
In der Haltung müssen zumindest folgende Änderungen eingeführt werden, um das Leid der Kühe zu verringern:
- Kein Einsatz von auf Hochleistung gezüchteten Tieren (um körperliche Leiden zu mindern)
- Verbot der Anbindehaltung
- deutliche Erhöhung des Gesamtplatzangebots in Laufställen (um artgemäßes Sozialverhalten und mehr Bewegungsfreiheit zu ermöglichen)
- deutliche Erhöhung der Raufuttergabe (um einer natürlichen Ernährung näher zu kommen und Stoffwechselerkrankungen zu verhindern)
- täglicher Weidegang im Sommer oder Zugang zu einem Laufhof und regelmäßiger Winterauslauf (zur Beschäftigung, Bewegung und zum Ausleben des natürlichen Essverhaltens sowie sozialer Verhaltensweisen und zudem für den Kontakt zum Außenklima)
- Gewährleistung von Einstreu in den Liegebereichen (um artgemäßes Ruhen zu ermöglichen)
- Ausstattung der Böden mit Gummibelägen (für artgemäßes Gehen und um Klauenverletzungen zu vermeiden)
- Gewährleistung des Mutter-Kind-Verhaltens
- Strengere Kontrollen bei Transport und Schlachtung
Insgesamt betrachtet widersprechen die aktuellen Bedingungen der konventionellen »Milchkuh«-Haltung – insbesondere die Anbindehaltung – den Gedanken von § 2 Nr. 1 und Nr. 2 des Tierschutzgesetzes, nach denen Tiere ihrer Art und ihren Bedürfnissen entsprechend angemessen gehalten, gepflegt und ernährt werden sollen. Dies schließt eine verhaltensgerechte Haltung ein. Weiterhin darf die Möglichkeit der Tiere zur artgemäßen Bewegung nicht so eingeschränkt werden, dass ihnen Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Verbesserungen der bestehenden Haltungssysteme sind daher dringend geboten.
Was können Sie tun?
- Wenn sie die oben beschriebenen Zustände nicht unterstützen möchten, dann wählen Sie pflanzliche Alternativen zu Milch, Käse, Joghurt, Quark und Butter. Tipps dazu erhalten Sie bei unserer Vegan Taste Week.
- Die vorangegangenen Informationen beziehen sich zwar nicht alle auch auf Biobetriebe. Dennoch ist das Ausweichen auf Bioprodukte nicht automatisch eine gute Lösung, da auch in Biohaltung Kühe häufig unter schlechten Bedingungen leben müssen. Einige bekannte Siegel wie Demeter und Bioland haben Anforderungen, die über die gesetzlichen Biostandards hinausgehen, doch ist selbst dies kein Garant dafür, dass es den Tieren gut geht. Zudem bleiben auch hier die ethischen Probleme der Nutzung und des Tötens bestehen.
- Helfen Sie uns dabei, gegen die Intensivtierhaltung vorzugehen.
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Zahlenquellen
Die Zahlen zum Tierbestand, zu den Haltungen und zur Schlachtung beruhen auf Angaben des Statistischen Bundesamtes.
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