Verbandsklagerecht im Tierschutz

Tierschutzorganisationen das Verbandsklagerecht bundesweit einzuräumen, ist eine unserer zentralen Forderungen. Zur Durchsetzung des geltenden Tierschutzrechts ist das Verbandsklagerecht aus unserer Sicht zwingend erforderlich, denn nur damit kann das rechtliche Ungleichgewicht zwischen Tiernutzer:innen und Tierschützer:innen aufgehoben werden.

Probleme ohne Verbandsklage

Im deutschen Verwaltungsrecht, zu dem im Wesentlichen auch das Tierschutzrecht gehört, herrscht der Grundsatz, dass nur diejenigen Klage erheben dürfen, die behaupten können, in ihren eigenen Rechten verletzt zu sein.

Dies führt zu einem klaren Vorteil aufseiten der Tiernutzer:innen: Eine Person, die Tiere nutzt und sich in ihren Rechten beeinträchtigt sieht, wenn ihr von der zuständigen Behörde auferlegt wird, sich an gewisse Standards zu halten, kann die Auflagen und Weisungen einer Behörde vor dem Verwaltungsgericht überprüfen lassen. Da sie in ihren eigenen Rechten betroffen ist, steht ihr eine Klagebefugnis zu. Für die betroffenen Tiere jedoch kann niemand Klage erheben, denn die Tierschutzverbände sind nicht direkt selbst betroffen und die Tiere selbst können natürlich nicht klagen.

Rechtlichen Schutz für die Tiere durchsetzen

Tiere sollen in Deutschland durch verschiedene Normen geschützt werden, vor allem durch das Staatsziel Tierschutz in Artikel 20a des Grundgesetzes, das Tierschutzgesetz sowie die Tierschutzverordnungen des Bundes.

Die Rolle der Staatsanwaltschaften und Probleme

Ohne ein Verbandsklagerecht haben Tierschutzorganisationen nur die Möglichkeit, bei Staatsanwaltschaften Anzeigen zu erstatten. Die zuständige Staatsanwaltschaft prüft dann den Sachverhalt und entscheidet, ob genügend Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen. Ist die Staatsanwaltschaft davon überzeugt, verfasst sie eine Anklageschrift und reicht diese beim zuständigen Gericht ein. Alternativ kann sie das Verfahren gegen Auflagen, z. B. die Zahlung einer Geldstrafe, einstellen oder einen Strafbefehl erlassen. Liegen aus Sicht der Staatsanwaltschaft keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Straftat vor, wird das Verfahren vollständig eingestellt. Nur in sehr wenigen Fällen kommt es tatsächlich zu einem Gerichtsverfahren vor einem Strafgericht.

Die Möglichkeit der Anzeige bei der Staatsanwaltschaft oder alternativ bei der Polizei ist aus mehreren Gründen unzureichend: Die Staatsanwaltschaft ist nur für Straftaten zuständig, aber die wenigsten Zuwiderhandlungen gegen das Tierschutzrecht stellen Straftaten dar. Auch reicht für die strafrechtliche Verfolgung ein Verstoß nicht aus. Dem oder der Täter:in muss vielmehr ein persönliches Verschulden in Form von Vorsatz oder Fahrlässigkeit nachgewiesen werden. An diesem Punkt sind in der Vergangenheit viele Strafanzeigen gescheitert.

Staatsanwält:innen sind zudem häufig mit dem Tierschutzrecht nicht vertraut und nur selten motiviert, sich mit großem zeitlichen Aufwand in die ihnen fremde Materie einzuarbeiten. Hinzu kommt, dass die Aufgabe der Staatsanwaltschaft lediglich die Strafverfolgung zur Ahndung vergangenen Unrechts ist, nicht aber die Herstellung rechtmäßiger Verhältnisse für die Zukunft.

Die Rolle der Amtstierärzte und Probleme

Von behördlicher Seite sind die Amtstierärzt:innen dazu berufen, die Einhaltung der ohnehin niedrigen Tierschutzstandards in Tierhalterbetrieben zu überwachen. Selbst motivierte Amtstierärzt:innen werden aber bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert. Sie müssen nämlich damit rechnen, dass Tierhalter:innen ihre Behörden vor den Verwaltungsgerichten verklagen. Die Tierhalter:innen können dabei regelmäßig auf die Unterstützung von Organisationen wie dem Bauernverband zurückgreifen.

Sollte ein:e Tierhalter:in vor dem Verwaltungsgericht Erfolg haben, kann er oder sie dann auch noch vor den Zivilgerichten Schadensersatzansprüche geltend machen. Trifft ein:e Amtstierärzt:in also eine Entscheidung zugunsten der Tiere, geht er oder sie für die Behörde ein hohes Risiko ein. Deshalb werden engagierte Amtstierärzt:innen von ihren Vorgesetzten häufig ausgebremst.

Lösung: Das Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände

Mit der Einführung des Verbandsklagerechts wird ein, zumindest rechtliches, Gleichgewicht zwischen Tierschutzverbänden und Tiernutzer:innen geschaffen. Das Verbandsklagerecht, wie es bereits in einigen Bundesländern eingeführt wurde, überwindet die Voraussetzung, dass jede:r nur seine eigenen Rechte klageweise geltend machen kann.

Das Verbandsklagerecht existiert schon lange im Umweltrecht. Der Bund hat Umweltschutzorganisationen im Jahr 2002 ein Klagerecht zugesprochen (davor war es Ländersache); das Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisationen gibt es dagegen bislang nur in einzelnen Bundesländern. Diese rechtliche Benachteiligung des Tierschutzes durch das Fehlen einer bundesweit einheitlichen Regelung ist aus unserer Sicht unhaltbar – vor allem, wenn man sich vor Augen führt, dass Umweltschutz und Tierschutz denselben Verfassungsrang genießen.

In diesen Ländern gibt es das Verbandsklagerecht bereits

  • Baden-Württemberg
  • Berlin
  • Bremen
  • Hamburg
  • Niedersachsen
  • Nordrhein-Westfalen (wurde von der schwarz-gelben Regierung abgeschafft/nicht verlängert – einige Verfahren hängen noch an)
  • Rheinland-Pfalz
  • Saarland
  • Schleswig-Holstein

Die Einführung des Verbandsklagerechts in Berlin war ein langwieriger Prozess. Dazu hatten wir einen Online-Appell ins Leben gerufen und 45.000 Unterschriften überreicht und eine Stellungnahme zum Entwurf des entsprechenden Gesetzes abgegeben. Inzwischen haben auch wir die Anerkennung als verbandsklageberechtigt beantragt und freuen uns darauf, dieses Instrument zukünftig wirksam einsetzen zu können.

Chancen, Grenzen und Risiken des Verbandsklagerechts

Das Verbandsklagerecht verändert zunächst nicht unmittelbar die niedrigen Standards im Tierschutzrecht. Es dient in der Regel nur dazu, geltendes Recht durchzusetzen, wodurch das gängige Ausmaß an Tierleid aber auch schon erheblich gelindert werden kann.

Grundsätzlich haben Klagen immer nur Auswirkungen auf den konkreten Fall. Gegen jeden einzelnen tierschutzrechtlichen Verstoß zu klagen, ist allein schon aus Kapazitätsgründen unmöglich. Allerdings haben richterliche Entscheidungen eine große Signalwirkung – insbesondere solche der zweiten und dritten Instanz. Insofern haben erfolgreiche Klagen weit über den Einzelfall hinaus Auswirkungen und können sogar dazu führen, dass Verordnungen im Sinne der Tiere überarbeitet werden.

Einige Klagen haben sogar das Potenzial, gängige illegale Praktiken in der Massentierhaltung abzuschaffen, weil eine gesetzeskonforme Anwendung nicht rentabel wäre. In solch einem Fall – der Kastenstandhaltung von Muttersauen – haben wir eine solche Klage erfolgreich unterstützt.

Das Risiko von Verbandsklagen liegt darin, dass sie bei Niederlagen vor Gericht (z. B. durch eine schlechte Vorbereitung und Durchführung) auch weitreichende Folgen zu Lasten der Tiere entfalten können.

Drei typische Anwendungsgebiete der Verbandsklage

  1. a) § 16a Tierschutzgesetz regelt, dass die zuständigen Behörden Anordnungen treffen, um festgestellte Verstöße zu beseitigen und zukünftige Verstöße zu verhüten. U. a. aufgrund der oben beschriebenen strukturellen Ungleichheit kommen die Veterinärämter dieser Aufgabe häufig nicht nach. Durch erfolgreiche »16a-Klagen« können die Behörden verpflichtet werden, ihren Aufgaben nachzukommen.
  2. b) Auch an bau- und immissionsrechtlichen Genehmigungsverfahren für Vorhaben zum Halten von Tieren zu Erwerbszwecken sind klageberechtigte Verbände zu beteiligen. Sie können tierschutzrechtliche Argumente vortragen und gegen erteilte Genehmigungen mit der Begründung klagen, dass tierschutzrelevante Vorschriften verletzt werden. Nach unserer Auffassung ist das in den meisten Intensivtierhaltungsanlagen systembedingt zu erwarten.
  3. c) Außerdem kann die Genehmigung von Tierversuchen einer Überprüfung durch die Gerichte unterzogen werden.

Unsere Rolle bei der Anwendung des Verbandsklagerechts

Bislang erhalten in der Regel nur Vereine das Verbandsklagerecht – und zwar nur in dem Bundesland, in dem sie ihren Sitz haben. Tierschutz-Stiftungen haben das Klagerecht bislang noch nicht erhalten. Das dürfte sich in Berlin nun aber ändern. Der Gesetzeswortlaut beschränkt die Anerkennungsfähigkeit nicht auf Vereine. Vielmehr können Tierschutzorganisationen, also auch Stiftungen, die Anerkennung erhalten.

Zudem bringen wir uns personell, fachlich und finanziell intensiv ein, um geeignete Themen für Klagen auszuarbeiten und andere Organisationen bei beabsichtigten oder laufenden Verbandsklagen zu beraten und zu unterstützen.

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