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Unser Ernährungssystem: Lehren aus Covid-19

Die Corona-Pandemie zeigt uns aktuell sehr eindrücklich, wie gefährlich es ist, vor drohenden Krisen und Warnungen von Expert:innen die Augen zu verschließen. Die Organisation Compassion in World Farming (CIWF) hat dies zum Anlass genommen, in einem neuen Bericht weitere drohende Problemfelder zusammenzutragen – etwa Klimawandel, Antibiotikaresistenzen, weitere Pandemien, Wasserknappheit, Biodiversitätsverlust und Umweltverschmutzung. Der Bericht verdeutlicht, dass all diese bedrohlichen Szenarien eine gemeinsame Ursache haben: unser Ernährungssystem. Wir fassen die Kernaussagen und die vorgeschlagenen Lösungsansätze zusammen.

Die Problemfelder

Lebensmittelbedingte Erkrankungen

Wie die landwirtschaftliche Tierhaltung mit der Entstehung von Epidemien zusammenhängt, haben wir bereits im Artikel »Wie Tierproduktkonsum zu Pandemien beiträgt« ausführlich beschrieben. Neben Zoonosen – also Krankheitserregern, die vom Tier auf den Menschen überspringen können – sind aber auch lebensmittelbedingte Erkrankungen durch Erreger wie Salmonellen, Campylobacter und EHEC eine Gefahr für den Menschen. Während Campylobacter vor allem ein Problem in der intensiven Geflügelmast darstellt (schnell wachsende Rassen sind viel anfälliger als die robusteren, langsamer wachsenden Rassen), treten Salmonellen überwiegend in Eiern und Eiprodukten auf. Auch hier steigt die Gefahr in intensiven Haltungssystemen wie der Käfighaltung. EHEC hingegen ist ein Risiko in der Rinderhaltung: Um Mastrinder möglichst schnell zu mästen, füttert man sie mit Getreide. Diese nicht artgerechte Nahrung fördert das Wachstum von E. coli-Bakterien, einschließlich EHEC, im Verdauungstrakt der Tiere. Über Lebensmittel, die vom Rind stammen, können die Keime auf den Menschen übertragen werden.

Antibiotikaresistenzen

Weltweit werden rund 70 % aller Antibiotika landwirtschaftlich genutzten Tieren verabreicht. Dabei geht es häufig darum, präventiv Krankheiten zu vermeiden und Wachstumsraten zu beschleunigen. In Deutschland liegt der Hauptgrund für den hohen Antibiotikaeinsatz wohl in der Zucht und den Haltungsbedingungen, welche die Tiere krank machen.

Das Problem: Setzt man Antibiotika in großen Mengen in der Tierhaltung ein, können die entsprechenden Keime resistent gegen sie werden. Wenn die Keime dann über die Lebensmittelkette zum Menschen gelangen, können sie zu lebensbedrohlichen Infektionen führen, gegen die es wegen der resistenten Erreger keine wirksamen Medikamente mehr gibt.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bereits 2011 davor gewarnt, dass »die Welt auf eine post-antibiotische Ära [zusteuert], in der viele alltägliche Infektionen nicht mehr heilbar sind und tödlich verlaufen.«

Luftverschmutzung

Die von der Landwirtschaft verursachte Luftverschmutzung trägt zu Krankheiten wie Bronchitis, Asthma, Lungenkrebs und Herzinsuffizienz bei. Studien zeigen, dass in einigen Ländern, darunter Dänemark und Großbritannien, die Landwirtschaft für einen größeren Anteil der durch Luftverschmutzung verursachten Gesundheitsprobleme verantwortlich ist als der Verkehr oder die Energieerzeugung.

Wasserverbrauch und -verschmutzung

Rund 57 % des in der Europäischen Union angebauten Getreides und 75 % der weltweiten Sojaernte dienen als Tierfutter. Um diesen großen Bedarf zu decken, werden Nutzpflanzen immer intensiver produziert. Für diesen nicht nachhaltigen Anbau wird jedoch übermäßig viel Wasser benötigt und verschmutzt. Darüber hinaus schädigt die intensive Bewirtschaftung die Böden sehr stark: Nach Berechnungen der FAO sind sie heute bereits so stark degradiert, dass uns nur noch etwa 55 »Erntejahre« bleiben. Danach könnte unser gesamtes Ernährungssystem zusammenbrechen.

Verlust der biologischen Vielfalt

Laut den Vereinten Nationen ist die Tierproduktion »der vielleicht größte Einzelfaktor für den Verlust der biologischen Vielfalt«: Die durch die Tierhaltung bedingte intensive Landwirtschaft hat mit dem Einsatz von Insektiziden und Herbiziden deutlich zum starken Rückgang von Bestäubern wie Bienen beigetragen. Die Biodiversität leidet außerdem an der immer weiteren Ausbreitung landwirtschaftlicher Flächen, für die beispielsweise Regenwälder und andere natürliche Ökosysteme weichen müssen.

Welternährung

Weltweit leiden rund 821 Millionen Menschen an Hunger. Eine der Ursachen dafür liegt in der globalen Verknappung von Ressourcen, die mitunter durch eine steigende Fleischproduktion vorangetrieben wird. Die Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission stellt fest, dass die Nutzung hochproduktiver Anbauflächen für die Produktion von Tierfutter das weltweite Nahrungsmittelangebot deutlich beeinträchtigt.

Hinzu kommt, dass bei der Umwandlung von Pflanzen in Tierprodukte ein erheblicher Teil der Nahrungsenergie verloren geht. Von 100 Kalorien aus für den Menschen essbarem Getreide, das an Tiere verfüttert wird, gelangen nur 17 bis 30 Kalorien als Fleisch oder Milch in die menschliche Nahrungskette. Auch bei Proteinen ist die Bilanz stark negativ.

Die Vorteile eines veränderten Ernährungssystems

Böden profitieren von nachhaltiger Landwirtschaft

Die intensive Landwirtschaft von heute untergräbt die natürlichen Ressourcen, von denen die Landwirtschaft von morgen abhängen wird. Der CIWF-Bericht betont, dass wir deshalb dringend nachhaltige Alternativen fördern müssen. Die Vorteile von ökologischer Landwirtschaft, Kreislaufwirtschaft und Agroforstwirtschaft liegen dabei auf der Hand:

  • Sie verbessern die Bodenqualität.
  • Die so angebauten Pflanzen sind gesünder und weniger anfällig für Krankheiten und Schädlinge, sodass der Einsatz von Pestiziden minimiert werden kann.
  • Die gesunden Böden können besser Wasser speichern. So wird das Risiko für Überschwemmungen reduziert und die Pflanzen werden widerstandsfähiger gegen Dürren.
  • Die Biodiversität wird wiederhergestellt.

Weniger Emissionen durch Ernährungsumstellung

Da Tierprodukte generell wesentlich höhere Emissionen verursachen als pflanzliche Lebensmittel, ist eine Ernährungsumstellung unvermeidlich, wenn wir die Pariser Klimaziele erreichen wollen.

Eine Studie aus dem Jahr 2018 zeigt, dass ein »business as usual« im Ernährungssystem bis zum Jahr 2050 zu einem Anstieg der Treibhausgas-Emissionen um 87 % führen wird (im Vergleich zu 2010). Weiter heißt es in der Studie, dass nur eine Umstellung auf eine pflanzlichere Ernährungsweise die lebensmittelbedingten Emissionen im Jahr 2050 unter ihr derzeitiges Niveau senken könnte.

Soziale Gerechtigkeit und Gesundheit durch nahrhafte, pflanzliche Lebensmittel

Das heutige Ernährungssystem bewirkt genau das Gegenteil von dem, was es tun sollte: Es macht die Menschen krank. Neben den oben erwähnten Erregern sind hier ernährungsbedingte Krankheiten wie Übergewicht, Diabetes, Herzkrankheiten und einige Krebsarten zu nennen. Diese sind zu einem großen Teil bedingt durch den massenhaften Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch.

Dagegen zeigen zahlreiche Studien, dass ein Ernährungsstil, der mit wenig bis keinem Fleisch auskommt und stattdessen viele unverarbeitete pflanzliche Lebensmittel enthält, positive Auswirkungen auf die Gesundheit hat und ernährungsbedingten Erkrankungen vorbeugen kann.

Auch einen sozialen Aspekt gibt der CIWF-Bericht dabei zu bedenken: Generell kann man feststellen, dass sich insbesondere Personen mit niedrigem Einkommen schlechter ernähren als Besserverdienende und damit auch eher ernährungsbedingte Krankheiten entwickeln. Hier muss laut CIWF ein Umdenken stattfinden: »Ein solches Umdenken sollte auf einer Politik bestehen, die sicherstellt, dass alle, auch die am stärksten Benachteiligten, Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln haben, die ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden verbessern, anstatt das Gegenteil zu tun.«

Weniger Antibiotikagebrauch durch gesundheitsorientierte Tierhaltung

In einer gemeinsamen Stellungnahme der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) heißt es: »Es müssen Maßnahmen implementiert werden, die die Tiergesundheit und den Tierschutz verbessern und dadurch den Bedarf an Antibiotika reduzieren.« Um dies sicherzustellen, müssen laut CIWF gesundheitsorientierte Haltungssysteme der Standard sein. Als Merkmale einer solchen Haltung nennt CIWF im Bericht beispielsweise die Vermeidung von hohen Besatzdichten, das Reduzieren von Stress und eine gute Luftqualität.

Die Veränderung unserer Ernährungswirtschaft

Der CIWF-Bericht weist schließlich auf einen entscheidenden Mangel unseres derzeitigen Wirtschaftssystems hin: Es preist zwar die Kosten für die Haltung und Ernährung sogenannter Nutztiere mit ein. Ignoriert werden aber die »versteckten« Kosten, die durch die schädlichen Auswirkungen des Tierproduktkonsums auf die menschliche Gesundheit und die natürlichen Ressourcen entstehen. Diese Auswirkungen betreffen die gesamte Gesellschaft, statt das Verursacherprinzip anzuwenden.

Wie teuer eine gerechtere Umgestaltung unseres Ernährungssystems wäre, hat kürzlich die »Food and Land Coalition« berechnet. Demnach wären bis zum Jahr 2030 Investitionen in Höhe von bis zu 350 Milliarden US-Dollar nötig. Die jährlichen Einsparungen, die sich aus der Vermeidung versteckter Kosten ergeben, würden diese hohen Ausgaben allerdings mehr als aufwiegen: Sie würden sich bis zum Jahr 2050 auf 10,5 Billionen US-Dollar belaufen. Zum Vergleich: Allein die USA geben 2.000 Milliarden Dollar zum Auffangen der Corona-Krise aus. Die Investitionen sind also durchaus tragbar.

Änderung des Preissystems

Olivier de Schutter, ehemaliger Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, schreibt: »Jede Gesellschaft, in der eine gesunde Ernährung teurer ist als eine ungesunde Ernährung, ist eine Gesellschaft, die ihr Preissystem ändern muss.« Dies gilt gleichermaßen für eine Gesellschaft, in der umweltschädliche Lebensmittel aus tierquälerischer Haltung billiger sind als Lebensmittel, welche die natürlichen Ressourcen und das Wohlbefinden der Tiere respektieren.

Zur Anpassung des Preissystems werden im CIWF-Bericht steuerliche Veränderungen vorgeschlagen: Steuern könnten auf ungesunde, umweltschädliche Lebensmittel – einschließlich industriell produzierter Tierprodukte – erhoben werden. Alle so erzielten Einnahmen müssten dazu verwendet werden, die Kosten für gesunde, nachhaltige Lebensmittel zu senken. Landwirte, die gesunde, nachhaltige Lebensmittel produzieren, sollten darüber hinaus mit Subventionen unterstützt werden. Werden dafür bereits existierende Subventionen umgeleitet, würden die öffentlichen Ausgaben laut CIWF nicht steigen.

Ergänzend weisen wir darauf hin, dass die biovegane Landwirtschaft wesentliche Beiträge zur Lösung der oben genannten Probleme leisten kann. Warum die vegane Ernährung unverzichtbar für eine nachhaltige und gerechte Zukunft ist, besprechen wir auch in unserem Interview mit Prof. Andreas Pfennig.

Wir müssen handeln

Um allen im Bericht vorgestellten Herausforderungen zu begegnen, ist eine grundlegende Veränderung unseres Ernährungssystems unumgänglich. Ein »Weiter so wie bisher« wird nach der Meinung von Experten zu immer neuen Pandemien, der Verstärkung des Klimawandels, einem post-antibiotischen Zeitalter und mehr Hunger in der Welt führen. Ein alternatives (Land)wirtschaftssystem könnte die Welt für künftige Generationen erhalten und ihnen ein gesundes und glückliches Leben auf unserem Planeten ermöglichen.

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