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Anbindehaltung bedeutet Tierleid

Glücklich grasende Kühe auf weitläufigen Weiden – dieses Bild haben viele vor Augen, wenn sie an Rinderhaltung in Deutschland denken. So leben jedoch die wenigsten Rinder hierzulande. Laut der Landwirtschaftszählung 2020 hatten 2019 nur 31 % der Tiere Weidegang. Selbst die Rinder, die zeitweise in den Genuss einer Weide oder eines Auslaufs kommen, können regelmäßig über Stunden, Tage, Monate oder gar Jahre im Stall festgebunden werden. Diese rückständigste Form der Haltung erzeugt psychisches und physisches Leiden bei den Tieren – und gehört daher abgeschafft.

Die Organisation Expertise for Animals hat kürzlich in einem ausführlichen White Paper wissenschaftlich beschrieben, warum Rinder, die dauerhaft oder zeitweise festgebunden werden, leiden. Diese Punkte fassen wir hier zusammen. Im White Paper finden Sie darüber hinaus auch eine tierethische Einschätzung der Anbindehaltung sowie Informationen zur öffentlichen Debatte und der Situation in Österreich und der Schweiz.

Was ist Anbindehaltung?

Anbindehaltung bedeutet, dass Rinder am Hals mittels Ketten, Gurten oder Stangen (»Rahmen«) im Stall fixiert werden. Ihr Bewegungsradius wird so auf ein bis zwei Schritte eingeschränkt. Sich umzudrehen ist ihnen nicht möglich. Sie stehen oder liegen die ganze Zeit auf ein- und derselben Stelle.

Die sogenannten Anbindestände, in denen die Rinder angebunden sind, werden nach ihrer Länge unterschieden. Heutzutage kommt hauptsächlich der Kurzstand mit 1,40 bis 1,80 Meter Länge zum Einsatz.

In manchen Betrieben sind die Tiere immer oder fast immer angebunden. Ausnahmen kann es dabei für Kühe kurz vor und während der Geburt geben. Viele Betriebe halten Rinder aber auch »nur« zu bestimmten Zeiten regelmäßig in Anbindehaltung, zum Beispiel in den kalten Monaten des Jahres oder nachts. Diese Form wird von der Agrarindustrie auch Kombinationshaltung genannt, da zwei Haltungsformen kombiniert werden. Diese Wortschöpfung hat den Effekt, dass Kombinationshaltung bei Diskussionen um die Anbindehaltung von Befürworter:innen oft nicht mitgemeint ist, sondern nur die ganzjährige Anbindehaltung.

In diesem Artikel (und meist auch sonst) meinen wir und andere Tierschützer:innen mit Anbindehaltung beide Formen, die dauerhafte und die zeitweise, da beides in jedem Fall Leid erzeugt.

Wie viele Rinder leben in Anbindehaltung?

Anbindehaltung findet man heute vor allem in kleinbäuerlichen, traditionellen Betrieben im Alpenraum (Bayern, Baden-Württemberg, Österreich, Schweiz). Anbindehaltung betrifft dabei nicht nur »Milchkühe«. Laut der Landwirtschaftszählung 2020 gab es 2020 in Deutschland rund 1,1 Millionen Haltungsplätze in Anbindeställen für Rinder. Bei »Milchkühen« liegt der Anteil bei 11 % aller Haltungsplätze, bei den übrigen Rindern bei 9 %.*

Von den Betrieben mit Anbindehaltung halten 52 % die Rinder in »Kombinationshaltung«. Die anderen 48 % halten die Rinder in ganzjähriger Anbindehaltung.

Ist Anbindehaltung erlaubt?

Auch wenn Anbindehaltung nach Meinung vieler Expert:innen und auch Landwirt:innen gegen Tierschutzvorgaben verstößt (siehe Fazit), ist sie in Deutschland nicht explizit verboten.

Verbindliche Regelungen, zum Beispiel zur Größe des Anbindestands oder Mindestvorgaben zum Auslauf, gibt es ebenfalls nicht. Einen Eindruck dessen, was in der Landwirtschaft als vertretbar gilt, gibt eine 2019 vorgelegte »konkrete, praxistaugliche und nachhaltige« Beschreibung der Kombinationshaltung durch Vertreter:innen der bayerischen Milchwirtschaft: Rinder sollen demnach 120 Tage im Jahr Bewegung erhalten (das muss nicht zwingend Weidegang sein) – und dürfen demzufolge 245 Tage im Jahr angebunden sein. Mit einem »Mehr an Tierwohl« im Stall (etwas mehr Platz und z. B. Licht im Stall oder eine Haltungsberatung) können den Tieren aber auch 90 Tage Bewegung und 275 Tage Anbindehaltung zugemutet werden, so der Vorschlag.

Laut EU-Recht ist es verboten, Kälber anzubinden – ausgenommen sind Kälber in Gruppenhaltung zur Fütterung und nicht länger als eine Stunde (Anhang 1 Nr. 8 RL 2008/119/EG, § 5 TierSchNutztV).

In der Biohaltung ist die saisonale Anbindehaltung unter bestimmten Bedingungen noch für Betriebe mit weniger als 50 Tieren erlaubt (Art. 39 VO (EG) Nr. 889/2008, Anhang II Teil II Nr. 1.7.5. VO (EG) Nr. 834/2007).

Was sind die Probleme der Anbindehaltung?

Kühe in Anbindehaltung
© Animal Rights Watch e. V. (ARIWA)

Rinder laufen auf einer Weide täglich zwischen einem und dreizehn Kilometer. Angebundene Rinder stehen dagegen lange Zeit an ein und demselben Fleck und sind gezwungen, dort zu essen, zu liegen und ihr Geschäft zu verrichten. Haben Rinder die Wahl, trennen sie Ess-, Liege- und Kotbereich voneinander. Das Stehen in den beengten Anbindeständen schränkt die Tiere in ihrer Bewegungs- und Verhaltensfreiheit enorm ein und widerspricht ihren natürlichen Bedürfnissen und Verhaltensweisen. Auch ein normaler Kontakt zu Artgenoss:innen ist ausgeschlossen. Die Anbindehaltung hat daher negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Rinder, die auch durch saisonale Weidehaltung nicht aufgehoben werden können.

Das Wohlbefinden eines Lebewesens lässt sich anhand dreier Aspekte näher untersuchen: Gesundheit, Verhalten und Emotionen.

Gesundheit

Angebunde Rinder sind stark in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und stehen oft in ihren eigenen Exkrementen. Häufig leiden sie daher unter Bein- und Klauenerkrankungen. Zum einen fehlt die natürliche Abnutzung der Klauen, sodass es bei fehlender Klauenpflege durch den:die Landwirt:in zu schmerzhaften Fehlstellungen kommen kann. Zum anderen führt das lange Stehen, oft auf Gittern oder Kanten und in feuchten Verhältnissen, häufig zu schmerzhaften Infektionen der Haut im Klauenbereich (Dermatitis Digitalis, kann über 80 % der Rinder betreffen), Sohlenblutungen (bis zu 7,7 %), Sohlenballengeschwüren (bis zu 4,7 %) oder Ballenhornfäule (bis zu 100 %).

Die hohe Belastung mit Ammoniak, das bei der Zersetzung von Kot und Urin entsteht, belastet zudem die Atemwege und kann zu Erkrankungen wie der Rindergrippe führen.

Euterentzündungen kommen in Anbindehaltung nachweislich häufiger vor als in Laufstallhaltung. In besonders beengten Anbindeständen kann es außerdem passieren, dass sich Kühe gegenseitig am Euter verletzen oder dass es zu Verletzungen kommt, weil sie gezwungen sind, auf Kanten zu liegen.

Die unnatürliche Fütterungssituation an der Futterkrippe, die nicht den normalen Bewegungsabläufen (Grasen im Gehen) entspricht, begünstigt zudem Verdickungen und krankhafte Veränderungen der Karpalgelenke (Vorderfußwurzelgelenke).

Verhalten

Der Bewegungsmangel, die fehlende Trennung der Funktionsbereiche (Essen, Liegen, Ausscheidungen) und den klimatischen Bedingungen im Stall (z. B. stickiger Hitze) ausgeliefert zu sein, schränkt das Wohlbefinden der Rinder sehr ein.

Angebundene Rinder sind außerdem kaum in der Lage, sich selbst zu lecken, mit den Hörnern zu kratzen, an einem Baum zu scheuern oder sich anderweitig zu pflegen. Rinder, denen diese Körperpflege längere Zeit nicht möglich ist, beginnen häufig mit Futter zu werfen, um den Juckreiz irgendwie zu stillen. Daraus können sich Stereotypien** entwickeln.

Nicht zu unterschätzen ist zudem die reizarme Umgebung während des Angebundenseins. Die Langeweile führt häufiger zu Verhaltensproblemen wie dem stereotypen Futterwerfen. Auch die konzentrierte Fütterung in der Krippe – im Kontrast zu mehrstündigem Grasen – sorgt nur für wenig Beschäftigung. Die Fütterung sowie Schalen- oder Zungentränken entsprechen auch nicht dem natürlichen Nahrungs- und Wasseraufnahmeverhalten der Rinder (Grasen im Gehen, Trinken durch Eintauchen des Munds und Einsaugen des Wassers).

Das eingeschränkte Platzangebot führt häufig dazu, dass Rinder Probleme beim Hinlegen und Aufstehen haben. Der Prozess läuft unter natürlichen Bedingungen nach einem festen Bewegungsmuster ab. In Anbindehaltung müssen die Tiere oft davon abweichen, sie brauchen deshalb deutlich länger, brechen den Prozess häufiger ab und versuchen es insgesamt weniger, bleiben also länger liegen oder stehen. Rinder liegen, wenn ausreichend Platz ist, sieben bis zwölf Stunden am Tag, hauptsächlich um zu verdauen. Das veränderte Verhalten in zu engen und zu kurzen Anbindeständen kann daher unter anderem zu Verdauungsproblemen führen. Liegen die Rinder zu wenig, sind sie gestresst.

Verhindert wird auch ein natürliches Sozialverhalten zwischen den Tieren. Rinder leben unter naturnahen Bedingungen in Gruppen von 20 bis 30 Tieren, innerhalb derer es Hierarchien und Freundschaften gibt. Angebundene Rinder können dagegen nur schwer mit anderen Tieren interagieren, zum Beispiel durch Belecken, oder ranghöhere Tiere meiden.

Muss eine Kuh ihr Kalb im Anbindestand gebären (nicht alle Betriebe halten dafür »Abkalbebuchten« vor), bedeutet das enorme Stress für beide, denn unter naturnahen Bedingungen würde sich die Kuh für die Geburt von der Herde zurückziehen. Eine angebundene Mutterkuh kann sich anschließend auch nur sehr begrenzt um ihr Kalb kümmern. In der Milchindustrie ist es außerdem üblich, Kalb und Kuh kurz nach der Geburt zu trennen, was für beide Tiere mit erheblichem Stress verbunden ist.

Emotionen

Wie Rinder die Anbindehaltung empfinden, kann man nur schwer untersuchen. Negative Emotionen wie Frust und Langeweile führen jedoch häufig zu Stereotypien wie dem oben erwähnten Futterwerfen. Bei Rindern ist auch das Rollen mit der Zunge verbreitet, das sogar so weit gehen kann, dass die Nahrungsaufnahme vernachlässigt wird.

Eine Studie hat zudem die Emotionen von Rindern anhand der Augen- und Ohrenstellung untersucht. Demnach hat der tägliche Zugang zu einer Weide eine positive Wirkung auf die Emotionen der Rinder, ein Anbindestall dagegen nicht.

Fazit: Zähes Ringen um ein überfälliges Verbot

Kühe auf Alm
© Sven Mieke – Unsplash

Anbindehaltung verstößt gegen Tierschutzgesetze, die bestimmen,

  • dass Tieren ohne vernünftigen Grund keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden dürfen (§ 1 TierSchG),
  • dass sie ihrer Art und ihren Bedürfnissen entsprechend angemessen ernährt, gepflegt und verhaltensgerecht untergebracht werden müssen (§ 2 Nr. 1 TierSchG) und
  • dass ihre Möglichkeit zu artgemäßer Bewegung nicht so weit eingeschränkt werden darf, dass Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden entstehen (§ 2 Nr. 2 TierSchG, Anhang Punkt 7. RL 98/58/EG).

Zu diesem Fazit kommen nicht nur Expertise for Animals und wir, sondern auch weitere Expert:innen und Gerichte, unter anderem die Tierrechtsexpert:innen Jens Bülte, Barbara Felde und Christoph Maisack in einem Gutachten aus dem Jahr 2022 und ein Rechtsgutachten aus dem Jahr 2023, das von Greenpeace in Auftrag gegeben wurde. Außerdem hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zuletzt 2023 in einem Gutachten für die EU-Kommission das EU-weite Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung empfohlen.

An anderer Stelle ist das (dauerhafte) Anbinden von Tieren längst verboten, zum Beispiel bei Kälbern (siehe oben) und bei Pferden. Das Verbot der Anbindehaltung von Hunden wurde 2021 mit nur einem Jahr Übergangsfrist beschlossen.

Zwar steht auch die Anbindehaltung bei Rindern hierzulande seit Jahren in der Kritik, sogar in Teilen der Landwirtschaft. Es gab auch politische Versuche, zumindest ein Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung zu erwirken. Stärker waren jedoch bislang immer die Gegenstimmen der Agrarlobby, die oft wirtschaftlich argumentiert. Diese Rechtfertigung von Tierleid allein durch wirtschaftliche Gründe ist jedoch nach dem Urteil zum Kükentöten zumindest fragwürdig.

Immerhin hat sich die Ampelregierung (SPD, Grüne, FDP) die Abschaffung der Anbindehaltung (leider eher nicht der Kombinationshaltung) in den Koalitionsvertrag geschrieben. Als Übergangsfrist sind zehn Jahre angedacht. Viel passiert ist in dieser Hinsicht noch nicht. Allerdings wird aktuell das Tierschutzgesetz überarbeitet. Der letzte Entwurf dazu ist jedoch eine Verschlimmbesserung, da er Anbindehaltung für Betriebe mit maximal 50 Tieren erlaubt – und sie so gesetzlich legitimiert.

Der Lebensmitteleinzelhandel geht derweil zumindest in kleinen Schritten voran: In der Haltungsform-Kennzeichnung ist die ganzjährige Anbindehaltung ab Stufe 2 ausgeschlossen, die Kombinationshaltung ab Stufe 3. Mehrere Unternehmen haben angekündigt, unter ihren Eigenmarken in Zukunft keine Trinkmilch mehr aus Stufe 1 und teils auch Stufe 2 anzubieten.

Die Impulse des Handels sind sehr wichtig. Denn wenn keine Produkte mehr aus Anbindehaltung verkauft werden, kann das einiges ins Rollen bringen – wie schon bei der Abschaffung der Käfighaltung von Legehennen. Noch besser und endgültiger wäre jedoch ein baldiges bundesweites Verbot jeglicher Anbindehaltung – ohne Ausnahmen – durch die Politik. Wirklich gut geht es Rindern zwar auch in anderen Haltungsformen der Massentierhaltung nicht. Die Anbindehaltung ist jedoch besonders tierschutzwidrig.

 


* Die restlichen Haltungsplätze für Rinder in Deutschland waren laut Landwirtschaftszählung 2020 in Laufstallhaltung (83 %) und »anderen Stallhaltungsverfahren« (7 %). Darüber, ob die Tiere Zugang zu einer Weide oder einem Laufhof hatten, geben diese Zahlen jedoch keine Auskunft. Ganzjährige Freilandhaltung wurde außerdem gar nicht erfasst.

** Eine Stereotypie ist eine Störung der Psycho­motorik mit Bewegungen, Haltun­gen, Handlungen oder ver­balen Äuße­run­gen, die häu­fig ü­ber lange Zeit und in im­mer glei­cher Weise oh­ne einen der Situati­on an­gemesse­nen Sinn wie­der­holt bzw. bei­behalten werden.

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