Die Ampel und der Tierschutz
Am 24. November stellten die Verhandlungsführer:innen der künftigen Regierungskoalition ihren Koalitionsvertrag vor. Die Vertreter:innen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP betonten dabei ihren Willen zur Veränderung und zum Fortschritt, nicht nur, um Krisen wie die Covid-19-Pandemie und die Klimaerhitzung anzugehen.
Dass mit Bündnis 90/Die Grünen eine Partei mitregieren wird, die in Tierschutzfragen als relativ progressiv zu bezeichnen ist, lässt hoffen, und man merkt es dem Koalitionsvertrag auch an. Dass die Partei die aus unserer Sicht wünschenswerten Ziele in jedem Fall durchsetzen kann, ist jedoch eher nicht zu erwarten.
Überraschend wurde Cem Özdemir von den Grünen zum Bundeslandwirtschaftsminister erkoren. Bisher ist Özdemir auf den Gebieten Landwirtschaft und Ernährung ein eher unbeschriebenes Blatt, um es vorsichtig auszudrücken. Eine kurze Recherche in den Posts des aktiven Twitterers zeigt, dass sein letzter Beitrag dort zum Thema Tierschutz aus dem Jahr 2017 stammt ‒ originäres politisches Interesse am Thema sieht für uns anders aus. Immerhin ist er seit 30 Jahren überzeugter Vegetarier und rief mehrmals per Tweet zum muslimischen Opferfest zu Geldspenden auf, anstatt Tiere töten zu lassen. Da wir Cem Özdemir insgesamt als durchsetzungsstark und zupackend einschätzen, erhoffen wir uns von ihm zumindest, ein paar mutige Schritte im Tierschutz und dass er sich nicht von der Agrarlobby gängeln lassen wird.
Diese Ziele haben sich die Parteien in Bezug auf landwirtschaftliche Tiernutzung gesetzt:
- Ab 2022 soll es eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung geben, die auch Transport und Schlachtung umfasst. Das Ziel sind EU-weit einheitliche Standards.
- Außerdem soll eine Herkunftskennzeichnung eingeführt werden.
- Die Entwicklung der Tierbestände soll sich an der Fläche orientieren (gemeint ist wohl die sogenannte Flächenbindung) und mit den Zielen des Klima-, Gewässer- und Emissionsschutzes vereinbar sein.
- Landwirte (vermutlich auch Landwirtinnen) sollen beim »artgerechten« Umbau der »Nutztierhaltung« und auf dem Weg zur Klimaneutralität unterstützt werden.
- Die Treibhausgasemissionen aus der Tierhaltung sollen (unter Berücksichtigung des »Tierwohls«) reduziert werden.
- Die rechtlichen Vorschriften zum Schutz vor Stallbränden sollen verschärft werden.
- Der Antibiotikaeinsatz soll gesenkt werden.
- Lebendtiertransporte in Drittstaaten sollen nur erlaubt werden, wenn sie auf nachgewiesen »tierschutzgerechten« Routen stattfinden.
- Tiertransporte sollen durch regionale und mobile Schlachtungen reduziert werden.
- Kameragestützte Überwachungssysteme sollen bei Schlachthöfen in »tierschutzrelevanten Bereichen« eingeführt werden können.
- Gesetzeslücken sollen geschlossen und das Tierschutzgesetz »verbessert« sowie besser durchgesetzt werden. Konkret sollen die Anbindehaltung abgeschafft, »Qualzucht« konkretisiert und nicht-kurative Eingriffe reduziert werden.
- Teile des Tierschutzrechts sollen in das Strafrecht überführt und das maximale Strafmaß erhöht werden.
- Das Amt einer oder eines Tierschutzbeauftragten soll eingeführt werden.
- Pflanzliche Alternativen sollen gestärkt und pflanzliche Innovationen in der EU zugelassen werden.
Es kommt auf die Umsetzung an
Viele Punkte lesen sich erst einmal gut, die meisten sind jedoch nicht genau definiert, reine Absichtsbekundungen oder sehr niedrigschwellig angelegt. So kann es immer noch sein, dass sie nachher, wenn überhaupt, nur halbgar oder mit großen Schlupflöchern für die Agrarlobby umgesetzt werden. Oder dass sie nicht weit genug gehen. Wie viel Einfluss erhält der oder die Tierschutzbeauftragte zum Beispiel? Wie streng und nach welchen Kriterien werden die Tierbestände reguliert und die Tierhaltung beurteilt? Welche rechtlichen Änderungen wird es geben und werden diese auch umgesetzt?
Weitere Kritikpunkte: Die Anbindehaltung wird erst in zehn Jahren abgeschafft. Bis dahin ist sie somit als legal akzeptiert und ob die sogenannte Kombinationshaltung (teils Anbindehaltung, teils Auslauf) erlaubt bleibt, ist unklar. Lebendtiertransporte in Drittstaaten bleiben erlaubt ‒ da war selbst das Klöckner-Ministerium weiter. Es ist weder ein Reduktionsprogramm für tierliche Lebensmittel geplant, noch findet man ein klares Bekenntnis zur Verringerung der Tierbestände im Vertrag. Außerdem wird die Fischerei weiter gestärkt und Angeln gilt plötzlich als Natur- und Artenschutz. Ein großes Problem ist, dass die Regierung offenbar keine staatlichen Mittel in die Hand nehmen möchte, um den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren. Wie das funktionieren soll, ist unklar.
Unsere Forderungen wurden leider nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Ohne bundesweites Verbandsklagerecht können Tierschutzorganisationen in weiten Teilen Deutschlands nicht für die Tiere vor Gericht klagen. Und solange die Verantwortung für den Tierschutz im selben Ministerium wie die Landwirtschaft liegt, bleibt der Interessenkonflikt zwischen Tierausbeutung und Tierschutz bestehen. Auch wenn dieses Ministerium durch einen Grünen-Minister geführt wird.
Tierschutzarbeit bleibt wichtig
Die Verhandler:innen der Koalitionsparteien haben sehr miteinander gerungen, um sich auf die Vorhaben im Koalitionsvertrag zu einigen, wie sie mehrfach betonten. Genauso werden auch wir und andere Tierschutzorganisationen in den kommenden Jahren mit der Politik, vor Gericht und mit Unternehmen ringen, um Verbesserungen für die Tiere zu erreichen. Dabei werden wir uns auf die guten Absichten im Koalitionsvertrag beziehen und die Regierungsparteien an ihr Versprechen von Veränderung und Fortschritt erinnern.
Sie können unseren Einsatz für die Tiere mit einer Spende unterstützen.