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Nathan Runkle: Mit 15 Jahren zum Orga-Gründer

Nathan Runkle
© Mercy For Animals

Unsere Interviewreihe geht in die nächste Runde: Nach Paul Shapiro (Humane Society of the United States), Camilla Björkbom (Djurens Rätt), Philip Lymbery (Compassion in World Farming) und Ria Rehberg (Animal Equality) steht uns heute Nathan Runkle Rede und Antwort. Nathan ist der Präsident von Mercy For Animals, einer gemeinnützigen Organisation aus den USA, die sich u. a. gegen Misshandlungen von sogenannten Nutztieren einsetzt.

Nathan, du warst erst 15 Jahre alt, als du Mercy For Animals gegründet hast. Was hat dich in so jungen Jahren dazu inspiriert, die Organisation zu gründen?

Ich bin auf einer Farm in einer Kleinstadt in Ohio aufgewachsen. Meine Kindheit habe ich mit vielen unterschiedlichen Tieren verbracht; ich war begeistert von der Tier- und Pflanzenwelt in meiner Umgebung, und unsere Hunde und Katzen waren meine besten Freunde. Sie haben mir beigebracht, dass Tiere Bedürfnisse, Wünsche, Neugier und individuelle Eigenheiten haben – genau wie Menschen.

Schon als ich sehr jung war, habe ich realisiert, dass es nicht immer logisch ist, welchen Lebewesen gegenüber sich Menschen mitfühlend verhalten. Meine Familienmitglieder liebten die Tiere, die sie als Gefährten ansahen; für die »Nutztiere« oder die Tiere, die gefangen oder gefischt wurden, hatten sie jedoch keine Rücksicht übrig.

Bereits in meiner Kindheit habe ich unfreiwillig Gewalt gegen Tiere erlebt – Taten, die für andere einfach zum Alltag des Landlebens gehörten. Allerdings hat ein ganz bestimmter Fall von Tierquälerei letztlich dazu geführt, dass ich Mercy For Animals (MFA) gegründet habe:

Der Fall hat sich im Jahr 1999 zugetragen, als ich 15 Jahre alt war. Ein Lehrer an einer lokalen High School, der auch Schweine hielt, brachte einen Eimer voller Ferkel mit in den Landwirtschaftskurs. Die Ferkel waren gerade einen Tag alt und sollten von der Klasse untersucht und seziert werden. Der Lehrer hatte die Ferkel am Morgen auf seiner Farm getötet, doch eines war noch am Leben. Ein Schüler, der auf der Farm des Lehrers gearbeitet hatte, versuchte nun, das Ferkel endgültig zu töten. Er griff das Tier an den Hinterbeinen und schlug seinen Kopf auf den Boden.

Doch der Tötungsversuch scheiterte; das Ferkel starb nicht, obwohl sein Schädel gebrochen war und Blut aus seinem Mund strömte. Einige entsetzte Schüler trugen das kleine Tier daraufhin zu einer anderen Lehrerin, die es zu einem Tierarzt brachte. Dort wurde es eingeschläfert.

Der Schüler und der Farmer wurden daraufhin wegen Tierquälerei angezeigt. Das hat große Medienaufmerksamkeit und viele Diskussionen in der kleinen landwirtschaftlichen Gemeinde ausgelöst. Traurigerweise wurde das Verfahren nach nur einem Tag eingestellt. Es stellte sich heraus, dass es in der Landwirtschaft Standard ist, Ferkel durch einen Schlag auf den Boden zu töten. Und alles, was in der US-Landwirtschaft Standard ist, ist straffrei.

Dieses Ereignis hat mich dazu motiviert, diese in meinen Augen schwerwiegende Ungerechtigkeit zu korrigieren. Mercy For Animals wurde noch im gleichen Jahr aus der Taufe gehoben. Ursprünglich sollte sich die Organisation um den Schutz aller Tiere kümmern. Sie konzentriert sich jetzt jedoch auf die Tiere, die für die Erzeugung von Nahrung gezüchtet und getötet werden. Die Tiere, die in der Nahrungsmittelindustrie gehalten werden, machen nicht nur zahlenmäßig den größten Anteil aus, sondern müssen auch die schlimmsten Misshandlungen ertragen. Weggesperrt von der Öffentlichkeit, brauchten die Tiere in Massentierhaltungsanlagen und in Schlachthöfen einen Verbündeten, der für sie sprach. Wir waren entschlossen, die Stimme dieser Tiere zu werden.

Bitte gib uns doch einen Überlick über die heutigen Ziele von Mercy For Animals.

Sehr gerne! Die Mission von Mercy For Animals ist es, die sogenannten Nutztiere vor Grausamkeiten zu bewahren und tierfreundliche Ernährungsweisen zu fördern. Wir sind heute in den USA, Kanada, Mexiko, Brasilien, Indien und China aktiv.

Eines unserer hauptsächlichen Ziele ist derzeit, die Misshandlungen von Mastvögeln zu beenden. Dazu gehört auch die Überbelegung von Ställen, schlechte Einstreu, zu wenig Beschäftigungsmaterial sowie eine Zucht auf eine schnelle Gewichts- und Größenzunahme. Weitere Themengebiete sind das Verstümmeln ohne Betäubung wie z. B. Kastration, Schwänzekupieren, Enthornung und das Schnabelkürzen; das Einhängen von lebenden Vögeln bei der Fließbandschlachtung; die Zwangsfütterung von Enten für Stopfleber und schließlich die starke Bewegungseinschränkung von Tieren – nämlich in der Form von Käfigbatterien für Legehennen, Kälberboxen und Kastenständen für Zuchtsauen.

Während wir die Bedingungen für die Tiere verbessern wollen, arbeiten wir auch daran, durch Kampagnen für eine pflanzenbasierte Ernährung die Nachfrage nach Fleisch, Milch und Eiern zu reduzieren.

Mercy For Animals ist bekannt für seine Undercover-Recherchen. Wie genau werden diese Recherchen ausgeführt? Was konntet ihr mit ihnen erreichen?

Undercover-Ermittler sind für mich die heimlichen Helden der Tierschutzbewegung. Sie riskieren ihre persönliche Sicherheit, um Beweise für Tierquälerei zu sammeln, die dann die Basis für Kampagnen und juristische Fälle bilden. Die Ermittler müssen täglich Misshandlungen von Tieren miterleben und sich emotionalen und physischen Belastungen aussetzen, die traumatisch sein können.

Unsere Ermittler bewerben sich für Jobs in Tierhaltungsanlagen, Brütereien und Schlachthöfen – so wie jeder andere potenzielle Arbeitnehmer. Wenn Sie angestellt werden, gehen sie, ausgestattet mit versteckten Kameras, zur Arbeit und dokumentieren, was passiert. Jeden Abend gehen sie die Aufnahmen durch, protokollieren, was sie gesehen haben und senden die Daten an unsere Zentrale.

Ein Recherche-Einsatz kann ein paar Wochen bis sechs Monate lang dauern. Wenn ein Ermittler Gesetzesbrüche feststellt, treffen wir uns mit Strafverfolgungsbehörden, um die Beweise zu präsentieren und um sie dazu zu bewegen, Anklage wegen Tierquälerei zu erheben.

Falls der Tierhaltungsbetrieb an ein großes Unternehmen angebunden ist – z. B. McDonald’s – kontaktieren wir das Unternehmen und fordern Änderungen. Manchmal werden die Unternehmen daraufhin sofort aktiv; oft aber auch nicht. Wenn sie nicht aktiv werden, veröffentlichen wir die Recherche, typischerweise durch eine große Berichterstattung in den Medien und eine anschließende Pressekonferenz.

Es ist bemerkenswert, mit wie viel Kraft Undercover-Recherchen einen Wandel hervorrufen können. Unsere Recherchen haben zu historischen Veränderungen für die sogenannten Nutztiere geführt. Nach sechs Undercover-Recherchen bei den Schweinefleisch-Zulieferern von Walmart hat das Unternehmen bekanntgegeben, dass es nicht nur von Kastenständen abrücken würde, sondern auch von Käfigbatterien, Kälberboxen, Verstümmelungen ohne Betäubung und anderen Grausamkeiten. Walmart verkauft in den USA fast 25 % aller Lebensmittel; das war also ein riesiger Erfolg.

Nestlé, der größte Nahrungsmittelhersteller der Welt, hat nach einer MFA-Recherche weitreichende Anpassungen seiner Tierschutzleitlinie bekanntgegeben. Die Recherche hatte strafrechtlich relevante Tierquälerei auf einer Milchfarm, die Nestlé mit Käse beliefert hatte, aufgedeckt. Die neue Leitlinie hat nicht nur das Leben von Milchkühen verbessert, sondern sich auch mit grausamen Schlachtmethoden, Verstümmelungen, der intensiven Unterbringung mit starken Bewegungseinschränkungen von Schweinen und Hühnern und mehr befasst. Diese Leitlinie wirkt sich auf mehr als 90 Länder aus.

Wir haben bereits 50 Recherchen durchgeführt. Dies sind nur zwei Beispiele dafür, wie solche Einsätze den Wandel voranbringen können.

Welche anderen Arbeitsbereiche habt ihr? Was waren dort die größten Erfolge?

Es gab so viele. Um nur wenige Beispiele zu nennen:

Mit unserer Rechtsabteilung wollen wir die wenigen Gesetze, die es für den Schutz der sogenannten Nutztiere gibt, stärken. Wir fordern außerdem strengere Bundesgesetze, um die Tiere zu schützen. Wir haben über 75 Strafverfolgungen wegen Tierquälerei angestoßen und konnten beispielsweise die allererste Verurteilung in einem Fall von Tierquälerei bei Vögeln in der Massentierhaltung erwirken.

Durch gewonnene Verfahren, die qualvolle Tierhaltungspraktiken verboten haben, konnten wir die Lebensumstände von mehr als 30 Mio. Tieren pro Jahr verbessern.

Indem wir an Unternehmen herantreten, möchten wir die größten Firmen der Nahrungsmittelbranche – alle von Walmart bis zu McDonald’s – dazu bewegen, sich von den schlimmsten Praktiken der Massentierhaltung zu verabschieden. Durch die veränderten Unternehmensstrategien, die wir angestoßen haben, konnte pro Jahr das Leben von mehr als 400 Mio. Tieren verbessert werden. Mit unserer Arbeit konnten wir mit erreichen, dass fast jede große Supermarktkette in den USA und Kanada sich 100 % gegen Käfighaltung bei Legehennen positioniert hat. Damit ersparen wir jedes Jahr über 100 Mio. Hennen die Gefangenschaft in grausamen Käfigen.

In diesem Jahr werden wir voraussichtlich 1 Mio. Menschen dazu inspirieren, sich vegetarisch zu ernähren. Unzählige Personen konnten wir bereits davon überzeugen, ihren Fleischkonsum zu reduzieren. Damit bleibt Millionen von Tieren pro Jahr ein leidvolles Leben in der Massentierhaltung erspart.

Wie sieht dein typischer Arbeitstag als Präsident von Mercy For Animals aus?

Es gibt keinen typischen Tag, und das genieße ich. Mit dem Wachstum der Organisation hat sich auch meine Rolle entwickelt. Ich verbringe viel Zeit unterwegs, z. B. mit Fundraising. Ich treffe Unterstützer, halte Vorträge und arbeite mit Prominenten und anderen einflussreichen Personen zusammen. Wir haben ein unglaubliches Team mit brillanten Leitern, daher kann ich mich immer mehr auf solche externen Projekte konzentrieren. Gerade arbeite ich zum Beispiel an meinem ersten Buch, und ich helfe auch dabei, neue Initiativen zu entwerfen und an den Start zu bringen.

Nathan, du siehst sehr viel Leid und Grausamkeit. Wie schaffst du es, deine positive Einstellung zu behalten? Hast du einen Rat für Aktivisten, denen es schwer fällt, eine Balance zu finden?

Man muss sich bewusst machen, dass wir in einem Bereich arbeiten, der traumatisch sein kann. Wir sind so viel Grausamkeit und Gewalt ausgesetzt; da ist es enorm wichtig, dass wir auf uns selbst achtgeben. Leider tun das nur wenige Menschen, die sich für die Tiere einsetzen. Deshalb sehen wir innerhalb unserer Bewegung auch so viele Fälle von Burn Out. Für mich persönlich heißt »auf mich achtgeben«, ein fröhliches Leben zu führen. Ich umgebe mich mit Freunden, die mich unterstützen. Ich habe einen Therapeuten. Außerdem mache ich Sport, vor allem Yoga und Radfahren. Ich finde es sehr wichtig, dass man lacht und sich kreativ betätigt. Mit Reisen kann man aus seiner alltäglichen Gedankenwelt ausbrechen.

Auch, wenn das Ausmaß des Leids leicht überwältigend sein kann, ist es wichtig, Erfolge zu feiern – und davon gibt es viele. Ich sehe mich selbst als einen ewigen Optimisten. Ich denke, dass wir uns selbst die Erlaubnis geben müssen, glücklich zu sein. Traurig und wütend rettet man keine Tierleben. Deprimiert und isoliert bringt man die Gesellschaft nicht vorwärts. Ich finde es äußerst wichtig für den Erfolg unserer Bewegung, dass man als gutes Beispiel vorangeht, sich auf Lösungen konzentriert und ein glückliches Leben lebt.

Wie akzeptiert ist der vegane Lebensstil in der amerikanischen Gesellschaft?

Die Verbreitung des veganen Lebensstils wächst sprunghaft an, besonders bei jungen Leuten. Einer aktuellen Studie zufolge bezeichnen sich 12 % der Millennials (die Generation der zwischen 1980 und 1999 Geborenen) als Vegetarier; in der Generation X (zwischen 1965 und 1980 Geborene) sind es nur 4 %, bei den Baby Boomern (Angehörige der geburtenstarken Jahrgänge um 1950) nur 1 %. Zweifellos schreitet der Veganismus von Generation zu Generation weiter voran, so wie auch viele andere Themen, die sich mit sozialer Gerechtigkeit befassen.

Wir erleben auch eine sehr schnelle Vergrößerung der veganen Produktpalette in den Supermärkten. Im ganzen Land öffnen außerdem immer mehr vegane Restaurants, darunter einige unglaublich gute, komplett vegane Ketten. Der vegane Lebensstil hat den Mainstream erreicht.

Aus deiner persönlichen Erfahrung: Wie überzeugt man andere am besten von den Vorteilen des veganen Lebensstils?

Wenn man im persönlichen Gespräch ist, ist es meiner Meinung nach sehr wichtig, gut zuzuhören. Finde heraus, woran dein Gesprächspartner interessiert ist. Gib ihm das Gefühl, wirklich gehört zu werden. So kann man lernen, welche Themen für diese Person am wichtigsten sind. Bei älteren Personen ist das z. B. oft die Gesundheit. Wenn das der Fall ist, spricht man mit der Person über die gesundheitlichen Vorteile einer pflanzenbasierten Ernährung. Für andere Menschen, meist die Jüngeren, ist unser Umgang mit den Tieren das entscheidende Thema.

Ich finde, es ist wichtig, dem Gesprächspartner zu zeigen, dass man die gleichen Werte teilt. Zum Beispiel sind fast alle Menschen gegen Tierquälerei. Dann geht es nur darum, über den Einfluss der veganen Ernährung zu sprechen und zu zeigen, dass sie Tierquälerei verhindern kann. Ich glaube, dass es auch hilfreich ist, über sich selbst zu reden; zu zeigen, was für einen selbst hilfreich war, anstatt mit dem Finger auf die andere Person zu zeigen. Menschen gehen schnell in die Defensive, wenn sie sich beurteilt fühlen.

In einem größeren Maßstab gedacht, haben die sozialen Medien ein riesiges Potenzial, einen Wandel in der Bevölkerung voranzubringen. Wichtige Inhalte in den sozialen Netzwerken zu teilen ist ein einfacher und wirksamer Weg, um das eigene soziale Umfeld mit Informationen über die Vorteile des veganen Lebensstils zu versorgen. Allein im letzten Jahr wurden die MFA-Videos im Internet mehr als 110 Millionen Mal angesehen – meist, weil sie in den sozialen Netzwerken geteilt wurden.

Welche Rückschläge hast du in deiner Karriere als Aktivist erfahren und was hast du aus ihnen gelernt?

Es gab zu viele Rückschläge, als dass ich sie alle nennen könnte. Aber meine Erfahrung ist, dass man immer etwas aus einem Rückschlag lernen kann. Herausforderungen als Lektionen zu betrachten – das ist der richtige Weg. Wenn man sich immer wieder fragt, welche Lehre man aus etwas ziehen kann und diese dann auch in seinen Gedanken oder in seinem Verhalten umsetzt, dann wächst man daran.

Ich denke, es ist wichtig, dass man sein Ego aus seiner Arbeit heraushält und ehrlich mit sich selbst ist. Man sollte nicht zu selbstkritisch sein. Es ist auch wichtig, dass man sich selbst und anderen verzeihen kann, wenn man einen Rückschlag erlebt. Gruppiert euch neu, konzentriert euch, und macht weiter. Lasst euch die Vergangenheit eine Lehre sein, aber bleibt auf die Zukunft fokussiert, während ihr in der Gegenwart lebt.

Gibt es noch irgendetwas, das du hinzufügen möchtest?

Ich möchte euch für eure wunderbare Arbeit für die Tiere danken. Und ich möchte allen Leserinnen und Lesern für alles danken, was sie tun, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Gemeinsam können wir wunderbare Dinge erreichen.

Vielen Dank für das Interview!

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