Ria Rehberg: Animal Equality in Deutschland
Im Rahmen unserer Interviewreihe haben wir bereits mit Paul Shapiro (Humane Society of the United States), Camilla Björkbom (Djurens Rätt) und Philip Lymbery (Compassion in World Farming) gesprochen. Für unser heutiges Gespräch bleiben wir in Berlin und sprechen mit Ria Rehberg, der 2. Vorsitzenden von Animal Equality in Deutschland. Ria erläutert unter anderem, welche Ziele Animal Equality international und hierzulande verfolgt und gibt einen Einblick in das neue Virtual-Reality-Projekt »iAnimal«.
Ria, du bist 2. Vorsitzende von Animal Equality in Deutschland. Bitte gib uns einen kleinen Überblick: Seit wann existiert Animal Equality, wo ist die Organisation aktiv und was sind eure Ziele?
Im Jahr 2006 fasste eine kleine Gruppe engagierter Tierrechtler in Spanien den Entschluss, eine neue Organisation zu gründen, die das Leiden der Tiere ins öffentliche Interesse rücken sollte. Die kleine Gruppierung machte schnell durch Undercover-Recherchen in Schlachthäusern, Kletteraktionen in Stierkampfarenen und Tierbefreiungen auf sich aufmerksam.
Von dem Erfolg ihrer Kampagnen inspiriert, gründeten sie kurz darauf einen zweiten Ableger der Organisation in Großbritannien. Weitere Gruppen in Italien und Mexiko folgten wenige Jahre später. Die drei Gründungsmitglieder Sharon Nuñez, Jose Valle und Javier Moreno leiten auch heute noch die Organisation, die mittlerweile in acht Ländern auf drei Kontinenten aktiv ist. Animal Equality Germany wurde dann 2012 in Stuttgart gegründet.
Animal Equality versteht sich als internationale Organisation, die sich so wirkungsorientiert und effizient wie möglich gegen Tierquälerei einsetzt. Der Fokus unserer Arbeit liegt auf der Nutztierindustrie, da diese international für das meiste Tierleid verantwortlich ist. Gleichzeitig erlaubt dieser Fokus, dass wir mit relativ geringem Aufwand eine sehr große Anzahl von Tieren vor einem schlimmen Schicksal bewahren können. Wir hoffen, mit unserer Arbeit zu einem langfristigen sozialen Wandel beitragen zu können und arbeiten auf eine Welt hin, in der alle Tiere mit Mitgefühl und Achtung behandelt werden.
Was waren bisher die größten Erfolge von Animal Equality – international und in Deutschland?
Ein Schwerpunkt unserer Arbeit liegt auf dem Aufdecken der Zustände in der Nutztierindustrie. Dafür schleusen sich Undercover-Ermittler in Schlacht-, Zucht-, und Mastbetriebe ein und dokumentieren, welche Qualen die Tiere in diesen Industrien erleiden müssen. Betäubungslos getötete Schweine; Kälber, die ihren Müttern entrissen werden; Legehennen, die vor lauter Stress ganz kahl gerupft wurden. Die Bilder und Videos, die wir dort aufzeichnen, haben oftmals das Potenzial zu traumatisieren. Erfolgreich sind diese Aufnahmen dann, wenn wir durch Medien- und Öffentlichkeitsarbeit erreichen, dass eine möglichst große Anzahl von Menschen von den Zuständen in der Nutztierhaltung erfährt – und daraufhin die eigenen Konsumentscheidungen überdenkt und solche Zustände nicht mehr finanziert. Einige unserer erfolgreichsten Aufdeckungen in Deutschland – wie die Zustände beim Tierschutzsiegel »Gutfleisch« oder einem Wiesenhof-Zulieferer von Weihnachtsenten – erreichten allein über die Medien über 60 Millionen Menschen. Für uns ist das ein Grund zur Freude – denn selbst wenn nur 5 Prozent dieser Menschen fortan beginnen, ihre Ernährung umzustellen, so bedeutet das langfristig für Millionen Tiere, dass sie kein Leben in Qual und Elend mehr führen müssen.
Eine unserer erfolgreichsten internationalen Kampagnen führen wir bezüglich des Hunde- und Katzenfleischhandels in China. Dort gelang es uns, ein Hundeschlachthaus und verschiedene Geschäfte, die Handel mit Hunden und Katzen betrieben, zu schließen. In diesen Geschäften wurde vorher mit rund 1,5 Millionen Tieren pro Jahr gehandelt. Wir sind auch weiterhin in China aktiv und arbeiten daran, das Bild von Tieren in der Gesellschaft zum Positiven zu verändern.
Auch in Ländern wie Indien sehen wir großes Potenzial für einen positiven Wandel für Tiere. So hat die Leiterin unserer Gruppe in Indien, Amruta Ubale, nicht nur durchsetzen können, dass die Anzahl der Tiere beim weltgrößten Opferfest – dem Gadhimai Fest – drastisch reduziert wurde, sondern sie konnte auch ein länderweites Verbot von Stopfleber durchsetzen.
Vor Kurzem habt ihr iAnimal veröffentlicht – ein Virtual-Reality-Projekt. Was genau darf man sich darunter vorstellen?
iAnimal ist ein Projekt, welches die neuartige Virtual-Reality-Technologie mit Aufklärungsarbeit für Tierrechte verbindet. Mit 360°-Videoimpressionen erhält der Zuschauer einen authentischen Einblick in Schweinemastbetriebe und Schlachthäuser. Am eindringlichsten ist die Erfahrung über Virtual-Reality-Brillen, die Interessierte aufsetzen und die sie scheinbar mitten in das Leben eines Schweins in der Nutztierindustrie versetzen.
Wir möchten die Neugier und Faszination hinsichtlich der neuen Technologie nutzen, um Menschen die Möglichkeit zu geben, selbst zu erleben, wie es sich anfühlt, ein Tier in der Fleischindustrie zu sein.
Teil des Projekts ist neben einer interaktiven Tour durch das Leben eines Schweins, welche auf www.ianimal360.de zu sehen ist, auch ein 360° Videozusammenschnitt, der von Thomas D eingesprochen wurde. Außerdem sind wir auf Messen, in Fußgängerzonen und an Universitäten mit Virtual-Reality-Brillen vor Ort, um möglichst vielen Menschen einen realistischen Einblick in die Nutztierindustrie zu geben.
Wo sind die Aufnahmen für iAnimal entstanden? Wie seid ihr an das verwendete Videomaterial gekommen?
Die Aufnahmen wurden zwischen Dezember 2014 und Januar 2016 in Deutschland, Großbritannien, Italien, Spanien und Mexiko aufgenommen. Teilweise haben unsere Ermittler monatelang daran gearbeitet, Beziehungen zu Menschen in Schlachthöfen herzustellen, bis wir die Erlaubnis bekamen, dort zu filmen. Andere Aufnahmen sind entstanden, indem Ermittler nachts offenstehende Betriebe besuchten und die dort lebenden Tiere filmten.
Ist iAnimal eine einmalige Aktion oder plant ihr noch weitere Projekte dieser Art?
iAnimal ist auf jeden Fall ein Projekt, welches Animal Equality über viele Jahre begleiten wird. Wir werden in den nächsten Monaten noch zusätzliche Aufnahmen aus Legehennen-, Masthühner-, Milchkuh-, und Entenbetrieben veröffentlichen. Außerdem haben wir gerade erst damit begonnen, das Projekt mit VR-Brillen in den Ländern, in denen wir feste Standorte haben, auf die Straßen und an Universitäten zu bringen. Auch stellen wir unser 360°-Videomaterial und das Know-How bezüglich der neuen Technologie anderen Gruppen auf der ganzen Welt zur Verfügung, damit möglichst viele Menschen weltweit die Möglichkeit bekommen, die Realität der Nutztierhaltung selbst hautnah zu erleben.
Ria, seit wann engagierst du dich für Tierrechte? Wie bist du zu Animal Equality gekommen?
Rückblickend würde ich sagen, dass die beiden besten Entscheidungen meines Lebens waren, vegan zu werden und mich für Tierrechte zu engagieren. Beides passierte ungefähr zeitgleich im Jahr 2011. Ich hatte schon vorher das Gefühl, ein erfülltes Leben zu führen – ich studierte im sonnigen Madrid, hatte einen wundervollen Freundeskreis und immer etwas vor. Doch seitdem ich aktiv begonnen habe, mich gegen Ungerechtigkeiten einzusetzen, habe ich erfahren, was es bedeutet, eine Mission zu haben und einen höheren Sinn im Leben zu sehen. Nichts ist dankbarer und erfüllender, als anderen zu helfen und gemeinsam für eine bessere Welt zu kämpfen.
Anfangs habe ich mich hauptsächlich auf Demonstrationen und durch Aktionen in verschiedenen lokalen Tierrechtsgruppen engagiert. Anfang 2012 bin ich dann zu Animal Equality gestoßen; die Gruppe steckte in Deutschland gerade in der Gründung. Mich faszinierte der Ansatz und das Engagement der Gründer und ich stieg ziemlich bald fest in der Organisation ein. Mittlerweile sind wir 12 Vollzeit-Mitarbeiter an unseren Standorten in Stuttgart und Berlin und zählen zusätzlich auf die regelmäßige Unterstützung von über 20 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern.
Welche Rückschläge musstest du bisher in deiner Tierrechtsarbeit einstecken und was hast du aus ihnen gelernt?
Ich begehe täglich Fehler und ich hoffe, täglich aus ihnen zu lernen. Eine große Stärke unserer Organisation ist es, dass wir unsere Arbeit ständig neu evaluieren, dass wir keine Angst davor haben, Fehler einzugestehen und dass wir in unserer Arbeitsweise flexibel bleiben. Das kann auch bedeuten, Strategien, die wir jahrelang verfolgt haben, über Bord zu werfen, weil neue Erkenntnisse zeigen, dass sie nicht gut genug funktionieren.
Für mich war es eine riesige Offenbarung, festzustellen, dass es besser ist, wenn ich mich in meinen Gesprächspartner hineinversetze und die Person dort abhole, wo sie gerade steht, anstatt immer das nach außen zu kommunizieren, was für mich persönlich das wichtigste Anliegen ist. So habe ich jahrelang versucht, Menschen vom veganen Leben zu überzeugen, indem ich ihnen immer und immer wieder Vorträge darüber hielt, für wie verantwortungslos ich den Konsum von Tierprodukten halte und wie notwendig der sofortige Umstieg auf eine vegane Lebensweise ist. Auch wenn dies meine persönliche Einstellung war, so erreichte ich damit in der Regel jedoch nicht mein Ziel. Stattdessen fühlten meine Gesprächspartner sich von mir bewertet, unter Druck gesetzt und herabgewürdigt. Heute empfehle ich Menschen eher, ihren Fleischkonsum vorerst zu reduzieren und sich Schritt für Schritt an eine pflanzenbasierte Ernährung heranzutasten.
Hast du einen Tipp für Leser:innen, die sich für Tiere engagieren möchten und noch nicht genau wissen, wie?
Niemand von uns hat unendlich viel Zeit, Geld oder Energie, um etwas Gutes auf dieser Welt zu bewegen. Wenn wir uns also für Tiere (oder auch irgendein anderes Anliegen) engagieren möchten, so macht es doch Sinn, dass wir uns überlegen, wie wir mit unseren Ressourcen so viel Gutes wie möglich schaffen können, also wie wir die größtmögliche Wirkung für Tiere erzielen können. Für jede Person kann die Antwort eine andere sein: Eine Freundin von mir, die leidenschaftliche Cupcake-Bäckerin ist, bietet in der Innenstadt vegane Köstlichkeiten gegen Spenden an und spendet die Einnahmen an besonders effektive Tierrechtsorganisationen. Ein weiterer Freund verteilt Broschüren an Universitäten, die Studierenden (die Zielgruppe, die Studien zufolge am ehesten bereit ist, ihre Ernährung umzustellen) den Umstieg zur pflanzlichen Ernährung erleichtern sollen. US-amerikanischen Studien zufolge kann pro jeder zweiten verteilten Broschüre ein Tier vor einem schrecklichen Schicksal gerettet werden!
Ein weiterer Bekannter von mir verbringt seine Zeit auf Lebenshöfen und fotografiert die dort lebenden Tiere, um die Bilder später über Facebook an tausende Menschen zu verbreiten und ihnen aufzuzeigen, dass zwischen einem Schwein, einer Katze, einem Huhn und einem Hund eigentlich kein so wesentlicher Unterschied besteht: Denn sie alle wollen nichts weiter, als ihr Leben in Ruhe und Frieden zu verbringen.
Wenn du den heutigen Stand der Tierrechtsbewegung mit dem Stand von vor 5 Jahren vergleichst, welche Entwicklung imponiert dir am meisten? Was, glaubst du, wird die Bewegung in 10 Jahren erreicht haben?
Noch vor wenigen Jahren musste ich in verschiedene Supermärkte laufen, teilweise auch online bestellen, um ein etwas aufwendigeres veganes Gericht zu kochen. Heutzutage finden wir in Deutschland in fast jedem Supermarkt unzählige Produkte, mit denen wir leckere Veggie-Gerichte zaubern können. Teilweise gibt es sogar ganze Regale voller veganer Köstlichkeiten. Dieser Vegan-Boom ist sicherlich nicht nur auf die Tierrechtsbewegung zurückzuführen, aber dennoch ein großer Anlass zur Freude, macht er doch die Umstellung für Menschen heutzutage viel einfacher, als sie noch vor wenigen Jahren war.
Meine große Hoffnung für die Zukunft liegt bei den Tierproduktalternativen. Ich glaube, dass die meisten Menschen möglichst »echte« Fleisch-, Milch-, und Eialternativen benötigen, um die Umstellung zu vollziehen. Auch in-vitro-Alternativen werden dabei wahrscheinlich eine große Rolle spielen. Und umso größer die Masse an Menschen wird, die sich vegetarisch und vegan ernähren, desto eher werden wir als Gesellschaft bereit sein, Tieren endlich ihr Recht auf Leben zuzugestehen.
Möchtest du noch etwas hinzufügen?
Lediglich vielen Dank für das Interview und einen ganz besonderen Dank an das gesamte Team der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt für die fantastische Arbeit, die ihr leistet!