Paul Shapiro: eine Tierschutzlegende
Paul Shapiro ist Vizepräsident für den Schutz von »Nutztieren« bei der Humane Society of the United States (HSUS) – der größten Tierschutzorganisation der Welt. Er wurde 2008 in die Animal Rights Hall of Fame gewählt, in die Menschen aufgenommen werden, die sich seit mindestens zehn Jahren in besonderer Weise für Tierrechte einsetzen.
Wir stellen Ihnen Paul Shapiro im Rahmen unserer neuen Interviewreihe vor, in der es um Personen und Organisationen geht, die sich außerhalb Deutschlands effektiv für die Tiere einsetzen. In unserem Interview erläutert Shapiro unter anderem, wofür sich die HSUS einsetzt, warum er vegan lebt und wie sich der Konsum tierlicher Lebensmittel in den USA entwickelt.
Paul, du bist der Vizepräsident für den Schutz von Nutztieren bei der HSUS. Könntest du uns einen kurzen Überblick über die HSUS geben? Seit wann gibt es die Organisation, und mit was beschäftigt sie sich hauptsächlich?
Die Humane Society of the United States wurde 1954 gegründet und ist die größte Tierschutzorganisation Amerikas. Wir betreiben ein Netzwerk von Tierheimen und Wildtierstationen, organisieren kostenlose Kastrationen und andere direkte Pflege- und Betreuungsangebote für Tiere. Gemeinsam mit unserer internationalen Partnerorganisation, der Humane Society International, beschäftigen wir uns außerdem mit der institutionalisierten Gewalt gegen Tiere. Ob Massentierhaltung, Massenzuchtbetriebe für Hunde, organisierte Tierkämpfe oder andere Arten von Tiermissbrauch – unsere 600 Mitarbeiter setzen sich gegen die schlimmsten Grausamkeiten und für eine humanere, gerechtere Gesellschaft ein. In diesem Video stellen wir unsere Arbeit für die sogenannten »Nutztiere« kurz vor (auf Englisch).
Was waren bisher die größten Erfolge der HSUS, speziell im Bezug auf die sogenannten »Nutztiere«?
Wir haben eine Initiative angeführt, die schließlich zur Folge hatte, dass 10 US-Staaten per Gesetz einige der grausamsten Methoden der Massentierhaltung verboten haben, darunter die Käfighaltug von Legehennen, Kastenstände, Kälberkäfige und das Kupieren von Schwänzen. Die Humane Society International erzielt ähnliche Erfolge in Südamerika und anderswo. Darüber hinaus haben wir mit fast 100 großen Lebensmitteleinzelhändlern zusammengearbeitet, um Tierschutzreformen durchzusetzen. Hierbei geht es vor allem darum, die Lieferanten der Händler dazu zu bewegen, die Käfighaltung von Legehennen und Kastenstände in der Schweinehaltung aufzugeben. Außerdem konnten wir mit Initiativen wie unserem »Meatless Monday«-Programm dazu beitragen, dass hunderte Schulbezirke, Colleges, Universitäten, Krankenhäuser und anderen Einrichtungen mit Gemeinschaftsverpflegung ihren Fleischverbrauch drastisch reduziert haben. Das ist auch einer der Gründe, warum unsere Gegner aus der tierhaltenden Industrie ziemlich sauer auf uns sind. Was genau sie über uns denken, zeigt dieses Video (auf Englisch).
Kannst du uns etwas über eure aktuellen Kampagnen erzählen? Woran arbeitest du gerade?
Wir haben ein Expertenteam, dass eng mit Küchenchefs und Ernährungsspezialisten zusammenarbeitet, um ihnen ganz praktisch dabei zu helfen, weniger Fleisch zu verwenden und das vegane Angebot in ihren Kantinen auf- und auszubauen. Wir kämpfen außerdem für Gesetze, welche die Käfighaltung von Hennen verbieten, und setzen uns gegen Gesetze ein, die das Filmen und Fotografieren in Tierhaltungsbetrieben verbieten sollen. Außerdem arbeiten wir daran, die große Lebensmittelhandelskette Costco dazu zu bewegen, keine Käfigeier mehr zu verkaufen. Wir haben gerade eine neue Undercover-Recherche über einen Eier-Lieferanten von Costco veröffentlicht. An diesem Thema werden wir in den nächsten Monaten noch intensiv weiterarbeiten.
Seit wann und warum lebst du vegan? Wie kamst du zum Aktivismus?
Ich bin vor etwa 22 Jahren Veganer geworden. Ein Video, das die Zustände in der Massentierhaltung, in Schlachtbetrieben, in Zirkussen und anderen Einrichtungen zeigte, hat mich nachhaltig beeindruckt. Was ich sah, schockierte mich, und ich wusste sofort, dass es mein Leben verändern würde. Da ich nicht länger Gewalt und Grausamkeit unterstützen wollte, entschied ich mich für eine »Leben und leben lassen«-Mentalität gegenüber anderen Lebewesen und fing an, meine Ernährung entsprechend umzustellen. Es ist unglaublich, was für eine Kraft von einem einzigen Video ausgehen kann!
Welche Rückschläge musstest du während deiner Karriere als Aktivist einstecken und was hast du aus ihnen gelernt?
Als sehr junger Aktivist habe ich natürlich viele Fehler gemacht, und ich mache auch heute noch einige. Neuen Veganern rate ich vor allem, verständnisvoll zu sein. Wenn man beurteilend, kritisch und unhöflich auf andere wirkt, wird man höchstwahrscheinlich nicht viel Gutes für die Tiere bewirken. Manche Leute fühlen sich gut, wenn sie andere niedermachen, aber das ist nicht wirklich effektiv. Wir sollten als gutes Beispiel vorangehen und versuchen, uns so zu verhalten, dass andere uns mögen und auch so sein möchten wie wir. Wenn man in einer vegan-freundlichen Welt leben will, sollte man selbst ein freundlicher Veganer sein.
Hast du einen Rat für Menschen, die sich für Tiere engagieren möchten und noch nicht genau wissen, wie?
Man sollte den Kontakt zu anderen positiven Menschen suchen, die die eigenen Werte teilen. Wenn man Läufer werden will, hilft es sehr, wenn man viel mit anderen Läufern zu tun hat. Wenn man Spanisch lernen willst, trifft man sich am besten mit Leuten, die Spanisch sprechen. Wenn du anfangen willst, dich vegan zu ernähren, hilft es sehr, wenn du viel Zeit mit anderen Veganern verbringt. Wichtig ist außerdem, seinem eigenen persönlichen Tempo zu folgen. Man sollte damit anfangen, langsam immer mehr pflanzliche Nahrungsmittel in seine Ernährung zu integrieren und zum Beispiel erst einmal ein paar Tage in der Woche vegan zu essen. Oder man probiert, sich erst einmal jeden Tag bis 18 Uhr vegan zu ernähren. Bei den meisten Menschen sind die bisherigen Essgewohnheiten tief verwurzelt, und deshalb ist es auch schwierig, sie auf einmal zu ändern. Eine langsame Veränderung der eigenen Gewohnheiten kann effektiver sein als ein ganz plötzlicher Übergang zur veganen Ernährung.
Welche Tierrechts – bzw- Tierschutzthemen werden in den USA gerade am meisten diskutiert?
Es wird viel über die Frage diskutiert, wie man den Tieren am besten helfen kann. Ein kleiner Teil der veganen Szene streitet darüber, wie die vegane Ernährung wahrgenommen werden sollte: als pragmatischer Versuch, die Welt so gut es uns möglich ist zu verbessern, oder als eine starre, kompromisslose Überzeugung, bei der es mehr um persönliche »Reinheit« als um Pragmatismus geht. Es ist wahrschenlich bereits klar geworden, auf welcher Seite ich stehe.
Wie hat sich der Konsum von Fleisch, Eiern und Milch in den letzten Jahrzehnten in den USA verändert?
Die US-Amerikaner essen weniger Fleisch – heute 10% weniger pro Person als noch im Jahr 2007. Die Aussichten für die Fleischindustrie haben sich in den USA so sehr verschlechtert, dass die NASDAQ [die größte elektronische Handelsplattform für Wertpapiere in den USA, Anm. der ASSfuM] einen Artikel mit dem Titel »How the ‚Death of Meat’ Could Impact Your Portfolio« veröffentlicht hat [auf Deutsch etwa: »Wie der ‚Tod des Fleisches’ Ihr Portfolio beeinflussen könnte«]. In dem Artikel raten die Analysten den Investoren, »zwei Mal darüber nachzudenken, in Aktien der Fleischindustrie zu investieren«, da »der Fleischkonsum immer weiter sinkt. Dies könnte ein hohes Profitpotenzial für Investitionen in Alternativen nach sich ziehen.«
Besonders faszinierend ist, dass der Rückgang des Fleischkonsums nicht mit einer bedeutenden Zunahme der vegetarischen Ernährung einhergeht. Der Anteil der Vegetarier an der amerikanischen Bevölkerung liegt schon seit Jahren bei 5-8 %. Wichtig ist hier der Anteil der Menschen, die keine Vegetarier sind, aber weniger Fleisch essen. Diese Menschen befeuern den Trend. Im Jahr 2013 wurde im Rahmen einer Studie herausgefunden, dass sich weniger als 10 % der Amerikaner als Vegetarier identifizieren. Trotzdem kauft aber mehr als ein Drittel vegetarische oder vegane Fleischalternativen. Anders gesagt: Der Markt für vegetarische Fleisch-Alternativen wird hauptsächlich von nicht-Vegetariern angetrieben.
In Deutschland wird der vegane Lebensstil immer beliebter. Er wird auch mehr und mehr akzeptiert. Es kommen laufend neue vegane Produkte und Kochbücher auf den Markt, und auch vegane Restaurants häufen sich (zumindest in den Großstädten). Beobachtest du in den USA eine ähnliche Entwicklung? Wenn ja, welche Strategie hast du, um diesen veganen »Trend« weiter zu befeuern?
Das Interesse an veganer Ernährung wird auch in den USA immer größer. Das führt dazu, dass immer mehr vegane Optionen auf den Markt kommen. Wichtig für diese Entwicklung ist, dass man die Angelegenheit nicht mit einer »Ganz oder gar nicht«-Mentalität betrachtet, sondern es auch gutheißt, wenn die Menschen einen Schritt nach dem anderen machen.
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Jahrelang standen Tierschützer bei Diskussionen auf der richtigen Seite. Heute sind wir nicht nur auf der richtigen Seite, sondern auch auf der Seite, die immer wieder gewinnt. Möge dieser Erfolg für die Tiere weitergehen!