Living Blue Planet: Meere in Gefahr
Im August veröffentlichte die Umweltorganisation WWF (World Wide Fund For Nature) ihren »Living Blue Planet Report«. Dabei handelt es sich um eine Spezialausgabe des »Living Planet Report«, die mit frappierenden Zahlen die aktuelle Lage der Weltmeere beschreibt und eindringlich davor warnt, die Ozeane und ihre Lebewesen weiterhin so auszubeuten, wie es gerade geschieht. Aufgrund der Dringlichkeit wurde der Report bereits dieses Jahr und nicht im üblichen Zwei-Jahres-Rhythmus erst 2016 veröffentlicht.
Drastischer Rückgang der Tier- und Pflanzenvielfalt
Die beunruhigendste Zahl des Living Blue Planet Reports mag wohl der »Living Planet Index« für marine Populationen sein, der über 5.800 Tierbestände von über 1.200 verschiedenen Arten erfasst: Zwischen 1970 und 2012 haben sich die Populationszahlen von Meeressäugern, Seevögeln, Reptilien und Fischen fast halbiert. Laut Bericht als »wirtschaftlich wichtig« geltende Fischbestände wie z. B. Makrelen oder Thunfische sind sogar um 74 % zurückgegangen; rund ein Viertel der weltweiten Hai- und Rochenarten sind vom Aussterben bedroht. Und auch Lebensräume in der Tiefe des Meeres wie beispielsweise im Nordatlantik werden durch den Menschen zerstört: Der Index für Tiefsee-Fischarten in dieser Region hat sich in den letzten 40 Jahren um fast Dreiviertel verringert, was u. a. auf aggressive Fangmethoden wie über den Meeresboden pflügende Grundschleppnetze zurückzuführen ist. Auch andere marine Lebewesen sind gefährdet: So ist beispielsweise der Seegurken-Bestand auf den Galapagos-Inseln zwischen 1993, als der offizielle Fischereibetrieb begann, und 2004 um ganze 98 % zurückgegangen.
Durch vermehrte Fischerei, schlechte Wasserqualität durch küstennahe Landwirtschaft, Entwaldung, Küstenausbau, Schiffe und Häfen sowie erhöhte Wassertemperaturen und Säuregehalte sind mittlerweile Dreiviertel der weltweiten Korallenriffe bedroht. Prognosen gehen davon aus, dass – wenn sich nichts an den steigenden Wassertemperaturen und der Übersäuerung ändert – Korallenriffe im Jahre 2050 komplett verschwunden sein werden. Rund ein Viertel aller marinen Lebewesen sind jedoch auf Korallenriffe als Lebensraum angewiesen: Zwischen 1979 und 2010 ist der Index für den Bestand von Fischen, die mit und in Korallenriffen leben, bereits um 34 % gesunken.
Ein weiterer wichtiger Lebensraum, der sich nicht im, aber direkt am Wasser befindet, sind Mangrovenwälder. Fast ein Fünftel der weltweiten Mangrovenwälder sind zwischen 1980 und 2005 vor allem zur Flächengewinnung für Aquakultur, Landwirtschaft und Tourismus abgeholzt worden.
Warnende Zahlen im Living Blue Planet Report
Der Living Blue Planet Report beschreibt die Gesamtsituation mit den Worten »Our ocean under pressure« – unser Ozean unter Druck: Zahlen wie die 300-prozentige Steigerung des Schiffsverkehrs in den letzten 20 Jahren, die vorausgesagte Erwärmung der Wassertemperatur um 3 bis 5 Grad bis 2100 und die 8 Millionen Tonnen Plastikmüll, die jedes Jahr im Meer entsorgt werden, machen deutlich, dass neben der Überfischung die gesamte ökologische Lage der Meere dramatisch ist.
Die Schätzungen des finanziellen Werts der Weltmeere sind beeindruckend, aber regen auch zum Nachdenken an: Weltweit sind Fische eines der am intensivsten gehandelten Güter mit einem jährlichen Handelsvolumen von 144 Milliarden US-Dollar (über 130 Milliarden Euro). Der aktuell absehbare Wert der Ozeane, inklusive sämtlicher direkter und indirekter Faktoren – ersteres z. B. Fischerei, letzteres beispielsweise Tourismus am Meer – wird nach bisherigen Erkenntnissen auf 24 Billionen US-Dollar (über 21,7 Billionen Euro) geschätzt: eine Zahl mit zwölf Nullen, die laut WWF in Wahrheit vermutlich sogar noch größer ist, da der Wert vieler unbekannterer Ökosysteme nicht beziffert werden kann.
Verschmutzung, Überfischung und Zerstörung: Was tun?
Abgesehen von der materialistisch wirkenden Berechnung des Geldwertes von Natur und Lebewesen wird vor allem beim Betrachten der drastisch zurückgehenden Populationszahlen von Tieren und Pflanzen schnell klar: Die Weltmeere und ihre Bewohner sind in Gefahr. Der WWF mahnt, dass bis 2020 mindestens ein Zehntel der marinen Lebensräume in Küstennähe und auf Hoher See als Meeresschutzgebiete ausgewiesen und entsprechend verwaltet werden müssen. Aber auch jeder Einzelne kann die Meere und ihre angrenzenden Lebensräume entlasten, z. B. durch die Reduktion von Plastikmüll, der Einsparung von Emissionen und der Entscheidung auf dem eigenen Teller, den Konsum von Meerestieren drastisch zu reduzieren oder bestenfalls sogar gänzlich einzustellen.
Weitere Informationen zum Thema und wie Sie selbst etwas tun können, finden Sie in unseren Artikeln zu Meerestieren sowie in unserem Artikel »Immer mehr Fisch auf den Tisch?« im Kritischen Agrarbericht 2015.