Hoffnung für das Klima?
Die Meldungen über die Klimakrise und ihre Auswirkungen werden immer bedrohlicher, die Forderungen nach einem Umsteuern immer lauter. Ein neuer Report des Think-Tanks RethinkX zeigt, dass durchaus noch Hoffnung für die Rettung des Klimas bestehen könnte – wenn wir die Lebensmittelindustrie, das Transportwesen und den Energiesektor jetzt grundlegend umgestalten.
Umwälzungen in diesen drei Schlüsselbranchen könnten RethinkX zufolge die Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2035 um 90 % reduzieren. Die nötigen Technologien dafür gibt es bereits oder stehen in den Startlöchern: Solar- und Windkraft, elektrische und autonom fahrende Fahrzeuge sowie – im Lebensmittelbereich – Präzisionsfermentation und die Herstellung von Tierprodukten aus Zellkulturen.
Die Prognosen von RethinkX sind äußerst optimistisch und spekulativ – aber gerade deshalb so spannend und inspirierend: Sie zeigen auf, was alles möglich sein könnte, wenn die Menschheit die Lösung der Klimakrise konsequent vorantriebe.
Beispielsweise geht RethinkX davon aus, dass wir Netto-null-Emissionen in viel kürzerer Zeit erreichen könnten, als man sich das gemeinhin vorstellt: Die Analyse des Think-Tanks zeigt, dass 42 % der Emissionen durch Technologien beseitigt werden können, die sofort einsatzbereit sind – und weitere 45 % durch bestehende Technologien, die dem Report zufolge nur noch geringfügig verfeinert werden müssen. Bislang seien Zeit und Ressourcen jedoch für notdürftige Ansätze zum Aufhalten der Klimaerhitzung verschwendet worden: Subventionen, Steuern, Biokraftstoffe, »saubere Kohle«, »sauberer Diesel« – dies alles seien oberflächliche Lösungsansätze, die lediglich die Symptome und nicht das eigentliche Problem behandelten.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Innovationen in der Lage sind, ganze Branchen innerhalb von nur 10 bis 15 Jahren umzukrempeln – man denke nur an Kutschen und Autos, Festnetztelefone und Handys oder analoge und digitale Kameras. RethinkX will politischen Entscheidungsträger:innen und anderen Verantwortlichen zeigen, dass solche Umstürze nicht linear verlaufen: Der Prozess beginnt zunächst langsam, nimmt dann allmählich an Fahrt auf, bevor er sich exponentiell beschleunigt und abflacht, wenn sich der Markt der Sättigung nähert. Mit genau so einer rasanten Entwicklung gehen die Analysten der Denkfabrik in den genannten Branchen aus.
Umwälzungen in der Lebensmittelindustrie
Wir wollen einen genaueren Blick auf die Umwälzungen in der Lebensmittelbranche werfen. Neben Fleisch aus Zellkulturen nennt RethinkX hier die Präzisionsfermentation und »Food as Software«.
Präzisionsfermentation
Mit der Präzisionsfermentation (PF) können Proteine maßgeschneidert hergestellt werden. Die Methode ist eine Weiterentwicklung der klassischen Fermentation, die schon seit Jahrtausenden vom Menschen angewendet wird – etwa bei der Herstellung von Brot oder Bier. Vereinfacht gesagt werden Mikroorganismen bei diesem Verfahren in die Lage versetzt, fast jedes komplexe organische Molekül produzieren zu können. Proteine – aber auch Fette oder Vitamine – können damit in großen Mengen und zu sehr geringen Kosten hergestellt werden. Doch nicht nur der Preis spricht für PF-Proteine: Sie sind auch gesünder, ressourcenschonender und praktischer zu verarbeiten als tierliche Erzeugnisse.
Das US-amerikanische Unternehmen Impossible Foods nutzt die Präzisionsfermentation bereits bei der Herstellung seiner Hackfleisch-Alternativen. Das StartUp The Better Meat Co. konzentriert sich sogar ausschließlich auf dieses Thema.
Food as Software
»Food as Software« ist eine in der Zukunft mögliche Produktionsmethode. Wenn sich diese Technologie durchsetzt, können Menschen molekulare Rezepte ihrer Lebensmittel erstellen, die dann potenziell überall auf der Welt dezentral in Fermentationsanlagen oder 3D-Druckern hergestellt werden können. Dieses Modell gewährleistet eine ständige Weiterentwicklung, sodass jede Version eines Produkts besser und/oder billiger ist als die vorherige.
Auswirkungen auf die Lebensmittelwirtschaft
In ihrem Bericht »Rethinking Food and Agriculture 2020 – 2030« kamen die Expert:innen von RethinkX bereits vor zwei Jahren zu dem Ergebnis, dass alternative Proteine bis 2030 fünfmal weniger kosten werden als traditionelle tierische Produkte – und bis 2035 sogar zehnmal weniger.
Ob sich die Kosten tatsächlich derart drastisch entwickeln werden, bleibt abzuwarten – trifft die Prognose aber zu, lassen sich die potenziellen Auswirkungen auf tierliche Nahrungsmittel kaum überschätzen. In ihrem aktuellen Bericht gehen die Analyst:innen davon aus, dass die Nachfrage nach Kuhmilch-Produkten bis 2030 um 70 % fallen wird: »Die gesamte Kuhmilchindustrie wird zusammenbrechen, sobald PF-Technologien die Proteine in einer Flasche Milch ersetzen« (Kuhmilch besteht nur zu 3,3 % aus Protein).
Für die anderen Tierindustrien prophezeit RethingX ein ähnliches Schicksal: »Ein Produkt nach dem anderen, das wir aus Tieren gewinnen, wird durch bessere, billigere, sauberere und schmackhaftere Alternativen ersetzt werden« – was folge, sei eine Todesspirale aus steigenden Preisen und sinkender Nachfrage.
Auswirkungen auf die Umwelt
Die Nutztierindustrie beansprucht heute 3,3 Milliarden Hektar Land in Form von Weide- und Futteranbauflächen. Durch die beschriebenen Umwälzungen durch PF und Zellkulturen könnten nach RethinkX-Berechnungen bis zu 80 % dieser Landflächen frei werden – eine Fläche so groß wie die USA, China und Australien zusammen. Diese Fläche könnte eine Menge an CO2-Äquivalenten binden, die bis zu 20 % der heutigen globalen Emissionen entspricht.
Fazit
RethinkX geht davon aus, dass die Umwälzungen im Transportwesen, im Energiesektor und in der Lebensmittelindustrie die größte Reduzierung des menschlichen ökologischen Fußabdrucks in der Geschichte auslösen werden. Auch, wenn wir nicht so optimistisch sind, was Geschwindigkeit und Ausmaß der Entwicklungen angeht, trifft die Richtung der Prognosen wahrscheinlich zu.
Über RethinkX
RethinkX ist eine unabhängige Denkfabrik, die den Umfang, die Geschwindigkeit und das Ausmaß technologiegetriebener Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft analysiert und prognostiziert. Im Gegensatz zu Mainstream-Analysen verfolgt RethinkX keinen linearen Ansatz, sondern berücksichtigt die komplexen Wechselwirkungen verschiedener Entwicklungen. Dazu gehört das Zusammenspiel von Verbrauchern, Unternehmen, Investoren und der Politik.