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»Dürfen wir Tiere essen?« - ein Kommentar zum TV-Talk

Falsch oder richtig handeln
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Am vergangenen Sonntag diskutierte Deutschlands derzeit wohl populärster Philosoph, Richard David Precht, in seiner nächtlichen Fernsehsendung gemeinsam mit Robert Spaemann, einem der »bedeutendsten deutschen Philosophen« (Zitat Precht), die grundsätzliche Frage »Dürfen wir Tiere essen?«. Damit kamen zwei Denker, die sich beide bereits in der Vergangenheit mehr oder weniger mit Tierschutz- und Tierrechtsthemen auseinandergesetzt hatten, zur Klärung einer der wohl drängendsten Fragen des modernen Tierschutzes zusammen. In der nur 45 Minuten dauernden Sendung (siehe unten) konnte einiges zur Sprache gebracht werden. Vieles jedoch wurde auch versäumt zu klären.

Über das moralisch Bessere, das Leiden und das Töten

Die Sendung lieferte bereits ziemlich früh eine überraschende Erkenntnis Robert Spaemanns: »der Verzicht auf das Fleischessen [ist] das Bessere und das moralisch Vollkommenere«. Überraschend vor allem deshalb, weil Spaemann erst kurz zuvor auf Prechts Frage, was bei ihm Weihnachten auf den Tisch komme, kaum zögernd geantwortet hatte: »also ich glaube, ein gutes Stück Fleisch.« In diesem Sinn fuhr Spaemann dann schließlich auch fort, indem er sich trotz seiner höheren Bewertung einer vegetarischen Lebensweise deutlich für die moralische Vertretbarkeit des Fleischessens aussprach. Der Grund für diese dissonante Ansicht? Ein striktes Verbot des Tötens von Tieren könne er nicht begründen, stattdessen aber ein Verbot der »absichtliche[n] Behandlung von Tieren, die ihnen Leiden zufügt.« Damit stand zumindest Spaemanns grundsätzliche Position für die restliche Diskussion fest. Richard David Precht hingegen ließ sich hinsichtlich seines eigenen Fleischkonsums nie direkt in die Karten blicken.

Der weitere Verlauf der Sendung lieferte im Wesentlichen – gefördert durch Prechts oft auch kritischen Bemerkungen, Nachfragen und Gedankenspiele – einen weiteren Einblick in den Gedankenkosmos des eingeladenen Gastphilosophen: So schrieb Spaemann den Menschen zwar eine verantwortende Verpflichtung zu, Tiere vor Leid zu bewahren – gerade die Massentierhaltung im Allgemeinen sowie die Produktion von Stopfleber im Speziellen seien daher seiner Ansicht nach klar zu verbieten. Das Recht zum Töten jedoch (sofern es schmerzlos verlaufe) und Essen von Tieren versuchte er mit Argumenten wie denen zu untermauern, dass Tiere keine Biographie besäßen (und somit nur im Augenblick leben würden) und sie nicht zur Familie/zur Spezies der Menschen gehören.

Eine befriedigende Diskussion?

Was die komplette Sendung betrifft, so kann zunächst einmal festgehalten werden, dass ein fast durchweg gut moderierender Richard David Precht auf einen argumentativ oftmals eher weniger überzeugenden, manchmal mit fragwürdigen Beispielen aufwartenden (»Hitler war Vegetarier«*), ja in kurzen Momenten sogar fast sprachlosen Robert Spaemann traf. Dennoch kam es aber durchaus zu befriedigenden Äußerungen wie z. B. der, dass die Menschen in Bezug auf die Tiere die Folgen ihrer Handlungen direkt sehen sollten (d.h. beispielsweise: keine versteckte Massentierhaltung) oder dass der bloße Gaumenkitzel durch bestimmte Produkte (etwa durch Stopfleber) kein ausreichender Grund für die äußerst tierquälerische Praxis der Herstellung dieser Produkte ist. Gerade auch einige der Fragen Prechts – etwa: »Müssten wir nicht eigentlich freiwillig die Pflicht übernehmen, keine Tiere mehr zu essen?« –, dürften nicht nur Spaemann, sondern auch viele Zuschauer zum verstärkten Nachdenken angeregt haben. Trotz alledem überwogen an der Sendung jedoch die Versäumnisse.

Allgemeine Versäumnisse

Allgemein wünschenswert gewesen wäre es, wenn sich der Gastgeber der Sendung gerade in einigen entscheidenden Momenten eher in die Philosophen-, denn Moderatorenrolle begebenen hätte, um die Ansichten seines Gastes noch konträrer in Frage zu stellen. Da Spaemann Precht als ein zum Fleischkonsum bekennender Philosoph gegenüber saß, hätte ein sich deutlich zum Fleischverzicht bekennender Precht etwa – bei aller Gefahr zum frontenverhärtenden Schlagabtausch, bei jedoch guter Moderationsleistung – sicherlich dazu beitragen können, die gesamte Diskussion noch fruchtbarer und ergebnisorientierter zu gestalten.**

Gerade das eben benannte Manko wird auch seinen Teil dazu beigetragen haben, dass die Diskussion gelegentlich drohte, auf eine zu theoretische Ebene abzudriften. Viel stärker noch hätte sie auf die eigentliche Frage der Sendung und auf die von Precht in seiner Anmoderation hervorgehobene Problematik des gegenwärtig millionenfachen Tierleids durch Schlachtungen und Tierversuche bezogen werden können, um die Brisanz der Ausgangsfrage zu verdeutlichen und eventuelle Lösungswege aufzeigen zu können. Zudem hätten auch die allgemein herrschenden menschlichen Handlungsweisen und -gründe noch stärker hinterfragt und dabei aufkommende zentrale Punkte von einem allgemeinen »die Menschen/die Menschheit« auf den einzelnen denk- und handlungsfähigen Menschen runtergebrochen werden müssen. Sind es nicht zunächst einmal die einzelnen Menschen, die zum Nachdenken und – bei (zu)erkannter Brisanz der Thematik – zum Umdenken angeregt werden müssen? Daher also: Aus welchen Gründen isst ein Großteil der Menschen eigentlich immer noch Tiere und warum sollte sich der einzelne Mensch dennoch der Frage nach seinem eigenen Tierkonsum stellen? Warum genau sollte in erster Linie ich selbst mich fragen, ob ich Tiere essen darf?

Pathozentrismus, Speziesismus und die Tötungsfrage

Wie aus Robert Spaemanns Erläuterungen klar ersichtlich wurde, basieren seine geäußerten Ansichten vor allem auf dem sogenannten pathozentrischen – d.h. die Leidensfähigkeit von Lebewesen in den Mittelpunkt rückenden – und dem speziesistischen – d.h. die Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies in den Mittelpunkt rückenden – Ansatz. Beides führt jedoch zu entscheidenden Problemen: Wenn das Leid in den Mittelpunkt der Betrachtungen gerückt wird, dann kann zwar darüber diskutiert werden, dass Tieren zu ihren Lebzeiten kein Leid zugefügt werden darf. Doch ist damit noch lange nicht geklärt, warum sie grundsätzlich nicht getötet werden sollten, wenn der Tod etwa kurz und (nahezu) schmerzlos herbeigeführt wird. Und wenn in Bezug auf die Tötungsfrage die Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies – etwa aufgrund von bestimmten biologischen Eigenschaften oder artspezifischen Fähigkeiten – als das entscheidende Kriterium definiert wird, dann bedeutet das für all die Lebewesen, die bestimmte vom Menschen festgelegte Eigenschaften und Fähigkeiten nicht mit ihm teilen, dass ihnen schlichtweg kein Lebensrecht zuerkannt wird. Vor allem der letztgenannte Ansatz kann die ihm innewohnende Willkür kaum verbergen.

Ein hauptsächliches Versäumnis der Sendung lag nun gerade auch darin, dass die hier genannten Probleme von Richard David Precht zwar mehr oder weniger erkannt und auch angesprochen wurden – so stellte Precht z. B. klar heraus, dass eine Grenzziehung zwischen Mensch und Tier mit den genannten Ansätzen immer einer gewissen Willkür unterliegt –, jedoch nicht weiter versucht wurde zu klären, ob es nicht doch eine Basis gibt, um auch die Tötungsfrage befriedigend beantworten zu können und einen klaren Weg zu finden, den millionenfachen, mit viel Leid verbundenen Tierschlachtungen etwas entgegenzusetzen. Dabei hätte Precht es sehr leicht gehabt, diesem Versäumnis zu entgehen, wie der abschließende Absatz zeigen soll.

Ein Gesprächsausklang mit Albert Schweitzer – ein besserer Anfang?

Richard David Precht beendete seine Sendung mit einem leicht abgewandelten Zitat Albert Schweitzers (hier im Original): »Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Türe zu ist, damit ja der Hund nicht hereinkomme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen.« Damit griff Precht auf den Ausspruch des Denkers zurück, der mit seiner »Ehrfurcht vor dem Leben« als erster Denker überhaupt konsequent einen Ansatz in der Ethik verfolgte und auch praktisch auslebte, der sich fundamental von den oben angesprochenen pathozentrischen und speziesistischen Ansätzen unterscheidet: den sogenannten biozentrischen Ansatz. Dieser Ansatz bedeutet, dass nicht das Leiden oder die Zugehörigkeit zu einer Spezies als das entscheidende Kriterium zur Bestimmung des richtigen Umgangs mit Menschen und nichtmenschlichen Lebewesen gilt, sondern das Leben an sich. Schweitzer zeigte auf, dass das eigene Existenz- und Entfaltungsrecht sich in keiner Weise vom selben Recht anderer Lebewesen unterscheidet und dass die Tötungsfrage allein davon abhängt, ob eine tatsächliche Notwendigkeit für das Töten besteht. In Bezug auf die gegenwärtige Massentierhaltung und den Lebensbedingungen zumindest in unserer westlichen Welt kann eine solche Notwendigkeit klar verneint werden (s. auch im Zusammenhang mit Schweitzers Ethik einen Essay von Dr. Christian Müller).

Was die Diskussion von Richard David Precht und Robert Spaemann betrifft, so wäre es zu wünschen gewesen, wenn sie nicht mit Schweitzer geendet, sondern vielleicht sogar mit ihm begonnen und seine biozentrische Position bei der Behandlung der Tötungsfrage Berücksichtigung gefunden hätte. Was für die Sendung »Precht« gilt, kann abschließend sogar verallgemeinert werden: Um die gegenwärtigen Übel im Umgang mit den Tieren beseitigen zu können, werden die europäischen Denker zukünftig nicht nur weiter dafür zu sorgen haben, Tiere in der Ethik herumlaufen zu lassen, sondern auch den Mann, der die fehlende Berücksichtigung von Tieren in der Philosophie entschieden anprangerte.

Aufzeichnung

 

* Ob Adolf Hitler tatsächlich Vegetarier war oder nicht, ist eine immer wieder aufkommende Streitfrage zwischen Befürwortern und Gegnern des Vegetarismus. Wie man z. B. hier entnehmen kann, hat Hitler offenbar Fleisch gegessen. Doch letztlich ist diese Frage weitestgehend irrelevant: Denn sollte Hitler trotz aller berechtigten Zweifel, wie von Spaemann behauptet, tatsächlich Vegetarier gewesen sein, so würde dieser Umstand wohl kaum etwas Relevantes über die vegetarische Lebensweise an sich oder über andere vegetarisch lebende Menschen aussagen.

** Dies setzt allerdings voraus, dass Precht tatsächlich inzwischen zum konsequenten Vegetarier geworden ist. Noch im Jahr 2011 erklärte er im Buch »Tier zuliebe« von Birgit Klaus (S. 36 ff.) die vegetarische Ernährung zwar zur ethisch konsequenten Form der Ernährung, gab dabei jedoch zu, dass er selbst ab und an noch Fleisch - mit schlechtem Gewissen - isst.

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