Ausgrenzung Andersdenkender?
Bevor wir unsere Vorstellungsreihe prominenter Tierschützer und Tierrechtler (m/w) fortsetzen, möchten wir versuchen, folgende grundlegende Fragen zu klären, die durch die Veröffentlichung des Textes von Colin Goldner an Aktualität gewonnen haben: Wie scharf und respektlos dürfen andersdenkende Aktive angegriffen werden? Gibt es Fälle, in denen es richtig ist, andersdenkende Menschen und ihre Gruppen auszugrenzen?
Hierzu einige Meinungen:
Wolfgang Schindler: Respektlose Kritik nur in Ausnahmefällen
Respektlose, scharfe Kritik an wem auch immer kann nur ganz ausnahmsweise, z. B. als Reaktion auf einen äquivalenten Angriff, entschuldigt sein.
Ob man jemanden ausgrenzt, hängt von individuell gesetzten, sehr unterschiedlichen Kriterien ab. Es kann bereits das unbedachte Süßen mit Honig ein K.O.-Kriterium sein, was man im Prinzip hinnehmen muss.
Man sollte aber bedenken, dass es in jedem Fall zu wenige Menschen gibt, die sich für die Belange der Tiere, einschließlich ihrer Rechte, engagieren. Daraus folgt, dass man im Interesse unserer gemeinsamen Ziele alles vermeiden sollte, was zur Demotivation anderer führt, auch wenn die Meinungen in vielen Bereichen nicht übereinstimmen. Mit Kritik ist daher behutsam umzugehen. Angriffe auf die Motive der Tierschutzarbeit zugrundeliegenden Überzeugungen anderer sind dabei besonders schädlich und wirken nicht nur demotivierend auf die Aktiven, sondern auch abstoßend auf potentiell engagierte Menschen.
Häufig musste ich feststellen, dass nachhaltige negative Meinungen über andere auf Vorverurteilungen beruhen. Aus bloßen Behauptungen entsteht so ein gefestigtes Bild angeblicher Tatsachen. Solche Tatsachenbehauptungen sind, mögen sie auch einleuchtend klingen, nach meiner Erfahrung selten bewiesen. Aber nur das dürfte bei einer Be- bzw. Verurteilung oder einer Ausgrenzung anderer eine Rolle spielen.
Edgar Hintze: Ist die Ausgrenzung Andersdenkender noch zeitgemäß?
Zweifelsfrei existieren auch in heutiger Zeit totalitäre Ideologien und radikale Splittergruppen. Aber wie sollten wir am besten mit ihnen umgehen und wo liegen die Grenzen? Dazu ist es hilfreich, die Mechanismen hinter totalitären Ideologien genauer zu betrachten. Sämtliche totalitären Ideologien basieren im Kern auf drei Aspekten:
- einer starken Identifikation mit bestimmten Begriffen bzw. Assoziationen,
- einer undifferenzierten Denkweise, die mehr auf Assoziationen als auf Fakten basiert
- und auf dem Formulieren von Feindbildern.
Das Denken, das aus dem Geist der Aufklärung resultiert, setzt hingegen rein auf inhaltliche Auseinandersetzungen. Da Ethik in ihrem Kern auf Logik und Verhältnismäßigkeit basiert, ist das, was faktisch richtig ist, zwangsläufig auch ethisch richtig. Inhaltliche Auseinandersetzungen können daher Ideologien zum Einsturz bringen, der Geist der Aufklärung hingegen wird durch sie ausschließlich gestärkt. Das Formulieren von Feindbildern und die Ausgrenzung Andersdenkender widersprechen daher dem Geist der Aufklärung, sowie der Idee der Tierrechte, die aus ihr hervorgegangen ist.
An diesem Punkt muss ich zugeben, dass ich zu Beginn der Diskussion um den Text von Colin Goldner den Standpunkt vertreten hatte, dass er aufgrund seiner polarisierenden Positionen und seiner relativierenden Äußerungen über das Vorgehen der chinesischen Regierung in Tibet für die Tierrechtsbewegung untragbar wäre. Diese Ansicht habe ich inzwischen revidiert. Zwar halte ich weiterhin viele seiner Ansichten für problematisch. Allerdings bin ich inzwischen zu der Ansicht gelangt, dass es besser ist, zwischen Personen und ihren Ansichten zu differenzieren.
Ich bin davon überzeugt, dass sich Fortschritt und Stärke einer Gesellschaft in erster Linie darin zeigen, wie souverän sie mit den Ansichten von Einzelpersonen, Minderheiten und Splittergruppen umgehen kann. Fanatiker, Ausgrenzer, Dogmatiker und Fundamentalisten diskreditieren sich von selbst, da sie keine Inhalte zu bieten haben, sondern ausschließlich auf Emotionen und polarisierende Äußerungen setzen. Man braucht sie daher nicht auszugrenzen. Das schaffen sie von allein.
Marsili Cronberg: Weil wir es anders nicht mehr schaffen
Vor ein paar Tagen besuchte ich eine ältere Dame mit wachen Augen und freundlichem Lächeln. Sie hat viel gesehen in ihrem Leben, ein Hauch von New Orleans weht durch ihr Haus. Und dann saß sie vor mir, erzählte mir von 5.000 Büchern, die sie gelesen hat und wie enttäuscht sie von der Menschheit ist. Sie zeigte mir Gedichte. Beeindruckende Gedichte. Sie erzählten von ihrem Absprung aus dem fahrenden Zug des Massenkonsums und von der Zerstörung des Planeten durch den Menschen. Im Grunde liebt sie die Menschen, doch sie ist enttäuscht.
Als sie mir ein Gedicht zeigte, das vom grausamen Umgang der Menschen mit den Tieren handelte, erzählte ich ihr von meinem Buch (Wie ich verlernte, Tiere zu essen). Sofort hob sie abwehrend die Hände. Sie weiß, sie weiß und sie kann das alles gut verstehen und sie hat ja auch ein schlechtes Gewissen, aber Fleisch esse sie noch.
Abends zu Hause im Bett grübelte ich lange vor mich hin. Wenn selbst diese Frau mit den großen empathischen Gefühlen nicht vom Fleisch lassen kann – wie weit sind wir dann wirklich?
Hagen Rether formulierte es diese Woche in Urban Pirols »Neues aus der Anstalt« im ZDF so: »Wir brauchen eine Ökodiktatur. Anders schaffen wir es nicht mehr.«
Und irgendwie hatte ich den Eindruck, daß er es ernst meint. Und dann bin ich erschrocken. Er hat Recht. Verdammt noch mal, er hat Recht. Es wird sich nichts ändern, wenn es keinen gibt, der uns auf die Finger haut, wenn wir weiter den Planeten ruinieren mit unserem Konsumverhalten. Doch es wird keine Ökodiktatur geben. Wer soll sie denn errichten? Die Tiere? Die Bäume? Und die Menschen, denen die Probleme bewusst geworden sind, werden mit Sicherheit keine Diktatur errichten. Veganer sind fried- und freiheitsliebende Menschen.
Und so gibt es im Grunde nur noch einen, einen einzigen Weg. Keinen anderen: Die Medien müssen erobert werden. Die Medien haben riesigen Einfluss auf die Konsumenten und damit auch die Macht, wirklich etwas zu verändern. Wenn morgen in den größten Zeitungen auf den Titelblättern steht: »Unsere Massentierhaltung kostet den Planeten jedes Jahr 100.000 km² Regenwald«, dann werden Millionen aufwachen.
Doch leider bleibt diese Vorstellung ein Traum. Ein Themenabend auf arte reicht einfach nicht mehr aus. Es ist zum Verzweifeln. Alles ist düster.
Als ich heute morgen aufgewacht bin, schien die Sonne in mein Zimmer. Ich musste irgendwie an Kim Kalkowski denken und daran, daß sie bald bei VOX im Promidinner vor Millionen vegan kochen wird. Ich musste an Björn Moschinski denken und seine veganen Kochkurse in Mensen. An Attila Hildmann musste ich denken. Von der Öffentlichkeit werden sie wahrgenommen als frische Gesichter des Veganismus, weitab vom Bild des miesepetrigen, grauen Veganers.
An Hof Butenland dachte ich, an die Albert Schweitzer Stiftung und Mahi Klosterhalfen, an den Vegetarierbund, die Vegane Gesellschaft, an Sebastian Zösch, Christian Vagedes, an Andreas Zemke von Tierrechtsbund-aktiv und seine monatliche Tierrechtssendung, an PETA. An das fantastische vegane Essen im La Mano Verde musste ich denken und an Jean-Christian Jurys unglaublichen Schokoladenkuchen. Ich dachte an Björns Restaurant Kopps und an das Viasko, ans Lucky Leek , das YoYo und das Gesund und sündig. Alles vegane Restaurants in Berlin. Ich habe viele Menschen kennen gelernt, die ihre Energie dafür geben, die bitternotwendige Veränderung in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Manchmal polarisieren sie, wie Attila mit seinem seltsamen Versuch, sich ein Badboyimage aufzubauen, manchmal treten sie daneben, aber sie beleben den Veganismus und geben ihm ein menschliches Gesicht.
In Berlins erstem veganen Biosupermarkt Veganz sprach ich lange mit dem Inhaber Jan Bredack. Für mich ist auch er ein Symbol dieser kraftvoll wachsenden Bewegung. Er steht für die Anpacker, die Macher, er gehört zu den Zugpferden der Veränderung. »Ich kenne keinen Urlaub, ich arbeite 7 Tage die Woche«, sagt er und er strahlt dabei trotzdem noch unheimlich viel Energie und Wärme aus.
Solche Menschen brauchen wir. Solche, die anpacken, die nach vorn gehen. Solche, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden und dem Veganismus ein frisches und freundliches Gesicht geben, denn das ist es, was die Bewegung immer breiter werden lässt. (Und Jan braucht endlich auch mal Urlaub, sonst klappt er noch zusammen!)
Noch kennt die Frau mit dem großen Herzen und den 5.000 Büchern im Kopf diese erwachende Bewegung nicht, noch hat sie bei Veganern militante, humorlose Miesmacher vor Augen und will nichts damit zu tun haben. Noch glaubt sie wie Millionen andere auch an dieses von den Medien geschaffene Zerrbild. Doch irgendwann wird auch sie auf das wahre Bild des Veganismus stoßen. Sie wird lesen, bewegt sein, mitgerissen werden, sie wird sich sagen: »Ich bin ja gar nicht allein mit meinen Gefühlen.« Und dann wird sie ihre Resignation vergessen, Mut fassen und als erstes das Fleisch essen sein lassen.
Und so wird es immer mehr Menschen gehen. Denn wir erobern die Medien. Und immer mehr Menschen erfahren von der enormen Bedeutung des eigenen Umdenkens.
Jetzt kommt mein Mut wieder zurück, jetzt habe ich es wieder vor Augen: Wir schaffen es!
Aber eines ist in dieser Phase des Erwachens enorm wichtig: Wir werden den Stein nur gemeinsam ins Rollen bringen. Und jede Hand wird dabei dringend gebraucht. Denn bei aller Begeisterung müssen wir uns eingestehen, daß wir leider noch sehr wenige sind …
Als ich vor einigen Tagen von Colin Goldner las, wünschte ich mir, daß auch er seine Kraft in die Vorwärtsbewegung des Veganismus stecken würde und nicht in die Abstrafung Andersdenkender in den Reihen der Tierrechtsbewegung. Seine Texte gegen Barbara Rütting oder den Dalai Lama haben mich vor allem wegen ihrer Polemik verstört. Viele Menschen verehren diese Vordenker. Sie alle werden von der Schmäh mit getroffen.
Ich habe die unschönen Ereignisse der Tierrechtsveranstaltung am 14. Mai vor dem Kölner Dom noch vor Augen. Der Öffentlichkeit sollte ein friedliches Bild von der Tierrechtsbewegung vermittelt werden. Doch das gelang nicht, weil die Veranstaltung gestört wurde durch eine Handvoll Gegendemonstranten, die der Veranstaltung Nazi- und Sektennähe vorwarfen und entsprechende Handzettel an die Besucher verteilten. Dabei waren die Vorwürfe haltlos und beruhten auf einer offenbar verzerrten Wahrnehmung eines Problems, das es in dieser Form nicht gibt.
Es besteht keine akute Gefahr mehr, daß die Tierrechtsbewegung massiv von Nazis und Sekten unterwandert wird. Und selbst wenn es diese Gefahr gibt: muss dann wirklich die Arbeit von ehrlichen Tierschützern zerstört werden und damit auch das Bild von der Friedfertigkeit der Tierrechtsbewegung in der Öffentlichkeit?
Menschen wie Herr Goldner oder auch Herr Rogausch, ja auch Achim Stößer, haben wichtige Grundlagen für die Tierrechtsbewegung geschaffen. Ihnen steht dafür Respekt zu. Sie haben es verdient, gehört zu werden. Doch sie gehen zu weit und beschädigen ihre eigene wertvolle Arbeit, wenn sie den geistigen Nährboden für Angriffe gegen Menschen schaffen, die sich ehrlich für Tiere einsetzen, aber eine andere Auffassung von der Welt haben als sie selbst. Sie gehen zu weit, wenn sie anderen Tierrechtlern nicht zutrauen, selbst Probleme zu erkennen, aus Fehlern zu lernen und sich weiter zu entwickeln. Sie sollten nicht den Fehler machen, sich über andere zu erhöhen. Sie sollten nach vorn sehen und nicht aufstöhnen, wenn Tierrecht und Tierschutz in einem Satz genannt werden. Sie sollten respektvoll mit den Menschen umgehen, die sie erreichen wollen. Sie sollten erkennen, daß die Tierrechtsbewegung noch in den Kinderschuhen steckt und natürlich noch Fehler macht. Sie sollten mithelfen, die Öffentlichkeit zu erobern. Denn das ist der einzige Weg, der uns bleibt, wenn die Welt wirklich verändert werden soll. Anders schaffen wir es nicht mehr.
Am 9. Juni heißt es in Köln wieder: »Deine Stimme den Stimmlosen«. An diesem Tag wird sich zeigen, ob wir vorangekommen sind. Nazis und totalitäre Sekten werden nicht dabei sein. Totalitarismus ist der falsche Weg. Das hat die Tierrechtsbewegung längst verstanden.
Und dann stelle ich mir vor, wie auch Herr Goldner auftritt und von seinem Engagement gegen jede Form von Totalitarismus im Tierrecht spricht. Doch er tut es ohne Polemik und mit Respekt und so gelingt es ihm auch, unter den Zuhörern, die eine andere Weltanschauung haben als er, das Gefühl zu hinterlassen, sein eigenes Kredo verinnerlicht zu haben.
Und dann stelle ich mir vor, wie er die Zustimmung bekommt, die ihm fraglos gebührt. Er bekommt sie, weil er keinen mehr ausgrenzt, der an einen Gott glaubt oder einfach wie einst Giordano Bruno daran, daß Gott eins mit Kosmos und Natur ist. Und am nächsten Tag steht in der Zeitung nichts mehr von einer Gegendemonstration und unschönen Aktionen. Dort steht vielmehr: »Die Zeit ist reif. Es ist Zeit, ihnen endlich zuzuhören. Es ist Zeit, die Tierausbeutung zu überdenken. Weil wir es anders nicht mehr schaffen.«