Antibiotika in der Tiermast - nächste Runde
Manche Skandale brauchen offensichtlich einige Jahre oder gar Jahrzehnte, bis die Öffentlichkeit sie als solche wahrnimmt. Ein Paradebeispiel dafür ist der routinemäßige Antibiotikaeinsatz in der Massentierhaltung, der zum einen eine Gefahr für unsere Gesundheit darstellt und zum anderen verdeutlicht, wie grausam die industrielle Massentierhaltung ist: Ohne regelmäßige Antibiotikabehandlungen würden die Tiere reihenweise sterben.
Obwohl wir zusammen mit anderen Organisationen und Experten schon seit vielen Jahren auf diese Thematik hinweisen, hat das Thema Antibiotikamissbrauch erst durch die Veröffentlichung einer Studie des Landes Nordrhein-Westfalen im November 2011 an Bedeutung gewonnen. Kernaussage der Studie: 96,4 Prozent der gemästeten Hühner erhalten in ihren einmonatigen Leben Antibiotika – im Durchschnitt drei, manchmal sogar acht verschiedene Wirkstoffe.
Die Agrarindustrie reagierte prompt – allerdings mehr mit Worten denn mit Taten: Nachdem bekannt wurde, dass bei der Auswertung der Studienergebnisse Fehler gemacht wurden, veröffentlichten ihre Lobbyverbände schadensfrohe bis hämische Statements. Dabei vergaßen sie die sprichwörtliche Weisheit, lieber nicht mit Steinen zu werfen, wenn man im Glashaus sitzt.
Neue Antibiotika-Zahlen
Seit vorgestern dürfte es vorbei sein mit der Schadensfreude, denn NRW-Landwirtschaftsminister Remmel ließ die Studienergebnisse überprüfen. Das nun abgesicherte Ergebnis ist im Kern identisch mit den im November 2011 verkündeten Aussagen: Fast alle Masthühner werden mit Antibiotika behandelt, statt 96,4 Prozent lautet der korrekte Anteil 92,5 Prozent.
Außerdem kündigte der Grünenpolitiker an, im nächsten Schritt den Antibiotikaeinsatz in der Schweine- und Putenmast untersuchen zu lassen. Die Ergebnisse werden erst im nächsten Jahr vorliegen, doch Kenner wie der leitende Amtsveterinär a.D. Dr. Hermann Focke sind sich schon jetzt sicher, dass dann ähnlich schockierende Zahlen verkündet werden. Untersuchungen aus Niedersachsen, die Dr. Focke trotz ihrer klaren Aussagen noch als beschönigend ansieht, bestätigen dies: 92 Prozent der Puten und 77 Prozent der Schweine erhalten demnach Antibiotika.
Antibiotika: die Achillesferse der Massentierhaltung
Der Grund, warum die Agrarindustrie sich mit dem Thema so schwer tut, ist folgender: Die Rezeptur für Billigfleisch erfordert neben dem Einpferchen überzüchteter Tiere auf engstem Raum, dem Zurückdrängen ihrer Grundbedürfnisse und dem betäubungslosen Abtrennen störender Körperteile auch den massiven Einsatz von Antibiotika. Nimmt man den Massentierhaltern diese Zutat, so müssen sie die Besatzdichten verringern, die Haltungsbedingungen verbessern und womöglich gar auf Turbo-Rassen verzichten – alles sinnvolle Schritte, die aber Geld kosten und der Hühnerbrust zum Schleuderpreis ein Ende bereiten würden.
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