Streit um die Vogelgrippe
Deutschland ist erneut von der Vogelgrippe betroffen. Wir haben den aktuellen Stand an Fakten vor allem für die Situation in Deutschland zusammengefasst. Und wir beleuchten die strittigen Positionen unterschiedlicher Experten zu den Ausbreitungswegen der Viren.
Im letzten November wurde in Deutschland erstmalig das aktuell grassierende Vogelgrippevirus H5N8 bei einem Wildvogel nachgewiesen – bis jetzt folgten etwa 500 weitere bestätigte Infektionen bei Wildvögeln. Die Behörden riefen die Bevölkerung dazu auf, beim Fund von verendeten Wasservögeln Veterinäramt, Polizei oder Feuerwehr zu verständigen. Um die Fundorte wurden Sperrbezirke eingerichtet, in denen Hunde und Katzen nicht mehr frei umherlaufen dürfen. Bislang sind bis auf das Saarland alle Bundesländer von der Vogelgrippe bei Wildvögeln betroffen.
Das Virus H5N8 fand sich hierzulande außerdem in einigen Dutzend Geflügelbetrieben. Darunter sind auch große, industrielle Anlagen. Die Maßnahmen, um eine Virusausbreitung ausgehend von diesen Betrieben zu verhindern, sind drastisch. Ungeachtet wie viele Vögel tatsächlich infiziert sind, werden grundsätzlich alle Tiere in den betroffenen Geflügelbeständen »gekeult«, das heißt vor Ort getötet. Die Areale um die betroffenen Tierhaltungsbetriebe werden ebenfalls zu Sperrbezirken erklärt. Geflügelbetriebe in den Sperrbezirken unterliegen strengen Sicherheitsmaßnahmen. So besteht für die Betriebe ein Vermarktungs- und Transportverbot. Schuhwerk sowie Arbeitsgegenstände müssen desinfiziert werden. Zusätzlich herrscht in den meisten Bundesländern eine generelle Stallpflicht für Geflügelhaltungen.
Seuche neuen Ausmaßes
Das Friedrich-Löffler-Institut (FLI), das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, spricht von einem nie zuvor gekannten Ausmaß der Seuche. Denn diesmal breite sich die Seuche mit hoher Geschwindigkeit aus, sie sei nahezu gleichzeitig in vielen europäischen Staaten aufgetreten und es kämen stetig neue Funde hinzu.
2014/15, als der H5N8-Stamm des Virus erstmals in Europa auftrat, fand man es in Deutschland nur vereinzelt bei gesund erscheinenden Wildvögeln und in wenigen Tierhaltungen. Doch diesmal hat sich eine andere, für die Tiere gefährlichere Variante des H5N8-Virustyps in Europa ausgebreitet. Der aktuelle H5N8-Stamm zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er zu einer hohen Sterblichkeit bei Vögeln führt. Das FLI bezeichnet das bisherige Seuchengeschehen bei den Wildvögeln als Virus-Epidemie, denn die Zahl der Funde verstorbener Vögel sei nur die »Spitze des Eisbergs«.
Gefährdung durch das Virus
Bislang sind weltweit keine H5N8-Infektionen beim Menschen und bei anderen Säugetieren bekannt. Da sich Grippeviren jedoch stets verändern, kann das FLI nicht ausschließen, dass dieses Vogelgrippe-Virus auch für Menschen gefährlich werden kann. Derzeit scheint es laut FLI jedoch eher unwahrscheinlich, dass sich Menschen mit dem Virustyp H5N8 infizieren können. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hält eine Übertragung des H5N8-Virus über infizierte Lebensmittel ebenso für unwahrscheinlich – wenngleich für theoretisch möglich.
Für den Menschen wurde bislang vor allem der Vogelgrippe-Subtyp H5N1 gefährlich. 1997 kam es in Hongkong zum ersten Ausbruch bei Menschen. 2003 breitete sich dieser Virustyp dann ausgehend von Südostasien weltweit aus und infizierte seitdem etwa 850 Menschen, mehr als die Hälfte der betroffenen Menschen starben.
Bei Vögeln ist die aktuelle H5N8-Infektion besonders für Hühner und Puten gefährlich. Es kommt zu dramatischen und tödlich endenden Krankheitsverläufen. Währenddessen scheiden die Tiere das Virus massenhaft über Kot und Schleim aus. Eier können ebenfalls virushaltig sein. Bei Wasservögeln (auch bei zur Fleischproduktion gehaltenen Wasservögeln wie Enten) ruft das H5N8-Virus dagegen kaum erkennbare Symptome hervor. Eine Infektion mit dem aktuellen H5N8-Subtyp verläuft jedoch auch bei diesen Tieren verhältnismäßig häufig tödlich.
Keulung der Bestände
Laut der Geflügelpest-Verordnung müssen nicht nur bei amtlicher Feststellung der Vogelgrippe, sondern bereits bei Verdacht auf einen Ausbruch alle Vögel eines Bestands getötet und entsorgt werden. Die Tierhaltungsbetriebe erhalten hierfür eine finanzielle Entschädigung.
Bei der Keulung von »Nutzgeflügel« kommt meist eines der folgenden Verfahren zum Einsatz: Die Tötung mittels elektrischer Ganzkörper-Durchströmung wird für größere Bestände mit mobilen Tötungsanlagen und für kleinere Bestände mit tragbaren Geräten durchgeführt. Bei der Tötung mit Kohlendioxid (CO2) steckt man die Vögel in Kisten, (umfunktionierte) Mülltonnen oder Container, in die das Gas eingeleitet wird. Das Einatmen von CO2 ist für die Tiere mit Stress und Schleimhautreizungen verbunden. Außerdem können die unteren Tiere in den Behältern schmerzhafte Verletzungen erleiden oder erdrückt werden.
Bei Hühnervögeln, dazu zählen auch Puten, kann das Gas direkt in den Stall eingeleitet werden. Dies ist bei Wasservögeln wie Enten nicht erlaubt, da sie körperlich ans Tauchen und somit an höhere CO2-Werte im Blut angepasst sind. Die Betäubungswirkung würde erst stark verzögert einsetzen. Vögel in Hobbyhaltungen werden aufgrund ihrer geringen Zahl meist einzeln per Injektion getötet.
Schutzimpfungen oder Heilversuche an erkrankten Tieren sind verboten, weil sich das Virus dennoch weiterverbreiten und weitere Tiere anstecken könnte. Impfungen bei Masthühnern wären zudem schon deshalb nicht ordnungsgemäß möglich, da sie gar nicht genügend lang am Leben bleiben. Sie werden bereits vor der letzten erforderlichen Impfung geschlachtet.
Ausbreitung der Vogelgrippe
Bei »Nutzgeflügel« wurde das gefährliche Virus 2016 erstmals in Mecklenburg-Vorpommern entdeckt. Bis jetzt traten Infektionen vor allem in Betrieben in Niedersachsen, dem deutschen Ballungsraum für die industrielle Tierhaltung, und in Nordrhein-Westfalen auf. Allein in Niedersachsen sind etwa 90.000 Puten von der Keulung betroffen.
Aktuell ist die Vogelgrippe in insgesamt 17 europäischen Staaten nachgewiesen. Neben infizierten Wildvögeln gibt es zahlreiche Ausbrüche in geflügelhaltenden Betrieben. Darunter sind zwei niederländische Betriebe mit zusammen über 113.000 Hühnern, ein schwedischer Betrieb mit über 150.000 Legehennen und allein in Südfrankreich 34 Geflügelhaltungen.
Außerhalb Europas wurden bereits im März 2014 mit diesem Virusstamm infizierte Wildvögel in Südkorea gefunden. Auch industrielle Geflügelbetriebe sind dort von der Vogelgrippe betroffen und es wurden bislang über 26 Millionen Hühner gekeult. Im Juni vergangenen Jahres fand man H5N8 bei wilden Wasservögeln in Russland. Fünf Monate später bestätigte Russland den Seuchenausbruch in mehreren industriellen Geflügelbeständen, darunter ein Betrieb mit mehr als einer halben Million Legehennen. Iran, Israel, Ägypten und Nigeria meldeten ebenfalls infizierte Wildvögel und Geflügelbetriebe.
Der Ursprung von H5N8
Eigentlich sind Vogelgrippeviren nur gering ansteckend und führen in der Regel kaum zu Erkrankungen. Sie treten in Deutschland und weltweit immer wieder sporadisch bei Wildvögeln auf, insbesondere bei Wasservögeln wie Enten, Schwänen oder Gänsen. Erst bestimmte Mutationen dieser harmlosen Vorläuferviren bringen die verschiedenen gefährlichen Virus-Subtypen hervor. Diese verursachen dann die gefährliche Geflügelpest, umgangssprachlich Vogelgrippe genannt. Bislang sind mindestens 15 verschiedene Subtypen bekannt.
Der gefährliche Virus-Subtyp H5N8 stammt laut FLI aus Südostasien. Dort sei die Virusübertragung von infizierten wilden Wasservögeln auf »Nutzgeflügel« leicht möglich. Denn anders als in den industriellen Geflügelbetrieben in Deutschland bestehen in diesen Regionen viele Kontaktmöglichkeiten zwischen »Nutzgeflügel« und wilden Wasservögeln. Die kaum krankmachenden Virus-Subtypen können so einfach zwischen den Wildvögeln und dem »Nutzgeflügel« hin und her wandern. Gelangen diese ungefährliche Viren jedoch in große Geflügelbestände und zirkulieren dort unerkannt, können sie sich bei der hohen Besatzdichte explosionsartig vermehren. Das Risiko, dass dabei gefährliche Mutationen und folglich neue Virus-Subtypen auftreten, steigt erheblich. Der erste Nachweis eines H5N8-Virus beim »Nutzgeflügel« erfolgte bereits 2010 in China. 2014 gab es dann in Asien, Nordamerika und Europa weitere Ausbrüche von H5N8 bei Wildvögeln und in Geflügelbetrieben.
Uneinigkeit über Virusausbreitung
Wie sich das Virus H5N8 von Südostasien aus auf andere Kontinente verbreitete, ist unter Fachleuten umstritten. Bislang gibt es zwei führende Theorien zur Virusausbreitung: Entweder über Zugvögel, die ein natürlicher Lebensraum für die Viren sein können, oder durch den weltweiten Handel mit Geflügelprodukten sowie lebendem »Nutzgeflügel« und Eiern.
Laut Friedrich-Löffler-Institut spreche die aktuelle zeitliche und räumliche Ausbreitung der Vogelgrippe dafür, dass das Virus über Zugvögel nach Europa gelangte. Das Virus könne sich zwar innerhalb der industriellen Tierhaltung über Tierhandel, kontaminierte Fahrzeuge, Personen oder Geräte verbreiten. Doch ob die weltweite Geflügelproduktion überhaupt mit dem aktuellen Seuchengeschehen zusammenhängt, wird vom FLI kaum öffentlich thematisiert.
Die Wissenschaftliche Arbeitsgruppe zu Vogelgrippe und Wildvögeln, gebildet aus dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), beurteilt in ihrer aktuellen Stellungnahme die Lage anders. Die Arbeitsgruppe könne nicht sicher sagen, dass Wildvögel bedeutend an der weltweiten Verbreitung des Virus beteiligt seien. Die Fachleute der Arbeitsgruppe kommen vielmehr zu dem Schluss, dass das Risiko einer Virusverbreitung durch die Geflügelproduktion sowie den internationalen Handel mit kontaminierten Tieren und Geflügelprodukten sehr hoch sei.
Der Zugvogelexperte Dr. Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell vermutet letztlich aufgrund der hohen Geschwindigkeit der Ausbreitung eher eine Kombination verschiedener Übertragungswege: Mit Viren kontaminierte Transportmittel für Geflügelprodukte oder Futtermittel aus Asien seien zusammen mit ziehenden Wildvögeln seiner Ansicht nach als Infektionsquellen am wahrscheinlichsten.
Fazit
Das Vogelgrippevirus H5N8 wird weiterhin eine Bedrohung für Wildvögel und »Nutzgeflügel« darstellen. Die Theorie, dass Wildvögel alleinige Überträger der Viren seien, erscheint vielen Fachleuten als unwahrscheinlich. Vielmehr trägt offenbar die weltweite intensive Geflügelproduktion und der globale Handel mit tierlichen Produkten zur Entstehung und Ausbreitung gefährlicher Vogelgrippeviren bei. Dass dies bislang von der Politik und den öffentlichen Einrichtungen in Deutschland praktisch nicht diskutiert wird, nimmt die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt mit großer Verwunderung und Besorgnis wahr.
Marietheres Reinke