Sophie, ein gerettetes Rodeo-Schwein
Dies ist die Geschichte von Sophie, einer Schweinedame, die davor gerettet werden konnte, bei einem Rodeo als Belustigung und Essen für die Zuschauer zu dienen. Erzählt von Jean Rhode.
Kennenlernen auf dem Lebenshof
Gleich mit Beginn meiner ehrenamtlichen Tätigkeit auf dem Lebenshof nahm Sophie einen besonderen Platz in meinem Herzen ein. Mehr noch als die anderen Schweine hat Sophie schon immer große Schwierigkeiten beim Laufen gehabt. Sie hat eine steife Hüfte und kann ihre Knie nicht mehr beugen; sie läuft, indem sie erst ein gerades Bein nach vorne wirft und dann das andere. Trotzdem verlässt sie den Stall, geht raus auf das Feld und sogar zum Suhlen in den Schlamm. Und wo Sophie auch gerade ist, wenn man nach ihr ruft, dann stellt sie sich hin, schaut zu einem auf und grunzt so, als würde sie sagen wollen: »Hallo, komm doch her zu mir, komm rüber«. Sie ruft uns, damit wir über den Zaun steigen, sie hinter den Ohren kraulen und ihre Stirn streicheln.
Wie Sophie sind auch die anderen Schweine Hampshires – schwarz mit einem weißen Streifen um ihre Schultern. Sie sind zu zehnt in der Herde und wurden alle zusammen aus einem Rodeo-Betrieb gerettet, wo sie Teil einer Schweinejagd werden sollten, um anschließend geschlachtet und gegrillt zu werden.
Zwar bezeichne ich die Schweine als »Herde«, doch ist es eher eine Art Stamm. Als Andy einmal gebändigt werden musste, um eine Antibiotikaspritze zu bekommen, fing er laut an zu quieken. Da kamen die anderen Schweine in den Stall und grunzten im Rhythmus los. Und zwar so laut, dass wir Menschen einander nicht mehr verstehen konnten. Die Schweine grunzten in Duetten oder Trios, Schnauze an Schnauze, mit gehobenen Bäuchen, und jeder einzelne dieser tiefen Grunzer ging uns durch Mark und Bein. Nachdem wir mit Andys Behandlung fertig waren, gingen sie alle wieder ihren eigenen Angelegenheiten nach, zurück in den Hof oder zu den Strohballen.
Letztes Jahr wurden die Hampshires acht Jahre alt. Ein beachtliches Alter für Schweine, die dahingehend gezüchtet wurden, innerhalb von sechs Monaten »Marktgewicht«, oder besser gesagt Schlachtgewicht, zu erreichen. Mit acht Jahren sind sie um einiges über ihr Schlachtgewicht hinaus gewachsen. Seit Jahren leben sie in Körpern, die viel zu schwer für ihre Knochen, Sehnen und Gelenke sind - mit dreihundert-Kilo-Körpern auf winzigen Ballerina-Füßen zu balancieren, erschwert jedem Schwein das Laufen. Stubby ist der Schwerste; Cromwell schnarcht, wenn er schläft, und er bewegt seine Ohren nach hinten, als würde er fliegen; Zach hinkt an manchen Tagen, aber er hat auch gute Tage, an denen er gesund ist. Und dann ist da noch Oliver, der mit herausgestreckter Zunge zum Frühstück und Abendessen kommt; Louie, der für ein Schwein recht ruhig ist; Lodo, der uns allen einen Schrecken einjagte, als er ausrutschte und hinfiel. Wir dachten, dass wir den Traktor brauchen, um ihn wieder hochzubekommen, aber er stand einfach auf und ging weiter, als hätte ihm so etwas Peinliches wie Hinfallen niemals passieren können. Und dann gibt es noch Wilbur, süß und für gewöhnlich einer der ersten am Futterplatz – nach Patsy und Judy, versteht sich.
Patsy und Judy erkämpfen sich ihren Platz
Patsy und Judy sind rosafarbene Schweine, die schon als Teenager zur Herde kamen. Sie versuchten ihren Rang in dem eng verbunden Stamm zu behaupten, und dass indem sie Sophie – das Schwein mit den größten Gehschwierigkeiten – herausgriffen und schikanierten. Ich habe immer versucht, Sophie heimlich Leckerlis zu geben, doch das verschlimmerte das ganze nur. Jede Süßigkeit, die Sophie bekam, fassten sie als tiefe Kränkung auf. Sie bissen Sophie in die Beine und jagten sie um den Stall. Oder sie rannten mit schrillem Quieken auf sie zu, als würden sie ihr drohen: »Wir kriegen dich.« Oder sie kletterten, wenn sie am Teich lag, auf sie, und warfen sich quer über ihren Rücken. Die anderen beiden weiblichen Hampshires, Dharma und Dolly, ließen sie mehr oder weniger in Ruhe. Sophie war die Hauptleidtragende.
Wenn Sophie, Dharma und Dolly nicht gerade von Patsy und Judy drangsaliert wurden, lagen die drei Herdendamen die heißen Tage über Schnauze an Schnauze in der Schlammgrube oder eng nebeneinander im Stall im Stroh – ganz so, als hätten sie ihr ganzes Leben lang nichts anderes gemacht. Sie aßen zusammen und sie schliefen zusammen. Zwar hingen sie auch mal mit den Jungs herum, doch waren sie vor allem ein Trio.
Dharma war gut zu Fuß, sodass sie es immer zum Frühstück und Abendbrot geschafft hat. Dolly hingegen war ziemlich wackelig. Für sie war Laufen nie ein gerade Weg von A nach B, sondern mehr ein Schlängeln von einer Seite zur anderen.
Gegen Ende des Sommers schwankte Dolly so sehr, dass sie der Tierheimleiter in die Tierklinik der Universität Cornell lieferte. Während der Operation stellte der Arzt inoperable Tumore auf Dollys Wirbelsäule fest, die ihr nicht nur das Gleichgewicht nahmen, sondern auch enorme Schmerzen bereiteten. Dolly wurde unter Narkose eingeschläfert.
Und da waren es nur noch zwei, Dharma und Sophie. Und natürlich die zwei jugendlichen rosafarbenen Sophie-Peiniger, Judy und Patsy.
Einen Monat nach Dollys Tod bildete sich in Dharmas Gebärmutter ein Tumor aus, eine häufige Erscheinung bei weiblichen Schweinen. Tierärzte stellten fest, dass der Tumor so nah an ihr Herz gewachsen war, dass er nicht entfernt werden konnte. Dharma hat es nie zurück nach Hause geschafft - auch sie wurde eingeschläfert.
Ein paar Tage nachdem Dharma gestorben war, ging ich in den Schweinestall und rief: »Sophie! Sophie!« Sie stand auf und grunzte »Hallo« zurück. Ich stieg über den Zaun, kniete mich zu ihr und sie schaute mich an, wie sie es immer macht, direkt in die Augen. Da kam mir der Gedanke, dass es ihr niemand erzählt hatte – sie wusste es nicht. »Dharma ist gegangen, Sophie«, sagte ich, »Sie kommt nicht mehr wieder.«
Sophie grunzte und wendete sich von mir ab - etwas, dass sie noch nie zuvor gemacht hatte. Dann kam Judy in den Stall. Sie ging hinüber zu Sophie und schnaubte mit ihrer Schnauze im Stroh. Ich dachte: »Na toll, Sophie hat ihre letzte gute Freundin verloren und jetzt geht die Schikane weiter.« Judy stupste ihre rosa Schnauze an die von Sophie, doch sie biss nicht zu. Stattdessen begann sie mit ihrem Huf, Stroh zu einer Art Bett anzuordnen. Ich hörte damit auf, Sophie zu streicheln, und beobachtete die beiden.
Judy machte ihren Strohhaufen zurecht und legte sich neben Sophie, die noch immer von mir abgewandt war. Ohne zu zögern hob Sophie ihren Kopf und legte ihn auf Judys rosafarbene Schulter. Ich machte das Licht aus und schloss die Tür zum Stall. Da lagen die beiden, Sophie und Judy, gemeinsam in der Nacht, Kopf an Schulter, Schnauze an Schnauze, Herz an Herz.
Diese und weitere Geschichten von Tieren, die es auf einen Lebenshof in den USA geschafft haben, finden Sie in dem Buch Ninety-Five: Meeting America’s Farmed Animals in Stories and Photographs, das es bislang nur auf Englisch gibt.