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Mangelhafter Tierschutz systemimmanent

Die Justitia
Justitia © Picture Art – Fotolia

Manuela Henrich (Name geändert) arbeitete insgesamt dreieinhalb Jahre als Schlachthoftierärztin. Da engagierten Tierärzten und Tierärztinnen immer wieder Steine in den Weg gelegt werden, wenn sie geltendes Tierschutzrecht umsetzen wollen, hat Manuela uns ihre Erfahrungen und Beobachtungen geschildert, um dazu beizutragen, dass die herrschenden Missstände an die Öffentlichkeit gelangen:

»Als amtliche Tierärztin konnte ich verschiedene Schlachthöfe und Behörden kennen lernen. Obwohl es ehrlich engagierte Kolleg:innen gibt, sind meine Erfahrungen und Beobachtungen sehr ernüchternd. Das Tierschutzgesetz strandet als wohlklingendes Lippenbekenntnis. Die grundlegenden Probleme sind bekannt, aber es folgen keine Konsequenzen.

Daraus schließe ich: Die Missachtung von rechtlichen Vorgaben für Tier- und Verbraucherschutz ist politisch gewollt, denn sie sind systemimmanent.

Politische Interessen kontra Tierschutz

Die Veterinärüberwachung ist in den meisten Ländern kommunalisiert. Der Landrat eines Kreises ist oberster Dienstherr. Rein formal obliegen ihm keine fachlichen Entscheidungen, in praxi wird dies jedoch ignoriert. Unter Kollegen unterhält man sich sogar recht offen darüber. So üben Landräte Druck auf Veterinäre aus, keine Straftaten zu verfolgen, erhobene Bußgelder wieder zurückzunehmen bzw. nicht so genau hinzusehen. Ein Landrat hat jedoch andere Interessen als den Tierschutz. Er möchte ein gutes Verhältnis mit den Wirtschaftsbeteiligten haben - so auch mit den Landwirten. In ländlichen Gegenden betreibt die politische Führung nicht selten selbst Landwirtschaft und fällt unter die Veterinäraufsicht.

Amtliche Tierärzte auf Schlachthöfen erhalten ihren Lohn abhängig von den geleisteten Stunden. Sie haben somit ein ureigenes Interesse daran, dass der Betrieb weiterläuft, unabhängig ob geltendes Tierschutz- und Hygienerecht eingehalten wird.

Die Veterinärverwaltung insgesamt ist wenig sensibel gegenüber Interessenkonflikten. Eine meiner Vorgesetzten war privat mit Mitarbeitern des zu überwachenden Schlachthofs verbandelt und fehlte nicht auf den Betriebsfeiern. Gleichzeitig war die Liste der geduldeten Verstöße gegen Tierschutz und Hygienemängel sehr lang.

Kein Gesetz, keine Strafe

Wer Verstöße tatsächlich ahnden möchte und dies auch darf, steht vor dem nächsten Problem. Denn dafür müssen sie im Gesetz als ordnungswidrig definiert sein. Ist dies nicht der Fall, kann nicht einmal ein Verwarnungsgeld von 5 Euro erhoben werden. So droht niemandem ein Bußgeld, auch wenn er z. B. Hühner oder Puten nicht mit den gesetzlich vorgegebenen Stromstärken und Durchflusszeiten betäubt oder nicht transportfähige Tiere mit gebrochenen Beinen transportiert. Einen Bußgeldkatalog gibt es im Veterinärwesen anders als im Verkehrsrecht nicht. So kann jeder mit dem gleichen Strafmaß rechnen, der eine rote Ampel überfährt, egal ob diese nun in Kiel oder in München steht. Im Tierschutz bewertet die jeweilige Veterinärbehörde, ob ein Bagatellverstoß oder ein Straftatverdacht vorliegt. Ein und derselbe Sachverhalt wird entweder im schlimmsten Fall nicht verfolgt oder aber es erfolgt eine Strafanzeige. Die schwammigen Rechtsbegriffe des Strafparagraphen machen es möglich, denn der ist auf dem Stand von vor 40 Jahren als das Tierschutzgesetz erstmals in Kraft trat.

Hinter den Kulissen

Ein hoher Veterinärbeamter des Bundesministeriums begann sich zeitnah nach seiner Pensionierung für den Tierschutz im Namen des größten Schweinefleischproduzenten zu engagieren. Wie selbstverständlich wird dieser Konzern regelmäßig als lupenreines  Unternehmen im Deutschen Tierärzteblatt vorgestellt. Wie die (selbst)berufenen Tierschützer tatsächlich eingestellt sind, wird in dieser Aussage deutlich: 'Die Tierärzteschaft ist der Schwesternberufsstand der Landwirtschaft.'

Wer Rechtsvorschriften ernst nimmt

Obwohl das Beamtenrecht eine Remonstrationspflicht* vorschreibt, sehen sich Kolleg:innen, die es tatsächlich wagen, Missstände auch nur intern anzuprangern, häufig Repressalien und Mobbing ausgesetzt. Veröffentlicht sind die Erfahrungen diesbezüglich von Herrn Dr. Focke und Frau Dr. Herbst. Zwanzig Jahre später habe auch ich diese rechtswidrige Verfahrensweise erlebt und bekomme sie von vielen Kolleg:innen berichtet. Meist nur im vertraulichen Gespräch. Die Angst ist groß.«

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* Zum Begriff Remonstrationspflicht: Beamt:innen tragen die volle Verantwortung dafür, dass ihre dienstlichen Handlungen rechtmäßig sind. Bedenken müssen sie gegenüber ihren Vorgesetzten geltend machen. Wird eine Anordnung bestätigt, dann sind die Beamt:innen von Ihrer Verantwortung befreit, außer das aufgetragene Verhalten ist erkennbar strafbar oder ordnungswidrig.

Zusätzlich schreibt das Tierschutzgesetz vor, Anordnungen zu treffen, die Verstöße beseitigen und zukünftige Verstöße verhüten. Wer rechtlich dazu verpflichtet ist, Straftaten zu verhindern, begeht selbst eine Straftat, wenn er nicht eingreift. Aufgrund der gängigen Praxis darf also hinterfragt werden, ob wir aus Tierschutzsicht in einem Rechtsstaat leben.

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