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Offener Brief an den Bauernverband

Seit einigen Jahren stellt Sybilla Keitel in der Uckermark fest, dass die Zahl von Amphibien, Insekten und kleineren Säugetieren alarmierend zurückgeht. Im Verdacht: die Agroindustrie mit ihrem hohen Pestizideinsatz. Als auch der Dorfimker Alarm über das Sterben der Bienen schlug, initiierte sie im Jahr 2011 die Entnahme von Wasserproben in einem nahegelegenen tiefliegenden kleinen Gewässer (einem sogenannten Soll), in dem sich die aus den Feldern ausgewaschenen Pestizide sammeln. Das Ergebnis: Die zulässigen Grenzwerte wurden bis zu 120-fach überschritten. Es folgte im Jahr 2012 eine konzertierte Beprobungsaktion mit Unterstützung des BUND und des NABU. Es wurde u.a. eine viel zu hohe Belastung mit AMPA, einem Abbauprodukt von Glyphosat, festgestellt. Von den zehn beprobten Söllen waren sechs mit Pestiziden über den zulässigen Höchstgrenzen kontaminiert. Am 17. August 2012 wurden diese Ergebnisse schließlich in einer öffentlichen Veranstaltung vorgestellt, zu der auch zahlreiche zuvor eingeladene Bauern sowie Wencke Fichtner, Vorsitzende des Kreisbauernverbandes Uckermark, erschienen waren. Nachdem die Reaktionen bei diesem Treffen seitens der Bauernschaft eher abwehrend und wenig verständnisvoll ausfielen, schickte Sybilla Keitel zehn Tage nach dem Treffen den folgenden offenen Brief an Wencke Fichtner und Udo Folgert, Präsident des Landesbauernverbands Brandenburg, bislang ohne Antwort.

Ein offener Brief an die Landwirte zum Einsatz von Glyphosat
Offener Brief an den Bauernverband © webphotographeer – i Stock

Liebe Landwirte!

Die Bienen sind in akuter Lebensgefahr. Auf der Suche nach den Ursachen für das rapide Sterben der Bienen, der Amphibien und Vögel in der Uckermark haben wir dazu die neuesten Veröffentlichungen recherchiert. Diese besagen, dass das Artensterben durch den massiven Gifteinsatz auf unseren Äckern verursacht wird. Unter den Pestiziden ist Glyphosat das meist verkaufte Pflanzengift – in Deutschland sind z. B. 70 glyphosathaltige Mittel zugelassen, z.T. als gefährliche Cocktails, welche ihre »Effekte« in Kombination zum Beispiel mit Fungiziden teilweise in enormem Ausmaß erhöhen. Internationale Studien belegen nun, dass Glyphosat Embryonen schädigen und Krebs auslösen kann. Das Totalherbizid reduziert die pflanzliche Artenvielfalt auf dem Acker. Dadurch fehlen den Insekten und Vögeln Nahrung und Lebensraum. Wenn es, wie in der Uckermark, auf abschüssigem Gelände eingesetzt wird, läuft es in die tiefliegenden Sölle. Die Tiere, die daraus trinken, werden nicht zuletzt dadurch vergiftet. Ausreichend sind schon Mengen im Mikrogrammbereich.

Glyphosateinsatz führt zu Bienensterben

Sie als Landwirte bringen Jahr für Jahr Unmengen von Glyphosat aus. Die Chemikalie hat eine Halbwertszeit von 3-240 Tagen, ihr nicht minder gefährliches Abbauprodukt AMPA von 78 bis maximal 875 Tagen. Wir haben Rückstände davon in den Söllen nachgewiesen. Zur Bewertung haben wir Studien internationaler Wissenschaftler gelesen und diesbezügliche Informationen über unseren »Pestizid-Blog« verbreitet. In den Studien ist analysiert, was das Gift anrichtet. Wir haben sie übersetzt, kopiert und Ihnen ausgehändigt. Ergänzend dazu haben wir Ihnen aktuelle Fernsehbeiträge gezeigt, die gravierende gesundheitliche Risiken von Glyphosat auch beim Menschen belegen, und zwar auch hier schon in geringsten Konzentrationen. Die Folgen sind Fruchtbarkeitsstörungen, Schädigung des Erbguts, der Embryonalentwicklung, des Immunsystems, der Leber und des Nervensystems. Neueste Studien der Universität Leipzig belegen, dass Glyphosat bereits im menschlichen Urin ist, auch diesen Film haben wir mitgebracht, um Sie zu überzeugen. Ebenso haben wir Sie auf Forschungen hingewiesen, welche besagen, dass Glyphosat auf lange Sicht eine Zunahme resistenter Unkräuter verursacht, weswegen selbst Monsanto inzwischen den Einsatz zusätzlicher Herbizide empfiehlt. Die Folge: noch mehr Pflanzengifte, weil weder die resistenten Unkräuter noch »Nicht-Ziel-Organismen« wie z. B. unerwünschte Insekten dadurch auf Dauer zu beherrschen sind. Schließlich haben wir daraus unser Fazit formuliert: die sogenannte »intensive Landwirtschaft« ist dabei, die ganze Natur zu vergiften, uns alle, und selbstverständlich Sie, die Landwirte, auch.

Warum die Bienen sterben, kann jeder enträtseln, der 3 + 1 zusammenzählen kann: erstens durch Wegfall ihrer Nahrungsquellen, zweitens durch Nervengifte in dem häufig mit Neonicotinoiden gebeizten Saatgut, welches sie aufnehmen, wenn sie im Frühjahr die Felder anfliegen sowie drittens durch mit Pestiziden kontaminiertes Oberflächenwasser. In dieser geballten Kombination einer dreifachen Schädigung ihres Immunsystems haben die Tiere keine Überlebenschance mehr. Sicherlich kennen Sie Berichte über den neuen »Imkerboom« in Großstädten wie Berlin, wo es den Bienen seltsamerweise sehr viel besser geht als auf dem Land. Von der Varroa-Milbe als angebliche Ursache für das Bienensterben ist hier nicht die Rede. Darüber lohnte es sich nachzudenken.

Wirklich keine Alternativen zum System?

Sie haben uns in der Debatte vor allem eins klar gemacht: dass Sie kaum oder gar keinen Handlungsspielraum hätten, denn die neuen Vorgaben der Bewirtschaftung seien verbunden mit der Anwendung von Pestiziden. Weniger könnten Sie nicht nehmen, wenn Sie irgendwie auf »vernünftige« Erträge kommen wollen. Wenn man mithalten wolle im Wettbewerb, habe man gar keine andere Wahl. Das »System« bringe eben bestimmte Zwänge mit sich, und in diesen sei man nun mal gefangen. Das hat mich beeindruckt, weil es irgendwie auch ein bisschen wütend und hilflos klang. Ich habe nachgedacht über die Mühen und Härten des Bauernjahres, denn auch ich komme vom Lande, und ich habe versucht, Ihre Handlungsweise zu verstehen. Die Pflanzen und Tiere wurden damals allerdings noch nicht mit Chemie vergiftet. Natürlich bedaure man das Bienensterben, sagten Sie. Auf den Einsatz moderner Agro-Chemie könne man aber trotzdem nicht verzichten.

Mein Eindruck nach einigen Tagen Abstand ist folgender:

Sie sind offenbar Abhängige eines Systems, von dem Sie wissen, dass es die Natur schädigt, durch chemische Eingriffe in die Nahrungskette immer mehr Tiere sterben lässt und äußerst gefährlich ist für die Gesundheit der Menschen. Dabei befinden Sie sich auf Kollisionskurs mit einer wachsenden Zahl von Menschen und Medien, die Alarm schlagen – seien es Imker, Naturwissenschaftler, Toxikologen, Umweltverbände, Fernsehmagazine etc. –, müssen aber so weiter machen. Von dieser zwiespältigen Lage sind Sie sichtlich genervt, deswegen reagieren Sie oft so aggressiv,  denn natürlich wollen Sie »zu den Guten gehören«, andererseits aber sind die o.g. Argumente wohl nicht ganz von der Hand zu weisen. Wider besseres Wissen durch Aufklärung über die Folgen der intensiven Chemie auf Ihren Äckern sind Sie jedoch gezwungen, weiterhin die Landwirtschaftspolitik der großen Agrochemiekonzerne umzusetzen. Ich denke, das muss ein recht ungemütlicher Zustand sein.

Bliebe für mich die Frage, wer oder was Sie daran hindert, sich aus diesem kranken und krankmachenden System zu verabschieden, um mit seinem Gewissen und der Natur, die man doch erhalten will, im Einklang zu wirtschaften. Kann es sein, dass es schlicht der gute Verdienst ist? Diese Frage muss erlaubt sein, denn Sie werden hoffentlich in Deutschland (noch) nicht von den Agenten der großen Chemie- und Saatgutkonzerne besucht bzw. bedroht wie in den USA.

Eine Erklärung wäre die Erfolgsstory, die schildert, wie seit dem EEG aus Bauern Energiewirte wurden. Mag sein, zuerst nicht ganz freiwillig, aber doch mit zunehmendem Gefallen. Denn auch als Halbwissende habe ich Kontakt zu solchen, die mir davon berichtet haben, wie sich ihr Gewinn seit dem Energiepflanzenanbau auf unseren Flächen potenziert hat. Ich habe erfahren: dieser Anbau wird mit EU-Mitteln hoch subventioniert. Ein Beispiel: 300 € erhält man pro Jahr/eigenem Hektar Ackerfläche einfach nur deswegen, weil man ihn besitzt, selbst wenn die Bewirtschaftung bloß darin bestünde, ihn für lediglich 20 € mulchen zu lassen. Darüber habe ich nicht schlecht gestaunt. Hinzu kommen natürlich die Erträge pro ha plus die Vergütung aus der Verstromung. Unterm Strich ist das im Gegensatz zu vorher so ungefähr das 8-10fache des Gewinns. Der mir bekannte Energiewirt war über diese neuen Verdienstmöglichkeiten verständlicherweise hocherfreut. Natürlich spritzt er jetzt auch seine Flächen mit Insektiziden, Herbiziden, Fungiziden, Halmstabilisatoren usw., die er nun tonnenweise kaufen muss: so prima funktioniert das System Monsanto & Co. Eigentlich könnte er nun glücklich und zufrieden sein nach dem Motto: und wenn er nicht gestorben ist, dann spritzt er auch noch heute …

Leider aber endet hier das Märchen. In seiner neuen Landwirtschaft sterben die Bienen, Frösche und Vögel. Die Menschen werden krank. Die Natur wird verseucht. Auch sein Körper wird schließlich vergiftet sein. Überall schlägt es ihm entgegen: das verlockende System hat offenbar einen sehr hohen Preis, der sich immer mehr enthüllt. Warum das ein Pakt mit dem Teufel ist, haben wir uns bemüht, Ihnen aufzuzeigen.

Man hat immer eine Wahl

Daher der dringende Appell an Sie als Landwirte: nehmen Sie unsere Initiative und die Berichte einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit ernst. Diffamieren Sie unsere Erkenntnisse nicht wie gewohnt, indem Sie uns sogar »vorsätzliche Täuschung« unterstellen, sondern kümmern Sie sich mit uns um das Artensterben. Berufen Sie sich nicht auf ein »System«, welches Ihnen angeblich keine Wahl lässt: eine Wahl hat man immer. Man kann sich zum Beispiel dafür entscheiden, auf maximalen Gewinn zu verzichten, wenn man erkannt hat, dass eine Unternehmensstrategie die Umwelt ruiniert oder man für ein dickes Gehalt seine Gesundheit aufs Spiel setzt. Viele Manager haben das getan, weil sie lieber ein besseres Leben haben wollten als reich, aber krank zu werden. Ich kann übrigens nicht erkennen, dass Sie dann am Hungertuch nagen würden, vielleicht würden Sie nur nicht ganz so viel Erträge haben = Geld verdienen, wie wenn Sie Pestizide einsetzen. Sagen Sie mir unbedingt, wenn es anders ist, denn mich interessiert nicht, recht zu haben. Ich bin auf der Suche nach Hilfe und lerne gern dazu. Diese Suche führt mich allerdings zu Ihnen, den Landwirten, die handeln könnten gegen die Doktrin der Chemiekonzerne. Und daher bitte ich Sie: entschließen Sie sich gemeinsam gegen das System »Erträge durch Vergiftung«, weil Sie damit die Natur zerstören. Dabei geht es keineswegs nur um den Mais, und es geht auch nicht nur um Glyphosat. Es geht darum, dass Gifte grundsätzlich nicht in die Natur gehören, sprich: um eine andere Philosophie, wie man m i t  der Natur und nicht gegen sie arbeitet. Das  allerdings bedeutet eine entschiedene Kurskorrektur. Wenn Sie nicht wollen, dass die Tiere auf der Strecke bleiben, müssen Sie etwas tun, und zwar als Landwirte. Sie sehe ich ganz zuerst in der Verantwortung. Sagen Sie nicht, sie könnten das nicht. Wenn wir unsere Kräfte bündeln, könnten wir etwas bewirken, als menschliche Gemeinschaft, die eine erkennbar unheilvolle Zerstörung stoppt. Gesetzt den Fall, Sie wollten etwas ändern, würden wir Sie dabei sehr unterstützen, – zum Segen der gesamten Uckermark. Ein frommer Wunsch?

Mit freundlichen Grüßen

Sybilla Keitel

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