Geflügelindustrie in der Bredouille
Die ARD-Reportage »Das System Wiesenhof« zieht auch mehr als zwei Wochen nach ihrer Erstausstrahlung weite Kreise. Wiesenhof scheiterte mit dem Schachzug, die Fängerkolonne eines externen Unternehmens zu schelten, um sich aus der Schusslinie zu bringen. Dies stellte sich als zu durchsichtig heraus, denn Wiesenhof arbeitet mit so vielen externen Firmen zusammen, dass man bei praktisch allen Verstößen den schwarzen Peter anderen zuschieben kann. Interessant ist hierbei, dass Wiesenhof Verstöße gegen das Tierschutzgesetz als »absolut inakzeptabel« bezeichnet. Wir haben dem entgegenzuhalten, dass praktisch die gesamte konventionelle Hühnermast gegen das Tierschutzgesetz verstößt.
Deutsche Großabnehmer von Geflügelfleisch reagierten relativ zurückhaltend auf die Ausstrahlung der Wiesenhof-Reportage. REWE forderte Wiesenhof z. B. lediglich auf, eine Stellungnahme abzugeben. Konsequenzen? Wahrscheinlich keine. In der Schweiz zeigte sich der Lebensmitteleinzelhandel entscheidungsfreudiger: Die drei Supermarktketten Coop, Denner und Migros nahmen sämtliche Wiesenhof-Produkte aus den Regalen. Da wir keine nennenswerten Unterschiede zwischen Wiesenhof und anderen industriellen »Geflügelfleischproduzenten« erkennen können, sollte die Schlussfolgerung allerdings lauten, gar kein Hühner- und Putenfleisch mehr aus der Massentierhaltung zu verkaufen.
Nachtrag: Als erstes deutsches Handelsunternehmen hat jetzt Coop Wiesenhofprodukte ausgelistet.
Nachtrag 2: Diese Information ist falsch. Mehr dazu im Artikel Fax vom Wiesenhof-Anwalt.
Weitere Folgen der Reportage sind, dass die Bundestierärztekammer und der Bundesverband der beamteten Tierärzte die Einführung von Vorschriften für die Haltung von Puten, Enten und Elterntieren von Masthühnern und Legehennen fordern (gibt es bislang nicht!). Außerdem hat der CSU-Politiker Gerhard Merkl sein Bundesverdienstkreuz zurückgegeben, weil der Wiesenhof-Konzernchef auch ein Bundesverdienstkreuz erhalten hat. Die Begründung von Gerhard Merkl ist sehr lesenswert.
Nicht nur Wiesenhof steht unter Druck. Auch der Geflügelzuchtkonzern Lohmann Tierzucht geriet in die Schlagzeilen. Im Konzern wurden Küken die Kämme und die hinteren Zehenglieder ohne Betäubung amputiert, damit man die Geschlechter besser auseinanderhalten konnte. Zur Verteidigung hieß es zeitweise noch, dass die Tiere ohne ihren Kamm besser sehen könnten. Davon ließ sich das Gericht zwar nicht beeindrucken, aber die Strafe von nur 100.000 Euro gegen den verantwortlichen Geschäftsführer enttäuscht uns. Aber immerhin lässt sich jetzt sagen, dass man sich bei Lohmann Tierzucht der quälerischen Tiermisshandlung schuldig gemacht hat.
Zusammen mit der Nachricht, dass das Verbot der Kleingruppen-Käfige nun doch vor 2035 greifen wird, war das insgesamt keine gute Woche für die Geflügelindustrie. Gemeinsam mit vielen Aktiven und anderen Organisationen werden wir dafür sorgen, dass sich solche Wochen weiter häufen.