Fleischlose Ernährung – Impulse aus der Politik
Fast normal ist es inzwischen, wenn sich Popstars und Filmschauspieler öffentlich für eine vegetarische oder vegane Lebensweise stark machen: ihnen allen voran Ex-Beatle Paul McCartney nebst den Töchtern Stella und Mary, unterstützt von großen Namen der US-amerikanischen Filmindustrie. Neben Promis setzen sich in den USA seit ein paar Jahren aber auch zunehmend Politiker für eine ethische und nachhaltige Ernährung ein: beispielsweise Bill Clinton, der aus gesundheitlichen Gründen zum Veganer wurde. Oder der ehemalige Redenschreiber von George W. Bush, Matthew Scully, der den Finger auf das leidvolle Ausmaß von industrieller Landwirtschaft legt, die kein Auge für Tiere als fühlende Mitwesen habe.
Ein Blick nach Deutschland
Medial wirksam inszeniert haben einflussreiche Persönlichkeiten in den USA und Großbritannien der ethischen Ernährung eine Stimme gegeben und Menschen dazu bewogen, über dieses Thema nachzudenken und die eigene Ernährungsweise umzustellen. Wie aber sieht es in Deutschland aus? Vor allem in der deutschen Politik? Ist dort pflanzliche, tierfreundliche Ernährung überhaupt ein Thema? Wir haben uns im Abgeordnetenhaus Berlin und im Bundestag umgesehen und festgestellt: Es gibt sie, die (jungen) Vertreter einer veganen/vegetarischen Ernährung, wenn auch als kleine Minderheit.
Simon Kowalewski, Jahrgang 1981 und Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin für die Piratenpartei, hörte bereits mit sechs Jahren auf, Fleisch zu essen. »Der Verzicht auf die anderen tierischen Produkte folgte dann Stück für Stück, als ich erfuhr, dass auch für die Erzeugung von diesen Produkten Mittiere ausgebeutet oder sogar ermordet werden«, erklärt der studierte Informationstechniker. Inzwischen lebt Kowalewski schon so viele Jahre vegan, dass für ihn keine andere Ernährungsweise mehr in Betracht kommt.
Sven-Christian Kindler, geboren 1984, ist Mitglied des Bundestages für Bündnis90/Die Grünen. Der aus Hannover stammende Betriebswirt entschied sich mit 19 Jahren aus politischen Gründen für eine vegetarische Lebensweise. Da sich viele Tierfabriken in seinem Heimatbundesland Niedersachsen befinden, beschäftigte er sich bereits während seiner Zeit als Pfadfinder und Mitglied der Grünen Jugend Niedersachsen mit der Massentierhaltung und deren Folgen für Tier, Mensch und Umwelt. Kindler lebte drei Jahre vegan, isst inzwischen aber gelegentlich wieder Käse und Quark aus rein praktischen Gründen: »Unterwegs ist es schwierig, gutes veganes Essen zu bekommen.«
Dieses Problem kennt auch Simon Kowalewski. Zwar informiert er Veranstalter im Vorfeld, dass er sich vegan ernährt, aber nicht jeder stellt sich darauf ein, und so »fastet« Kowalewski bei manchen Empfängen oder muss auf vegane Convenience-Produkte zurückgreifen. Auf Veranstaltungen der eigenen Partei hingegen klappt es sehr gut mit veganen Essensangeboten. Die Piratenpartei unterstützt aktiv eine vollwertige, vegane Ernährung, indem sie beispielsweise eine landesverbandseigene Cateringtruppe, das 2012 begründete Gecko-Squad, betreibt.
Mehr vegane/vegetarische Angebote einfordern
Die beiden jungen Politiker sehen das Angebot einer biologisch vollwertigen und fleischlosen Verpflegung auf Veranstaltungen ihrer Parteien sowie den Donnerstag Veggietag als wichtige Meilensteine hin zu einer größeren Selbstverständlichkeit, pflanzenbasiertes Essen anzubieten und zu konsumieren. Wirklich nachhaltige Veränderungen im Sinne einer fleischlosen Ernährung seien aber nur durch ein wachsendes Bewusstsein bei den politisch Verantwortlichen und in der Bevölkerung möglich. Kowalewski setzt dabei auf Gespräche mit der Presse – zum Beispiel nach Fleischskandalen – und auf die fundierte Öffentlichkeitsarbeit von Organisationen wie etwa der Albert Schweitzer-Stiftung für unsere Mitwelt oder des Vegetarierbunds.
Kindler verweist darauf, dass man so früh wie möglich mit einer gesunden Ernährungsbildung anfangen sollte, nämlich bei den Kindern. Er fordert zudem den flächendeckenden Ausbau einer vegetarisch-veganen Kindergarten- und Schulverpflegung. Wichtig ist ihm, dass die Menschen, mit denen er über Ernährung ins Gespräch kommt, sich weder missioniert noch moralisch unter Druck gesetzt fühlen. Seiner Meinung nach eine wichtige Voraussetzung, um überhaupt Umdenken zu ermöglichen.
Die Macht des Verbrauchers
Es gibt noch viel zu tun. Simon Kowalewski will sich dafür einsetzen, dass in der Gemeinschaftsverpflegung, die von Menschen oft auch aus Gründen der Zeitersparnis aufgesucht wird, jeder Gast die Möglichkeit hat, sich vollwertig zu ernähren. Des Weiteren sieht er eine umfassendere Etikettierung von Lebensmitteln, die auch die Hilfsstoffe im Produktionsprozess deklariert, als unerlässlich an, und wünscht sich eine verbindliche Definition der Bezeichnung »vegan«, um solche Produkte klar auszuweisen. Und nicht zuletzt drängt der Tierfreund auf ein Tierschutzgesetz, das dem Staatsziel des Tierschutzes gerecht wird, »statt alle Wünsche der Massentierhalter, wie beispielsweise die unbetäubte Kastration von Ferkeln, zu erfüllen.«
Sven-Christian Kindler sieht das ähnlich: »Die vielen Lebensmittelskandale der Vergangenheit zeigen: Wir müssen das ganze System der Lebensmittelproduktion, insbesondere der Massentierhaltung, vom Kopf auf die Füße stellen – Klasse statt Masse. Ohne den Druck der Verbraucher ist dies aber nicht möglich.«