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Fleischkonsum: Politik unter Zugzwang

Beim Fleischkonsum besteht Zugzwang
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Seit Jahren weisen Nichtregierungsorganisationen verschiedenster Richtungen kontinuierlich darauf hin, dass die Höhe des Fleischkonsums in den westlichen Industrieländern wie Deutschland sinken muss – dies aus tierethischen, gesundheitlichen, umweltbezogenen und die Zukunft der Welternährung sichernden Gründen. Von Seiten der Politik werden die vielen Appelle bisher jedoch nur unzureichend gehört. Nennenswerte bundesweite Initiativen zur Senkung des Fleischkonsums und zur Förderung pflanzenbasierterer Ernährungsstile sind bislang ausgeblieben. Stattdessen wird der weit zu hohe Fleischkonsum weiterhin in Kauf genommen und sogar noch auf eine stetige Produktionsausweitung gesetzt, um im Zuge einer starken Exportorientierung auf die global wachsende Fleischnachfrage zu reagieren Dies ist umso erstaunlicher, als dass damit nicht nur die Erkenntnisse der Nichtregierungsorganisationen ignoriert werden, sondern auch die Arbeiten und Positionen einiger regierungsnaher oder -eigener Institutionen.

Welternährung und Umwelt

Laut dem aktuellen Welthungerbericht der Welternährungsorganisation (FAO) leiden weltweit rund 800 Mio. Menschen an Hunger. Bereits 2011 veröffentlichte in Deutschland das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) den Bericht »Forschung zur Lösung des Welternährungsproblems – Ansatzpunkte, Strategien, Umsetzung«. Darin wird u. a. zu bedenken gegeben, dass aufgrund des derzeit überproportional steigenden Fleischkonsums bei wachsender Weltbevölkerung »die Zahl unter- und mangelernährter Menschen noch steigen« und die Fleischerzeugung »künftig noch stärker in direkte Konkurrenz um knappe Flächen, Wasser und sonstige natürliche Ressourcen treten« könnte. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass »Veränderungen der Konsummuster hin zu ressourcenschonenden Nahrungsmitteln […] zumindest teilweise erübrigen würden«, immer höhere Futtermittelerträge auf bereits belasteten Flächen produzieren zu wollen. Über den Weg der »Verringerung des Konsums von tierischen Nahrungsmitteln, vor allem von Fleisch« könne speziell auch eine Verminderung des Wasserverbrauchs erreicht werden.

Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (WBA beim BMELV, heute BMEL) erwähnt in einer 2012 veröffentlichten Stellungnahme zum Thema »Ernährungssicherung und nachhaltige Produktivitätssteigerung« u. a., dass neben Fleisch »auch Milchprodukte […] mit beträchtlichen Veredelungsverlusten verbunden« sind und dass bei »reduziertem Fleischkonsum […] mehr Menschen mit Kalorien versorgt werden« könnten. Außerdem wird angeführt, dass »die tierische Produktion für einen signifikanten Teil der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich« und »ein geringerer durchschnittlicher Fleischverzehr in den Industrieländern angezeigt« sei. Dies nicht zuletzt aufgrund der Beispielfunktion, die »langfristig den Konsumtrend in den Entwicklungsländern […] beeinflussen« könnte.

2013 stellte das Umweltbundesamt (UBA) in seiner Publikation »Globale Landflächen und Biomasse nachhaltig und ressourcenschonend nutzen« einen sehr einsichtigen Zusammenhang zwischen dem zu hohen Fleischkonsum der Industrieländer und dem Welthunger her, indem es darauf hinwies, dass die in der Massentierhaltung gehaltenen »Nutztiere« zu einem hohen Anteil mit Nahrung gefüttert werden, die ebenso gut für den menschlichen Verzehr geeignet wäre (v. a. Mais, Soja und Getreide). In seinem 2015 erstellten Sondergutachten »Umweltprobleme der Landwirtschaft – eine Bilanz« merkt das UBA zudem an, dass »ein hoher Fleischkonsum […] generell mit negativen Wirkungen verbunden ist.« So könne etwa eine Reduzierung des Treibhausgasausstoßes nur dann erfolgen, wenn neben einer Reduzierung des Tierbestands in Deutschland »gleichzeitig der Konsum tierischer Lebensmittel sinkt. Ist dies nicht der Fall, verlagert sich die Produktion tierischer Lebensmittel und der damit verbundene Ausstoß an Treibhausgasen in andere Länder und führt nicht zu einer globalen Reduzierung des Treibhausgasausstoßes.«

Auf der Internetseite des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) wird über den Artikel »Ernährung: Lebensmittel und Konsum« (Stand: März 2015) ein geringerer Konsum von Fleisch und Milchprodukten empfohlen, denn: »Im Hinblick auf die Lebensmittelwahl gilt grundsätzlich, dass von Tieren stammende Nahrungsmittel, wie Fleisch, Butter und Eier erheblich umweltaufwändiger herzustellen sind, wie die gleiche Menge pflanzlicher Nahrung, z. B. Obst, Gemüse, Brot und eifreie Nudeln. So werden 60 Prozent unserer landwirtschaftlichen Nutzfläche als Weide oder zum Abbau von Viehfutter genutzt. Der Verbrauch an Wasser und Energie ist z. B. für Fleisch und Butter viel höher als für pflanzliche Lebensmittel. Pflanzliche Kost verursacht erheblich weniger an schädlichen Klimagasen im Vergleich zu Fleisch (insbesondere Rindfleisch), Butter und Milchprodukten.«

Gesundheit

In gesundheitlicher Hinsicht wird vor allem von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), die zu rund 70 Prozent über öffentliche Mittel des Bundes und der Bundesländer finanziert wird, für einen bedeutend geringeren Fleischkonsum plädiert. So spricht sie sich bereits seit Jahren im Zuge ihrer Ernährungsempfehlungen dafür aus, den Fleischkonsum in Deutschland auf maximal 300-600 Gramm pro Woche und Kopf zu senken, was mindestens eine Halbierung der bisherigen Konsumhöhe (insb. bei Männern) erfordert. Im Mai 2015 bekräftige die DGE in einer Pressemitteilung noch einmal ihre Position, indem sie sich »sowohl aus Gründen der Gesundheitsförderung als auch der Nachhaltigkeit für einen geringeren Verzehr von Fleisch, Fleischwaren und Wurst« aussprach und dabei auch darauf hinwies, dass derzeit »von der wünschenswerten Menge von 400 g Gemüse pro Tag […] Männer und Frauen […] nur ein Drittel« erreichen. Neben der Empfehlung, den Fleischkonsum zu senken, steht somit auch die Empfehlung, den pflanzlichen Pro-Kopf-Konsum bedeutend anzuheben.

Aktuelles WBA-Gutachten zur »Nutztierhaltung«

Anfang 2015 veröffentlichte der WBA des BMEL ein rund vierhundert Seiten starkes Gutachten mit dem Titel »Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung«. Darin fordern die Wissenschaftler nicht nur eine entschiedene Wende bei der Tierhaltung, sondern auch – mit Blick auf die Welternährung, die Umwelt und die Gesundheit – »eine neue Kultur des Konsums«:

»Vor dem Hintergrund der wachsenden Weltbevölkerung und der damit steigenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln bei begrenzter Fläche […] sollten«, so das Gutachten, »aus Gründen der internationalen Fairness, aber auch aus Gründen des Klimaschutzes, der Konsum tierischer Produkte sowie die Menge der Lebensmittelabfälle in der EU verringert werden. […] Zur Reduzierung des Konsums tierischer Produkte ist vor allem eine Änderung des Konsumstils nötig, der nur langfristig und insbesondere über Verbraucherinformation und Ernährungsbildung erreichbar ist.« An anderer Stelle wird zudem ergänzt: »Neben Fragen der Welternährung sprechen […] gesundheitliche Überlegungen für eine Verringerung des Konsums von Fleisch und insbesondere von Fleischwaren in Deutschland.« Und mit Blick auf die Umwelt heißt es im Gutachten u. a.: »Da die Erzeugung von Fleisch und tierischen Produkten meistens mit deutlich höheren Treibhausgasemissionen und Ressourcenaufwendungen verbunden ist als die pflanzliche Erzeugung, kann der Verbraucher über die Reduzierung des Verzehrs tierischer Lebensmittel einen maßgeblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten.«

Fleischkonsum senken: Die Politik ist am Zug

Anders als oft suggeriert, ist die Forderung nach einer deutlichen Reduzierung des Fleischkonsums und auch weiterer tierlicher Produkte schon längst keine mehr, die allein von Nichtregierungsorganisation ausgesprochen wird. Immer mehr regierungsnahe oder -eigene Institutionen schließen sich der Forderung an oder sprechen zumindest Empfehlungen in diese Richtung aus. Spätestens mit dieser Entwicklung sollte der Politik klar werden, dass sie bezüglich der Konsumfrage unter einem äußerst starken Zugzwang steht. Zwar erklärte die Bundesregierung erst kürzlich, ein »Nationales Programm zum Nachhaltigen Konsum« ins Leben rufen zu wollen, wann genau dieses jedoch merklich greift und inwieweit dabei insbesondere der Konsum von tierlichen Produkten letztlich tatsächlich berücksichtig werden wird, bleibt noch abzuwarten. Wünschenswert wäre hierbei jedoch das Aufgreifen von bereits fortschrittlicheren Länderinitiativen, wie etwa die von Rheinland-Pfalz, die u. a. mit einer informierenden Broschüre zur nachhaltigen Ernährung vollzogen wird. Aber auch weitere mögliche Ansätze und Instrumente, um in der Konsumfrage tätig zu werden, bestehen mittlerweile genügend.

Abschließend sollte noch gefragt werden, weshalb die Politik den vielen Forderungen und Empfehlungen bisher eigentlich kaum Rechnung trägt. Schließlich kann inzwischen z. B. auch in der Publikation »Nahrung für Milliarden – Forschungsaktivitäten der Bundesregierung zur globalen Ernährungssicherung«, die u. a. vom Bundeslandwirtschaftsministerium 2014 herausgegeben wurde, nachgelesen werden, dass Verbraucherinnen und Verbraucher »mit einem bewussten Konsumverhalten […] wesentlich dazu beitragen [können], Ressourcen zu schonen und die Welternährung zu verbessern.« Eine erste Antwort findet sich schnell mit Blick auf die wohl tatsächlich vorherrschende Positionierung des Ministeriums: Angesichts der Tatsache, dass es nicht müde wird, mitunter unablässig die deutsche Fleischwirtschaft öffentlich zu würdigen und insbesondere dem Export von Fleisch eine vermeintlich immer bedeutendere Rolle zuzuschreiben, erscheinen Sätze, wie der eben zitierte, letztlich nur als halbherzig abgedruckte Aussagen mit wenig Handlungspotenzial. Eine alle Bedenken überragende und nahezu allein an kurzfristigen ökonomischen Interessen orientierte Politik wird damit offenbar – bedingungslos zu akzeptieren ist sie schon längst nicht mehr.

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