Die Natur schlägt zurück
Unter dem oben genannten Titel hat der ehemalige Veterinäramtsleiter Dr. Hermann Focke sein zweites Buch veröffentlicht, das sich mit dem Antibiotikamissbrauch in der intensiven Nutztierhaltung und Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt beschäftigt.
In der ersten Hälfte des Buchs beschreibt Dr. Focke die gängigen Haltungsbedingungen in der »Nutztierhaltung«, und er untermalt diese mit seinen eigenen beruflichen Erfahrungen. Die Leser:innen erhält so tiefe Einblicke in die Funktionsweise der Agrarindustrie und in ihre politische Einflussnahme.
Die zweite Hälfte des 200 Seiten starken Buchs widmet sich den Antibiotika: Behandelt werden zunächst Entdeckung, Wirkung und die Entstehung von Resistenzen. Dabei mag sich der Laie an einigen Stellen wegen der vielen Fachbegriffe schwer tun, aber Dr. Focke holt auch solche Leser:innen immer wieder mit kleinen, verständlichen Zusammenfassungen ab, sodass seine Leserschaft gut vorbereitet ist, wenn es ans Eingemachte geht:
Dr. Focke zeigt auf, dass es wegen einer fehlenden umfassenden Dokumentationspflicht keine verlässlichen Daten über den Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung gibt. Er verdeutlicht weiterhin, warum man den Angaben der Pharma- und der Agrarindustrie keinen Glauben schenken sollte. Die Leser:innen erfahren außerdem, dass mit einer steigenden Tierdichte und Tierzahl im Stall der Antibiotikabedarf rapide zunimmt – so viel zu den Behauptungen der Agrarindustrie, es komme nicht auf die Anzahl der Tiere an.
Antibiotika beschleunigen die Gewichtszunahme der Tiere in der Mast. Dabei werden den Tieren die Medikamente routinemäßig und unterdosiert verabreicht, was einen der Hauptgründe für die Bildung von Antibiotikaresistenzen darstellt. Daher hat die EU die Verwendung von Antibiotika als Leistungsförderer im Jahr 2006 verboten (in den USA ist sie noch legal). Es liegt also nahe, dass der Antibiotikaverbrauch seit 2006 massiv eingebrochen sein müsste, aber das Gegenteil ist der Fall: Dr. Focke zeigt z. B., dass die Pharmaindustrie im Jahr nach dem Verbot einen Umsatzsprung von 9,2% bei Antibiotika verbuchen konnte, die in der Tierhaltung angewendet werden. Er zeigt außerdem, dass die Verwendung von Antibiotika als Leistungsförderer trotz Illegalität weiter geht.
Dr. Focke beschreibt weiterhin, dass viele Masthühner bis zu zwei Drittel ihres Lebens Antibiotika erhalten, während in der Schweinehaltung die Tiere teilweise bis kurz vor der Schlachtung quasi unter einer Dauermedikation gehalten werden. In der Putenhaltung ist es offensichtlich in mehreren Fällen sogar schon so weit gekommen, dass Krankheiten trotz eines extrem hohen Antibiotikaeinsatzes nicht mehr im Griff gehalten werden können – die ersten Ställe bleiben laut Dr. Focke deshalb schon leer.
Trotz Warnungen aus der Wissenschaft, dass die Agrarindustrie massiv zum Verlust der Wirksamkeit von Antibiotika für Mensch und Tier beiträgt, bleibt die Politik weitestgehend untätig. Wenn das so bleibt, könnte der Titel des Buchs schon bald Wirklichkeit werden: Die Natur schlägt zurück, indem sie immer mehr Krankheitserreger weitestgehend antibiotikaresistent werden lässt und uns vor kaum lösbare Gesundheitsprobleme stellt.