Birgit Mütherich (4.10.1959 – 16.11.2011)
Birgit Mütherich ist durch ihre Texte, Vorträge, Teilnahme an Veranstaltungen und Demonstrationen wohl vielen Tierrechtlern dem Namen nach bekannt. Im persönlichen Kontakt beeindruckte sie durch umfassende Kenntnisse, brillante Formulierungsgabe, wissenschaftlichen Stil, persönliche Ausstrahlung und unermüdliches Engagement für die Befreiung der Tiere.
Birgit besaß ungewöhnlich vielseitige Begabungen, im sprachlichen und mathematisch-naturwissenschaftlichen wie auch im musischen Bereich, u.a. in der bildenden Kunst, wovon eine große Zahl erstaunlich gut gemalter Bilder zeugt. Sie hatte auch in verschiedenen Bereichen der Arbeitswelt Erfahrungen gesammelt, bevor sie sich aufgrund ihres ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühls für ein Studium der Sozialwissenschaften entschied. Sie arbeitete an der Sozialforschungsstelle Dortmund mit dem Schwerpunkt Jugend-, Migrations-, Gender- und Arbeitsforschung und zuletzt als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Universität Dortmund.
Mit ihrem Buch Die Problematik der Mensch-Tier-Beziehung in der Soziologie und weiteren Texten wirkte sie bahnbrechend für die Etablierung der Human-Animal Studies im deutschen Sprachraum. Die Einrichtung von Arbeitsgruppen zur Mensch-Tier-Beziehung bei der Tagung des Berufsverbandes Deutscher Soziologinnen und Soziologen 2003 in Dortmund und auf dem 33. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2006 in Kassel ging maßgeblich auf sie zurück.
Sie gehörte zu den ersten Tierrechtler_innen, die sich vom Vegetarismus, zu dem sie sich in ihrem 10. Lebensjahr entschlossen hatte, zum Veganismus weiterentwickelten. Sehr früh problematisierte sie schon die Verwendung von Leder und anderen Tierprodukten. Sensibel achtete sie auf eine Tiere nicht diskriminierende Sprache. So geht die inzwischen geradezu zum tierrechtlerischen Erkennungsmerkmal gewordene Ersetzung von »tierisch« durch »tierlich« weitgehend auf ihre unablässigen Hinweise zurück.
Eigenschaften von Tieren waren für sie moralisch unerheblich: Wer sie zu Hause besuchte, weiß um all die Vorsichtsmaßnahmen und Rettungsaktionen auch für Insekten und andere kleinste tierliche Individuen, die im großen politischen Diskurs meist wenig Beachtung finden. Im Mittelpunkt ihrer politischen und wissenschaftlichen Arbeit stand letztendlich immer das konkrete Individuum und sein Leiden.
Ebenso wie sich Birgit Mütherich gegen die speziesistische Unterdrückung der nichtmenschlichen Tiere einsetzte, kritisierte sie in der menschlichen Gesellschaft Diskriminierung und Ausbeutung, vor allem soziale Ungleichheit und Ausschließung, Rassismus und Homophobie. Dabei versuchte sie stets, die verschiedenen Unterdrückungsformen gegenüber Tieren und Menschen in ihrer Gesellschaftskritik zu berücksichtigen, aufeinander zu beziehen und ihre gemeinsame Wurzel offen zu legen.
Längere Zeit arbeitete sie mit in der Landesarbeitsgemeinschaft Mensch und Tier (heute Tierrechte) der Grünen NRW und in PAKT (»Politischer Arbeitskreis für Tierrechte in Europa«). Sie nahm in den achtziger und neunziger Jahren an fast allen wichtigen Demonstrationen für Tierrechte teil, u.a. an der ersten Antistierkampfdemonstration in Madrid 1988 und an internationalen Tierrechtskonferenzen, z. B. in Tossa de Mar 1991. Da sie die spanische Sprache und Kultur liebte, lag ihr die spanische Tierrechtsbewegung besonders am Herzen. Ihre vielfältigen Sprachkenntnisse brachte sie bei den Tierrechtskongressen in Wien 2002 und dem internationalen Vegetarierkongress im Haag 1994 ein, denn ihr war die Internationalität der Tierrechtsbewegung wichtig.
Bei aller ihr eigenen Konsequenz war Birgit Mütherich doch auch bestrebt, soweit dies möglich und tragbar war, breite Bündnisse zu schließen, u.a. bei den Demonstrationen gegen die Ausstellung »Jagd und Hund« in Dortmund, die sie mehrfach mit organisierte. Sie verstand die Tierrechtsbewegung als eine emanzipatorische Bewegung, schätzte Individualität und Autonomie und begriff die Verschiedenheit von Lebensstilen und -entwürfen als Bereicherung.
Mit Birgit Mütherich haben die Tierrechtsbewegung viel zu früh eine brillante Rednerin und scharfsinnige Analytikerin und die Tiere eine warmherzige, empathische und mutige Kämpferin für ihre Rechte verloren.
- Renate Brucker