Bei Tierquälerei versagt der Rechtsstaat
Auf Tierschutzaktivist:innen, die Verstöße filmen und bekannt machen, war nicht nur die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner schlecht zu sprechen. Sie sagte den »selbsternannte[n] Stallpolizisten« den Kampf an. Tierschutzverstöße in der Landwirtschaft aufzudecken und zu bestrafen, ist in Deutschland Aufgabe der Veterinärämter, Staatsanwaltschaften und Gerichte, so ihre Begründung. Das Problem dabei ist: Diese staatlichen Kontrollinstanzen kommen ihren Aufgaben nur selten nach und wenn, dann mit wenig Erfolg.
Machtlose Veterinärbehörden
Ob sich tierhaltende Betriebe an das Tierschutzrecht halten, sollen Amtsveterinär:innen kontrollieren. Zahlen der Bundesregierung belegen jedoch, dass sie dies viel zu selten tun – im Schnitt nur alle 17 Jahre.
Gründe hierfür sind nach unserer Erfahrung Personalmangel, wirtschaftliche Interessen oder Abhängigkeiten sowie mangelnder Rückhalt für diejenigen, die ihre Aufgaben ernst nehmen. So berichtete zum Beispiel eine Amtsveterinärin, die Verstöße gemeldet hatte, dem TV-Magazin Report Mainz: »Man wird als Störenfried, als Querulant, als Gegner angesehen.« Und eine Schlachthof-Veterinärin: »Mir wurde von der zuständigen Behörde auch nahe gelegt, meine Arbeit nicht ganz so streng durchzuführen, sonst sei auch mein Job als Tierarzt gefährdet. Der Schlachthof ist ein großer Arbeitgeber, ein guter Steuerzahler. Der Tierschutz bleibt auf der Strecke.«
Aus den Zahlen der Bundesregierung geht auch hervor: Von den im Jahr 2017 kontrollierten Betrieben waren rund 20 % auffällig. Jedoch leiteten die Behörden nur bei rund 20 % der auffälligen Betriebe überhaupt ein Ordnungswidrigkeits- oder Strafverfahren ein. In 80 % der Fälle forderten sie die Verantwortlichen lediglich dazu auf, die Probleme zu beseitigen.
Untätige Staatsanwaltschaften
In den seltenen Fällen, in denen es überhaupt zu einer Strafanzeige kommt, stellen die Staatsanwaltschaften die Verfahren oft ergebnislos wieder ein. Die Hamburger Anwältin Dr. Davina Bruhn hat 2018 für Greenpeace ein Gutachten erstellt, in dem sie acht solche Fälle untersucht hat. Ihr Fazit: Staatsanwält:innen verletzen häufig ihre Ermittlungs- und Verfolgungspflichten, ihre Entscheidungen sind »methodisch mangelhaft«.
Schlampige Ermittlungen
Ein Hauptkritikpunkt Bruhns an der Arbeit der Staatsanwaltschaften: Selten veranlassen sie eigene Untersuchungen. Hatten Tierschützer:innen belastendes Videomaterial vorgelegt, befassten sich die Anklagebehörden oft nur mit den Aufzeichnungen. Weder ließen sie die Verantwortlichen befragen noch die Ställe von Fachpersonal begutachten.
Die Staatsanwaltschaften stellten daher häufig Verfahren mit der Begründung ein, dass sie anhand des Videomaterials keine eindeutigen Aussagen über die Haltungsbedingungen, die Situation oder das Leiden der Tiere treffen könnten.
Irrende und nicht verantwortliche Tierhalter:innen
Manche Staatsanwält:innen zeigten auch große Nachsicht gegenüber den verantwortlichen Personen. So etwa im Fall einer Anzeige gegen den Betreiber der Schweinezuchtanlage Gut Thiemendorf in Thüringen. Die Staatsanwaltschaft argumentierte, der Angeklagte habe sich geirrt und geglaubt, dass seine Form der Haltung erlaubt sei. Ähnliche Argumentationen findet man häufig, sie sind jedoch nicht zulässig, da sich Tierhalter:innen umfassend informieren müssen.
In einem anderen Fall aus Bruhns Gutachten stellte die Staatsanwaltschaft die Verfolgung der Tierschutzverstöße gänzlich ein, nur weil die Angeklagte die Verantwortung für den Betrieb auf ihren Ehemann übertragen hatte. Von ihrer Verantwortung für eventuelle Straftaten entbindet sie das nicht; das entschied auch der Bundesgerichtshof.
Was ist »erheblich« und was »vernünftig«?
Ein weiteres großes Problem bei der rechtlichen Verfolgung von Tierschutzverstößen besteht in der Auslegung der Begriffe. So ist es laut § 17 Tierschutzgesetzes strafbar, ein Wirbeltier »ohne vernünftigen Grund« zu töten oder ihm »erhebliche« Schmerzen oder Leiden zuzufügen – sofern dies »aus Rohheit« erfolgt oder wenn diese »länger anhaltend« oder »sich wiederholend« sind.
Die von Bruhn untersuchten Fälle zeigen: Immer wieder spielen die Anklagebehörden die Leiden und Schmerzen der Tiere herunter. Häufig argumentieren sie, dass keine »erheblichen« Leiden zu vermuten sind. Auch schätzen sie die Dauer als nicht relevant ein oder sehen zum Beispiel eine Wiederholung erst gegeben, »wenn der Schmerz beim Tier völlig abgeklungen ist und wenigstens einmal erneut auftritt«. In zwei der untersuchten Fälle wollten sich die Staatsanwält:innen nicht festlegen, ob der Grund der Tötung »vernünftig« war oder nicht.
Wirtschaftliche Interessen der Agrarindustrie
Prof. Dr. Jens Bülte, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht der Universität Mannheim, zeigt in seinem Artikel »Zur faktischen Straflosigkeit institutionalisierter Agrarkriminalität« von 2018 auf, wie Interessenverbände der Agrarindustrie geltendes Recht beugen und uminterpretieren. Ihnen gelingt es Bülte zufolge immer wieder, mit eigenen Gutachten und lancierten Fachbeiträgen, sowohl die öffentliche Meinung als auch Behörden und Gerichte zu verwirren und zu beeinflussen.
In vielen Fällen galten wirtschaftliche Interessen zudem als ein gewichtiger Grund, Tierschutzvorgaben nicht einzuhalten. Zum Beispiel, weil dies für die Betriebe ökonomisch nicht zumutbar war oder einen Wettbewerbsnachteil bedeutete. Im restlichen Strafrecht führt das Handeln aus Habgier oder Gewinnstreben hingegen regelmäßig zu einer Verschärfung der Strafe, erinnert Bülte.
Auch bei der routinemäßigen Tötung von männlichen Küken in der Eierindustrie galten wirtschaftliche Interessen lange als »vernünftiger Grund«. In dieser Frage erfolgte 2019 jedoch ein Umdenken: Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass wirtschaftliche Gründe nicht als »vernünftig« gelten, um die ungewollten Küken zu töten. Zwar gewährte es, auch aus wirtschaftlicher Rücksicht, eine Übergangsfrist, aber nur, weil Behörden das rechtswidrige Handeln jahrzehntelang hatten durchgehen lassen. Insgesamt ist das Urteil damit ein wichtiger Fortschritt für das Tierschutzrecht und sollte wirtschafltiche Überlegungen als Begründung für Tierquälerei zukünftig ausschließen.
Tausendfache Quälerei bleibt straffrei
Dennoch, besonders im Tierschutzrecht sind laut Bülte Behörden und Gerichte bereit, bei Straftaten, die gewohnheitsmäßig und im großen Stil begangen werden, wegzusehen. Er kommt zu dem Schluss: »Wer eine Tierquälerei begeht, wird bestraft, wer sie tausendfach begeht, bleibt straflos und kann sogar mit staatlicher Subventionierung rechnen.«
Viele Praktiken in der Massentierhaltung verstoßen gegen das Tierschutzgesetz. Dafür liefern Sterbequoten, Krankheits- und Verletzungsfälle sowie Verhaltensstörungen klare Anzeichen. In einem früheren Gutachten hat die Anwältin Davina Bruhn zum Beispiel die Rechtswidrigkeit von Kastenständen dargelegt. Auch der Wissenschaftliche Beirat Agrarpolitik (WBA) des Bundeslandwirtschaftsministeriums sah in seinem Gutachten »Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung« aus 2015 »erhebliche Defizite vor allem im Bereich Tierschutz« bei den Haltungsbedingungen.
Obwohl wir es also eigentlich besser wissen und es die meisten Menschen nicht gutheißen, ist Tierquälerei Alltag in der Agrarindustrie. Diese »Normalität« ist gefährlich, weil sie Gesetze und Werte unterhöhlt und diejenigen benachteiligt, die sich an die Regeln halten.
Fazit: Die Realität läuft unseren Werten zuwider
Bruhn kommt zu dem Schluss, dass »eine Bekämpfung gravierender und systematischer Verstöße gegen das Tierschutzrecht im Bereich der Massentierhaltung, nicht stattfindet«. Entgegen den allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen tolerieren Verantwortliche gewohnheitsmäßig Straftaten der Massentierhaltung.
Wir sehen hier einen erheblichen Verbesserungsbedarf und fordern von der Regierung, die Nachlässigkeiten beim Aufdecken und Verfolgen von Tierschutzverstößen zu beenden und die konsequente Umsetzung des Tierschutzgesetzes anzumahnen.
Laut Artikel 20a des Grundgesetzes gehört der Tierschutz zu den Zielen des Staates. Die Realität sieht leider anders aus.