Agrarindustrielle Verflechtungen in der Politik
Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft sorgen bei Wählerinnen und Wählern meist für Unmut – und das nicht zu Unrecht. Denn wenn ein Politiker damit rechnen kann, dass sich seine persönlichen Finanzen ähnlich gut oder schlecht entwickeln wie eine bestimmte Wirtschaftsbranche, dann steigt die Gefahr, dass der Politiker Entscheidungen fällt, die nicht im Sinne des Gemeinwohles sind.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Fall Peer Steinbrück für Aufsehen sorgt, was uns den Anlass gibt, die Verflechtungen zwischen Agrarindustrie und Politik näher zu betrachten. Um es vorweg zu nehmen: Astrid Grotelüschen, die als Landesministerin inzwischen zurückgetretene »Puten-Queen«, bildet nur die Spitze des Eisbergs.
CDU-Agrarpolitiker zählen zu Top-Nebenverdienern
Die Organisation »abgeordnetenwatch.de« hat sich die Mühe gemacht, die Nebenverdienste der Bundestagsmitglieder auszurechnen bzw. Mindestsummen zu ermitteln. Das Problem: Ihre Nebenverdienste müssen die Abgeordneten nur in den drei Stufen »1.000 bis 3.500 Euro«, »bis 7.000 Euro« und »über 7.000 Euro« angeben. Um Unfairness auszuschließen, muss man bei der Berechnung den jeweils niedrigst möglichen Wert ansetzen (z. B. 7.001 Euro bei der höchsten Stufe) – mit der Folge, dass die Nebeneinkünfte in praktisch allen Fällen deutlich unterschätzt werden.
Das Ergebnis: Unter den Spitzen-Nebenverdienern befinden sich drei CDU-Agrarpolitiker. Franz-Josef Holzenkamp hat es u.a. mit Spitzenfunktionen in agrarindustriell geprägten Unternehmen und Verbänden seit Beginn der aktuellen Legislaturperiode auf über 213.000 Euro Nebeneinkommen gebracht. Sein Kollege Norbert Schindler (nicht verwandt mit unserem Präsidenten Wolfgang Schindler) brachte es u.a. mit teils sehr ähnlichen Posten auf über 211.000 Euro. Auch der CDU-Agrarpolitiker Johannes Röring gehört mit über 191.500 Euro zu den Abgeordneten mit den höchsten Nebeneinkommen. Er ist Präsident eines Bauernverbandes und wirtschaftlich im Bereich der Agroenergie engagiert.
Für die Wahrnehmung ihrer Bundestagsmandate erhalten die Politiker deutlich weniger. Auch deshalb verschwimmen die Grenzen zwischen Haupt- und Nebentätigkeit, wie MdB Friedrich Ostendorff anmerkt.
Landesminister im Aufsichtsrat - lässt genehmigen und bauen
Zu Beginn der Amtszeit des Landwirtschaftsministers von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus (SPD), stand ein Koalitionsvertrag, in dem es hieß: »Die Koalitionspartner setzen sich bei großen Tierhaltungsanlagen für eine klare Begrenzung ein. Dazu werden sie über eine Bundesratsinitiative die Bundesregierung auffordern, das Recht so zu ändern, dass bei Tierhaltungsanlagen neue, strengere Kriterien eingeführt und vorhandene Ausnahmeregelungen kritisch überprüft werden«.
Doch in der Praxis läuft es anders: Till Backhaus, der nebenbei Aufsichtsratsvorsitzender eines Unternehmens ist, das Tierfabriken plant und baut, ist mitverantwortlich dafür, dass in seinem Land eine riesige Ferkelzuchtanlage (Alt-Tellin) gebaut wird. In das Geschäft involviert ist nicht nur die besagte Firma, sondern wahrscheinlich auch ein zweites Unternehmen. Auch der dortige Aufsichtsratsvorsitzende, Karl-Otto Kreer, hat es politisch weit gebracht – er ist Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium. Dass die Genehmigung so reibungslos verlief, dass der berüchtigte Investor Straathof sich auf seiner Internetseite sogar für die gute Zusammenarbeit mit den Behörden und Ämtern bedankt, könnte auch daran liegen, dass diese Behörden und Ämter Backhaus unterstehen. Weitere Details hat der NDR aufgearbeitet.
Landwirtschaftskammer und Geflügellobby unter einem Dach
Arendt Meyer zu Wehdel ist Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Diese Kammer ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts und wird aus Steuergeldern finanziert. Da darf man schon verwundert sein, wenn Meyer zu Wehdel die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt in einer Glosse angreift, weil sie sich für eine Reduzierung des nachweislich auf vielen Ebenen schädlichen, überhöhten Fleischkonsums einsetzt. Noch mehr (oder vielleicht noch weniger) muss man sich wundern, wenn dessen Landwirtschaftskammer unter einem Dach mit einem wichtigen Lobbyverband der Geflügelwirtschaft (NGW) sitzt. Nicht nur das: Die Landwirtschaftskammer hat dem NGW auch gleich noch eine E-Mail-Adresse eingerichtet (ngw@lwk-niedersachsen.de). Auf eine Anfrage der AbL, ob und inwieweit diese merkwürdige Nähe auch in der Bereitstellung von Personal, Material und/oder Räumlichkeiten mündete, hat Meyer zu Wehdel bislang keine Stellung genommen.
Und die Folgen?
In einer gut funktionierenden Demokratie kann man davon ausgehen, dass die Aufdeckung solcher Verflechtungen zu mehreren Rücktritten führt. Immerhin ist damals ja auch Astrid Grotelüschen zurückgetreten – wenn auch offiziell aus anderen Gründen. Ob nun wirklich Rücktritte erfolgen, bleibt abzuwarten. Und Frau Grotelüschen? Die wurde soeben in ihrem Wahlkreis mit großer Mehrheit zur CDU-Kandidatin für den Bundestag gewählt. Man spricht von einer »zweiten Chance«.