Tierärzte – Anwälte der Tiere?
Die Frage, ob Tierärzte Anwälte der Tiere und Verbraucher sind oder doch eher Unternehmensberater der Fleischindustrie wurde nicht etwa angesichts der Lebensmittelskandale in den letzten Wochen und Monaten von Tier- und Verbraucherschützern aufgeworfen, sondern durch die Bundestierärztekammer bereits im Oktober 2012 als Ausgangsthese eines Arbeitskreises gestellt. Ein Anlass für uns, sich einmal näher mit der Rolle der Tierärzte im Bereich der industriellen Nutztierhaltung im Spannungsfeld zwischen Tierschutz und wirtschaftlichen Interessen zu beschäftigen.
Tierärzte sind die berufenen Schützer der Tiere
Laut Paragraph 1 der Bundestierärzteordnung sind Tierärzte »berufen, Leiden und Krankheiten der Tiere zu verhüten, zu lindern und zu heilen, zur Erhaltung und Entwicklung eines leistungsfähigen Tierbestandes beizutragen, den Menschen vor Gefahren und Schädigungen durch Tierkrankheiten sowie durch Lebensmittel und Erzeugnisse tierischer Herkunft zu schützen und auf eine Steigerung der Güte von Lebensmitteln tierischer Herkunft hinzuwirken«. Im Rahmen der landwirtschaftlichen Tierhaltung sind Tierärzte zum einen als praktizierende Tierärzte für die Tiergesundheit und die Einhaltung tierschutzrechtlicher Anforderungen vor Ort zuständig, zum anderen im öffentlichen Dienst für die Überwachungsmaßnahmen vom Stall über die Schlachtung bis hin zur Lebensmittelverarbeitung. Je nach Tätigkeitsfeld stehen sie somit unterschiedlichen Herausforderungen gegenüber.
Lebensunterhalt im Auftrag von Landwirten
Praktische Tierärzte behandeln in der industriellen Nutztierhaltung immer seltener einzelne Tiere, sondern zunehmend ganze Bestände, die laufend größer werden. Angesichts der Tatsache, dass durch diese Konzentration die Zahl der Kunden immer mehr abnimmt, die Größe und somit das Auftragsvolumen der einzelnen Tierhalter aber immer mehr zunimmt, wächst die Abhängigkeit des Veterinärs von seinem Auftraggeber. Selbst in den eigenen Reihen wird darin die Gefahr gesehen, dass Tierärzte sich zu »Erfüllungsgehilfen der Industrie« machen und Krankheiten kurieren, »die aus schlechten, rein profitorientierten Haltungsbedingungen« resultieren. Auch Eingriffe wie das in der konventionellen Haltung durch Tierhalter inzwischen quasi routinemäßig durchgeführte Schwänzekürzen und Zähneschleifen bei Ferkeln, Enthornen bei Kälbern oder Kürzen des Oberschnabels bei Vögeln wie Hennen, Enten u.a. stehen vor diesem Hintergrund zunehmend in der Kritik. Dabei sind diese nach §6 Abs. 1 des Tierschutzgesetzes grundsätzlich verboten und nur in Einzelfällen erlaubt. Und nicht zuletzt angesichts der Antibiotikaskandale des letzten Jahres wurde die anscheinend hohe Zahl der schwarzen Schafe unter den Tierärzten, die diese Arzneimittel eindeutig nicht auf den therapeutisch erforderlichen Umfang minimierten, überdeutlich. Vielmehr versuchten diese Veterinäre mit Hilfe der Antibiotika die Auswirkungen katastrophaler Haltungbedingungen auszugleichen, ohne sich dafür einzusetzen, diese zu verbessern.
Kontrollen nicht ausreichend
Doch auch die Veterinärämter und die in diesen tätigen Amtstierärzte, die für den Vollzug des geltenden Tierschutzrechts zuständig sind, stehen zunehmend in der Kritik. So beklagt selbst die Bundestierärztekammer, dass die »Anzahl amtlicher Tierärzte nicht in ausreichendem Maße an die Betriebsentwicklung der Schlachthöfe angepasst worden« ist. Und auch die immer wieder aufgedeckten Missstände in landwirtschaftlichen Betrieben zeigen deutlich, dass die Häufigkeit und Gründlichkeit der Kontrollen durch Veterinärämter und ihre Tierärzte bei weitem nicht ausreichen, um die gesetzlich vorgegebenen Tierschutzstandards zu gewährleisten. Zudem werden immer wieder Fälle öffentlich, in denen anscheinend Kritiker in den eigenen Reihen kaltgestellt wurden.
In dubio pro animale
Tierärzte – ob nun privat praktizierend oder im Veterinäramt tätig – sind also einerseits bestellt, die Einhaltung des Tierschutzgesetzes und der entsprechenden Verordnungen zu überwachen und gegebenenfalls einzufordern, andererseits sind sie den Vorschriften der Bundestierärzteordnung unterworfen. Doch wie sieht es aus mit einem Tierärzteeid, ähnlich dem Eid des Hippokrates der Humanmediziner? Also einer Art Ehrenkodex, in dem sich die Tierärzte aus einer Selbstverpflichtung heraus zu einem ethisch begründeten Verhalten gegenüber den Tieren verpflichten? Diesen gibt es tatsächlich – den Codex Veterinarius der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT), 1998 veröffentlich und 2009 überarbeitet, der jedoch (wie übrigens auch der hippokratische Eid) nicht rechtsverbindlich ist. Er fordert, dass »tierärztliches Handeln zum Wohl und Schutz der Tiere von der Grundhaltung der Achtung vor dem Leben und dem Bewusstsein« geleitet werden müsse, und stellt fest, dass »Tiere einen Eigenwert und damit eine Würde« besitzen, die es zu respektieren gilt. Deshalb dürften »Schutz und Fürsorge für das Tier nicht nur von seinem Nutzwert abhängig gemacht werden«. Gemäß seinen Leitsätzen sollten »Tierärzte vor jeder tierärztlichen Tätigkeit, die die physische, psychische und soziale Unversehrtheit des Tieres beeinträchtigen könnte, die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit für eine potentielle Beeinträchtigung stellen«. Zu erwähnen ist allerdings, dass es sich hierbei bislang nur um die Selbstverpflichtung der TVT-Mitglieder, also eines kleinen Teils der Tierärzteschaft, handelt. Ein wirklich nach diesen Grundsätzen praktizierender Tierarzt stößt aber wohl ohnehin angesichts von Praktiken wie der betäubungslosen Kastration von Ferkeln schnell an seine Grenzen.
Tierärzte fordern verbindliche Maßstäbe
Obwohl das beschriebene System es Tierärzten enorm schwierig macht, verantwortungsvoll zu handeln, gibt es zum Glück auch Tierärzte, die dies nach bestem Wissen und Gewissen tun. So sprachen sich beispielsweise im Oktober 2012 über 60 Veterinäre des »Tierärztlichen Forums für verantwortbare Landwirtschaft« in einem Positionspapier gegen die »systembedingt durch die industrialisierte Landwirtschaft verursachten erheblichen Probleme« aus. Eine öffentliche Stellungnahme der Deutschen Tierärztekammer hierzu steht allerdings noch aus. Zu begrüßen ist allerdings, dass der eingangs genannte Arbeitskreis des Deutschen Tierärztetags deutliche Forderungen an Politik und Gesetzgeber gestellt hat. Diesen zufolge müsse »die Tierzucht und die Haltung der Tiere am Tierwohl ausgerichtet sein« und eine »verpflichtende tierärztliche Bestandsbetreuung eingeführt werden«. Dr. Hans Joachim Götz, Präsident des Tierärzteverbandes, fordert zusätzlich die Definition verbindlicher »Tierwohlindikatoren«. Es bleibt zu wünschen, dass sich diese tatsächlich an den artspezifischen Bedürfnissen der einzelnen Tiere orientieren werden und man dabei die bestehenden Haltungssysteme sowie die Auswüchse einer (Qual-)Zucht ausschließlich im Hinblick auf höheren Ertrag gleichermaßen kritisch hinterfragt. Solange die Agrarindustrie aber so mächtig wie bisher bleibt und von der Politik hofiert wird, dürften die Forderungen leider ungehört verhallen.