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Rezension: »Die Antibiotika-Lüge«

Buchcover "Die Antibiotika-Lüge"
© Pro Business

Über den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung ist in den vergangenen Jahren viel diskutiert worden. Spätestens im Jahr 2012, als das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) mit einer Angabe von 1.734 Tonnen Antibiotika für das Jahr 2011 erstmals reelle Zahlen zur Menge der eingesetzten Antibiotika veröffentlichte, wurde u. a. klar: Es werden weit mehr Antibiotika eingesetzt, als jahrelang von agrarindustrieller Seite behauptet, und gravierende Mängel in der Tierhaltung scheinen an der Tagesordnung zu sein.

Für Kritiker agrarindustrieller Produktionsweisen wie Dr. Hermann Focke, Tierarzt und langjähriger Veterinäramtsleiter, dürften die vom BVL veröffentlichten Zahlen sowie die dadurch ausgelösten öffentlichen und politischen Diskussionen nicht überraschend gekommen sein. Insbesondere mit seinem Buch »Die Natur schlägt zurück. Antibiotikamissbrauch in der intensiven Nutztierhaltung und Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt« hatte er bereits 2010 vor den Gefahren eines zu hohen Einsatzes von Antibiotika gewarnt und dabei auch viele einsichtige wie erschreckende Fakten und Hintergründe zur agrarindustriellen »Tierproduktion« geliefert. Mit seinem neuen Buch »Die Antibiotika-Lüge. Massentierhaltung und Antibiotikamissbrauch – der direkte Weg ins Verderben für Mensch und Tier« widmet er sich noch einmal dieser hochbrisanten Thematik.

Fakten und Erfahrungsberichte

Fragwürdige Tierhaltungsansätze, die den erhöhten Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung bedingen, daraus resultierende Gefahren auch für Menschen, Täuschung der Öffentlichkeit – in insgesamt zwölf Kapiteln beleuchtet Dr. Focke noch einmal intensiv das Thema »Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung«. Dabei liefert er viele Fakten, etwa zu untragbar hohen Besatzdichten in der Masthuhn- und Putenhaltung, sowie Erklärungen zu wichtigen Schlüsselbegriffen wie »(multi-)resistente Keime« und zu Grundlagen der aktuellen Vergabepraxis von Arzneimitteln für Tiere und ihrer statistischen Erfassung.

Von besonderem Erkenntniswert ist der meist dokumentarische Aufbau der einzelnen Buchkapitel, wobei Fakten durch eigene Erfahrungsberichte bereichert werden und strategische Muster der Verharmlosung und Interessendurchsetzung von agrarindustrieller Seite offenbar werden:

So zeichnet Dr. Focke beispielsweise nach, wie bereits im Jahr 1993 in Niedersachen klare Erkenntnisse für maximal tolerierbare Besatzdichten in der Masthuhnhaltung zusammengetragen wurden. Diese mündeten zunächst in einem ministeriellen Erlass mit einer vorgeschriebenen maximalen Besatzdichte von 20 Tieren pro m2 nutzbarer Stallfläche. Durch aufkommenden Druck des Niedersächsischen Geflügelwirtschaftsverbands lief es jedoch letztlich darauf hinaus, dass der Erlass in der Praxis keine Anwendung fand. Stattdessen wurde schließlich im Jahr 1997 vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und dem Geflügelwirtschaftsverband eine »freiwillige Vereinbarung über Mindestanforderungen in der Junghühnermast« erarbeitet, die frühere Erkenntnisse zu Besatzdichten ignorierte und bei einer Kurzmast der Hühner letztlich eine Besatzdichte von 26 Hühnern pro m2 ermöglichte. Ähnliches berichtet Dr. Focke für Mastputen. Dabei zeigt er auf, wie der Öffentlichkeit die Vereinbarungen zwischen Regierung und Wirtschaft als »tierschützerische Großtat verkauft« wurden.

Aktuelles »Antibiotika-Monitoring«

Auch konkret in Sachen Antibiotika arbeitet Dr. Focke jahrelange »Täuschungsmanöver«, insbesondere bei der Datenerhebung, auf. Dabei reicht sein Blick bis in den April des aktuellen Jahres, als klar wurde, dass das »Antibiotika-Monitoring« – eine vom aktuellen Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt eingeführte und gepriesene Maßnahme zur Reduzierung der Ausbreitung multiresistenter Keime – auch kein Allheilmittel darstellen dürfte: Bereits in die erste veröffentlichte Statistik wurden mehrere tausend Betriebe mit eingerechnet, die keine Angaben zum Antibiotikaeinsatz gemacht hatten, aber dennoch einfach als Betriebe ohne Antibiotikaeinsatz aufgenommen wurden – eine verfälschte Statistik war die Folge. Besonders prekär: Seit 2014 sind Meldungen über den Antibiotikaeinsatz für die Betriebe bindend vorgeschrieben. Angesichts dieser Tatsachen und Missstände fragt Dr. Focke wohl zurecht: »Leben wir in einem demokratischen Rechtstaat oder in einer Bananenrepublik?«

Ein essenzieller Buchbeitrag

Was durch Hermann Fockes Buch wieder einmal deutlich wird, ist die Macht agrarindustrieller Lobbyarbeit sowie Prozesse politischen Unwillens, tatsächlich zur Verbesserung des Tierschutzes und zur Senkung des hohen Antibiotikaeinsatzes beitragen zu wollen. Die Missachtung bereits gewonnener wissenschaftlicher Erkenntnisse oder auch das Setzen auf »freiwillige Vereinbarungen« sind politische Strategien, die seit Jahrzehnten angewendet werden und sich auch heute noch – vor allem mit Blick auf die Aktivitäten des aktuellen Bundeslandwirtschaftsministers – größter Beliebtheit erfreuen. Dr. Focke macht klar, dass es so schlichtweg nicht weitergehen darf und wirkliche Veränderungen nur dann erzielt werden können, wenn sich schon bei der Zucht, dann bei der Haltung (»wesentlich kleinere Gruppengrößen und eine deutliche Reduzierung der Besatzdichten«) und letztlich bei der Praxis der Antibiotikavergabe Wesentliches ändert. Weitere maßgebliche Forschung ist dafür nicht notwendig, denn: »Es gibt keinen Erkenntnismangel, es gibt dagegen ein enormes Handlungsdefizit.«

Hermann Fockes Buch »Die Antibiotika-Lüge. Massentierhaltung und Antibiotikamissbrauch – der direkte Weg ins Verderben für Mensch und Tier« liefert einen essenziellen Beitrag zur aktuellen Antibiotikadebatte, der sich sowohl für Einsteiger in die Thematik eignet, aber auch insbesondere von Bürgerinitiativen und Organisationen gelesen werden sollte, die sich gegen die Massentierhaltung und für mehr Tierschutz einsetzen. Das Buch erschien 2015 in 1. Auflage (165 Seiten) im Pro Business Verlag und kann hier bestellt werden.

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