Karen Duve im Interview
Karen Duve, die Autorin von »Anständig essen«, war so freundlich, uns einige Fragen zu ihrem Buch zu beantworten.
Karen Duve, du hast fast ein ganzes Jahr lang verschiedene Ernährungsstile mit wachsendem ethischen Anspruch ausprobiert. Wie kam es dazu?
Eigentlich hatte ich ja längst gewusst, dass es eine große Diskrepanz gab zwischen dem, was ich über das Leiden der Tiere in der Massentierhaltung wusste, und dem, wie ich einkaufte und mich ernährte. Aber erst, als eine neue Mitbewohnerin bei mir einzog, die sehr bewusst und rücksichtsvoll konsumierte und die mich ständig mit den Folgen meines ignoranten Verhaltens konfrontierte, fasste ich auch selber den Entschluss, mich endlich meinen eigenen Überzeugungen entsprechend zu ernähren. Dabei fiel mir dann auf, dass mir gar nicht so klar war, was eigentlich meine Überzeugungen genau sind. Na, und dann habe ich die verschiedenen Ernährungsweisen – alles Bio, vegetarisch, vegan, frutarisch – halt nacheinander ausprobiert. Ich denke, es waren weniger die Argumente meiner Mitbewohnerin, die mich dazu gebracht haben, als ihr Beispiel.
Du hast dich im Laufe der Monate nicht nur in der Theorie mit den ethischen Aspekten der »Nutztierhaltung« beschäftigt, sondern hast dich auch in Ställe geschlichen. Wie war das für dich, und was hat das in dir ausgelöst?
Ich war nur in Hallen für Legehennen in Bio-Freilandhaltung und für Hennen in Bodenhaltung, Haltungsformen, in denen die Hühner gegenüber den Käfighühnern, die es ja damals in Deutschland auch noch gab, geradezu priviligiert lebten. Aber das hat schon gereicht: Der Schmutz, der Gestank, die zerrupften und halbnackten Hühner, die mumifizierten Hühnerleichen, die Respektlosigkeit, mit der Tiere in großen Mengen in einem Raum zusammengepfercht werden, in dem nicht ein einziger Funken Lebensfreude denkbar ist. Ich hatte gedacht, ich wüsste bereits, was in der Massentierhaltung los ist, nun musste ich feststellen, dass ich mir über das ganze Ausmaß überhaupt nicht im Klaren gewesen war. Ich bin auch jetzt noch zutiefst empört, und wenn ich die Zustände in der industriellen Massentierhaltung als verbrecherisch bezeichne, dann benutze ich diesen Ausdruck nicht leichtfertig, sondern meine es ganz genauso.
Mit der veganen Ernährung hast du dich länger auseinandergesetzt als zunächst geplant. Warum?
Ich wollte zumindest eine Woche lang komplett vegan leben, also sämtliche Tierprodukte aus meinem Haushalt entfernen. Aber anscheinend war es in der Zivilisation, in der ich lebte, ja nicht einmal möglich, normale Zahnpasta herzustellen, ohne vorher ein Tier zu schlachten. Auch im Vitamin-C-Pulver war ein Milchprodukt drin, mein Schlüsselanhänger war aus Filz (Wolle!), der Kamm aus Horn, das Halstuch aus Seide (Raupen!), die Bettdecken mit Daunen gefüllt – von den vielen Lederschuhen und dem Ledersattel von meinem Maultier mal ganz zu schweigen. Um es gleich vorwegzunehmen – ich habe es auch in vier Monaten nicht geschafft, alle Tierprodukte zu entfernen. Nach Ende des Versuchs habe ich noch einen großen schwarzen Kasten entdeckt, der die ganze Zeit in Sichtweite meines Schreibtisches stand – und der mit Leder bezogen war. Ich hatte es die ganze Zeit nicht bemerkt.
Mit welchem Ergebnis ging deine Entdeckungsreise zu Ende bzw. geht sie noch weiter?
Ich habe mir nicht mehr vorgenommen, als ich garantiert schaffen kann: Den Konsum von Fleisch, Fisch und Milchprodukten auf 10% der bisherigen Menge reduzieren, keine Lederprodukte mehr kaufen. Praktisch sieht das so aus, dass ich vegetarisch lebe, wenngleich ich auch nicht ausschließen kann, dass ich irgendwann noch einmal Fleisch oder Fisch essen werde. Außerdem versuche ich, mich immer mehr der veganen Lebenweise anzunähern, was mir phasenweise mal besser mal schlechter gelingt. Ich esse allerdings bedenkenlos die Eier der Hühner, die in meinem Garten wohnen, und hätte auch keine Bedenken, Honig zu essen. Wenn ich stattdessen Rübensirup nehme, dann bloß, weil er mir inzwischen besser schmeckt als Honig.
Was würdest du einer Person raten, der – ähnlich wie damals dir – irgendwie klar ist, dass etwas mit den gängigen Ernährungsgewohnheiten nicht in Ordnung ist, aber nicht weiß, wie sie ihre Ernährung umstellen kann?
Hinschauen! Einfach mal im Internet die Wörter Massentierhaltung, Schlachtung, Welthunger, Treibhausgase eingeben. Sich das ansehen, von dem die Lebensmittelindustrie will, dass wir es nicht sehen sollen. Es ist viel wichtiger, bei der Ernährung, aus der sich unser Körper bildet, unsere Leistungsfähigkeit und unser Wohlbefinden speist, auf gute Qualität zu achten, als darauf, die richtigen Markenschuhe zu tragen oder das neueste I-Phone zu besitzen. Und zur Qualität gehört auch eine ethische Qualität. Eine Schuh kann noch so gut verarbeitet und designet sein, ein Gericht kann noch so raffiniert zubereitet sein – wenn dabei Kinderarbeit oder Tierquälerei im Spiel war, handelt es sich nicht um ein Qualitätsprodukt. Wer seinen Lebensmitteln mehr Achtung und mehr Respekt entgegenbringt, behandelt automatisch auch sich selbst mit mehr Respekt. Gewohnheiten aufzugeben ist nicht leicht. Nicht einmal dann, wenn es grausame und barbarische Gewohnheiten sind. Wenn man sich nicht zutraut, ganz und gar auf Fleisch zu verzichten, fängt man vielleicht damit an, dort Fleisch wegzulassen, wo es einem nicht ganz so schwer fällt und bessert dann sukzessive nach. Wer gern kocht, hat es leichter, weil es in der Gemüseküche so viel zu entdecken gibt. Wenn man sich vornimmt: Dienstags, Donnerstags und Sonntags probiere ich mal lauter neue Gemüsegerichte aus, dann klingt das schon viel freundlicher, als wenn man sagt: Dienstags, Donnerstags und Sonntags muss ich auf Fleisch verzichten. Wenn aus täglichen Gewohnheiten gelegentliche Ausnahmen werden, ist schon viel erreicht. Und wenn die Ausnahmen dann ausschließlich aus Bio-Haltung stammen noch mehr.