Fundamentalistisches Denken und Tiermisshandlung
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Wer wäre nicht empört über die Entrechtung der Frauen, wie sie beispielsweise die Taliban praktizierten: Für Mädchen gab es keinen Schulbesuch, keine Bildung, keine normalen sozialen Kontakte, aber reichlich »Hausarrest«. Islamistische Fundamentalisten fanden und finden das gerecht – wegen der angeblich fundamentalen Unterschiede zwischen Mann und Frau. Schamlos wird der behauptete Wertunterschied präzise numerisch ausgedrückt. Zwei weibliche Zeuginnen zählen vor Gericht soviel wie ein männlicher. Es erscheint unvorstellbar, dass über Jahrtausende eine offensichtliche Tatsache ignoriert wurde: Menschliche Eigenschaften und Bedürfnisse sind weitgehend unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe und Rasse; hieran anknüpfende Benachteiligungen sind willkürlich. Dies hat man in unserer Gesellschaft nunmehr weitgehend verstanden.
Allgegenwärtig ist allerdings der Missbrauch von Milliarden von Mitgeschöpfen, insbesondere der sogenannten Nutztiere (Legehennen, Mast- und Versuchstiere). Ihre Bedürfnisse werden größtenteils lebenslang unterdrückt und sie kommen oft in grauenhafter Weise zu Tode. So ist amtlicherseits festgestellt, dass insbesondere das Schlachten im Akkord zu Fehlbetäubungsraten im oberen einstelligen Prozentbereich führt, d.h. z. B. Hunderttausende von Schweinen pro Jahr erleben ihre Schlachtung weitgehend ohne Betäubung.
Eine Ursache dieser scheinbar unausrottbaren Übel ist ein alltäglicher Fundamentalismus zu Lasten der Tiere. Wie bei jeder Form von Fundamentalismus bilden angeblich fundamentale Unterschiede wie zwischen »Gläubigen und Ungläubigen«, »Schwarzen und Weißen« oder »beseelten und unbeseelten Geschöpfen« die Basis solcher Überzeugungen. Der fundamentalistische Dualismus in Bezug auf Tiere wurde seit jeher von Teilen der Kirche gefördert. Anschaulich hierzu Sigmund Freud: »Man sprach ihnen die Vernunft ab und legte sich eine unsterbliche Seele bei, berief sich auf eine hohe göttliche Abkunft, die das Band der Gemeinschaft mit der Tierwelt zu zerreißen gestattete.« In dieser Tradition stehen neuerdings gewisse kirchliche Kräfte als Meinungsmittler von Lobbyorganisationen der Agrarwirtschaft. Sie streiten selbst die offensichtlich ähnlichen Empfindungen von Mensch und Tier ab: »Es gilt dies aber genauso für den Alltagsverstand, der sich nicht scheut, einem Meerschweinchen ‚Angst’ zuzuschreiben oder einen Hund sich ‚freuen’ zu lassen – was immer die solcherart gedeuteten Phänomene für Tiere bedeuten mögen.«
In Wahrheit ist die Fähigkeit, Schmerz, Leid und Angst zu empfinden bei Mensch und zumindest bei »höheren« Tieren nachweisbar ähnlich. Schon Charles Darwin schrieb: »Da der Mensch dieselben Sinne wie die Tiere besitzt, müssen auch die fundamentalen Empfindungen dieselben sein.« Dem Stand heutiger Wissenschaft entspricht der Analogieschluss nach Prof. Dr. Dr. Sambraus, der folgendes besagt: »1. Jeder Mensch kann Leiden und Schmerzen empfinden. 2. Diese subjektiven Empfindungen sind von objektiven Erscheinungen wie Schreien, … begleitet. 3. Wirbeltiere sind dem Menschen morphologisch, physiologisch und in der Organisation des Nervensystems sehr ähnlich. 4. Tiere zeigen in bestimmten Situationen die gleichen Erscheinungen wie der Mensch, also Schreien, Zittern, abnormales Verhalten, Apathie usw. 5. Daraus darf geschlossen werden, dass analoge Empfindungen vorliegen, dass das Tier also nicht nur Schmerzen empfinden, sondern auch leiden kann.«
»Na und« sagt der, der Eier aus Batteriekäfighaltung kauft. Den bringt man mit Jean-Jacques Rousseau zum Staunen, der bereits im Jahre 1755 feststellte: »Da nun Menschen und Tiere das gleiche Empfindungsvermögen haben, kommt ihnen auch das Recht zu, sich vom anderen nicht misshandeln und quälen zu lassen.« Die richtigen Schlüsse zieht auch Otfried Höffe, Professor der Philosophie an der Uni Tübingen: »Eine säkularisierte Tierethik tritt einem menschlichem Gattungsegoismus entgegen. Sie wendet die sittlichen Grundsätze a) Gleiches gemäß seiner Gleichheit gleich zu behandeln und b) niemanden zu schädigen, auf jene höherentwickelten Tiere an, die – wie jedermann beobachten kann und die wissenschaftliche Verhaltensforschung seit Darwin vielfach bestätigt – schmerz- angst- und leidensfähig sind, und gebietet, darauf gebührend Rücksicht zu nehmen.« Bertrand Russel, Nobelpreisträger für Literatur (1950): »Es gibt keinen triftigen Grund, die Interessen von Menschen für wichtiger zu halten als die von Tieren. Wir können Tiere leichter vernichten als sie uns, das ist die einzige feste Grundlage unseres Anspruchs auf Überlegenheit.«
Ohne Bedeutung für diese ethischen Bewertungen ist es, dass sich Menschen und Tiere in vieler Hinsicht unterscheiden, weitgehender noch als Menschen untereinander. Neben äußerlichen Unterschieden ist der Mensch im Vergleich zu Tieren zu differenzierteren Geistesleistungen fähig. Diese Tatsache ist moralisch jedoch irrelevant, was sich beim Umgang mit unseren Mitmenschen wie selbstverständlich zeigt. Wer würde denn Kleinstkindern oder Geistesschwachen die Befriedigung ihrer Bedürfnisse verweigern, nur weil ihre geistige Leistungsfähigkeit hinter dem menschlichen Durchschnitt und der intelligenter Tiere zurückbleibt?
Davon unabhängig ist es jedem unbenommen, stolz auf seine Artzugehörigkeit zu sein. Wer an Goethe und Beethoven denkt, sollte allerdings Goebbels (Meister der Agitation) und Teller (Vater der H-Bombe) nicht vergessen. Die Frage, ob der Mensch im Orchester der Einzigartigkeiten wirklich die erste Geige spielt, muss man nicht zugunsten des Menschen beantworten. Einzigartig erscheinen die Flug- Schwimm- und Tauchleistungen unserer Mitgeschöpfe. Ja selbst das Känguru kann eine einzigartige Fähigkeit für sich in Anspruch nehmen, denn niemand hüpft – auf zwei Beinen – weiter.
Mit der Fähigkeit zu differenzierterem Denken glänzt der Mensch. Sie hat ihn zur erfolgreichsten Art gemacht, mit der Folge, dass wir zur größten Bedrohung für unseren Planeten geworden sind. Die insoweit harmlosen geistigen Leistungen der Tiere reichen an den unteren Rand der Intelligenz gesunder menschlicher Erwachsener heran. Zum Beispiel vermögen Gorillas bis zu 1000 Zeichen einer Zeichensprache zu beherrschen und Orang-Utans betreiben, vor dem Spiegel, Zahnpflege – Jeremy Rifkin, Was wir von Tieren lernen können. Dort liest man: »… der afrikanische Graupapagei, der Aufgaben bewältigt, die zuvor als die alleinige Domäne des Menschen galten: Alex kann über vierzig verschiedene Gegenstände und sieben Farben identifizieren, und er kann Gegenstände einander sowie bestimmten Kategorien zuordnen. … Bei IQ-Tests für Menschen erreicht die Gorilladame Koko einen Quotienten von 80. Damit wird sie als langsame Lernerin, aber nicht als zurückgeblieben eingestuft.«