Tierschutzgesetz-Reform: ein trojanisches Pferd
Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner lässt sich derzeit für die Reform des Tierschutzgesetzes feiern, doch die vom Bundeskabinett mitgetragenen Gesetzesnovelle ist ein trojanisches Pferd - denn was uns als Fortschritt verkauft wird, würde in der Praxis häufig zu Verschlechterungen führen. Hier die wichtigsten Details zu den einzelnen Punkten:
Qualzucht bleibt an der Tagesordnung
Bundesministerin Aigner definiert nach wie vor nicht praxistauglich, was eine Qualzucht ist, und will auch den millionenfachen Einsatz qualgezüchteter Tiere in der Fleischproduktion nicht unterbinden. Lediglich die Ausstellung einiger extremer (Haustier-)Zuchtlinien soll verboten werden. Damit verfehlt die Ministerin den Kern des Qualzuchtproblems – aus unserer Sicht in voller Absicht, um sich nicht mit der Lobby der Agrarindustrie anlegen zu müssen. Hühner und Puten, deren Skelette unter dem Turbo-Wachstum der Muskulatur zusammenbrechen, werden also nach wie vor praktisch jeden Maststall prägen.
Nur eine von vielen Verstümmelungen wird unterbunden
Die betäubungslose Ferkelkastration soll ab dem Jahr 2017 verboten werden. Damit greift Ministerin Aigner den Beschlüssen der Agrarindustrie (2018) nur minimal vor. Der eigentliche Skandal ist aber, dass die Ministerin die anderen Amputationen (Abtrennen von Ringelschwänzen, Schnabelspitzen, Zehengliedern und Hörnern sowie das Abschleifen von Eckzähnen) nicht anrührt. Diese Amputationen werden bei praktisch allen »Nutztieren« durchgeführt – ohne jede Betäubung.
Verschlechterungen bei Zirkustieren
Bislang war das Bundeslandwirtschaftsministerium ermächtigt, die Haltung von Wildtieren im Zirkus zu verbieten. Diese Möglichkeit wird jetzt massiv eingeschränkt: Es müssen erhebliche Leiden bei den Tieren bewiesen werden und es darf keine anderen Möglichkeiten geben, das Leid der Tiere auf ein »vertretbares Maß« zu reduzieren. Dieser völlig undefinierte Begriff wurde aus unserer Sicht absichtlich gewählt, um die Durchsetzung eines Wildtierverbots im Zirkus nahezu unmöglich zu machen. An dieser Stelle wird das Tierschutzgesetz also verschlechtert. Dabei war es selbst unter konservativ geführten Regierungen Konsens, dass mit der Aufnahme des Staatsziels Tierschutz ins Grundgesetz ein Verschlechterungsverbot einhergeht. Bundesministerin Aigner bricht mit diesem Prinzip.
Tierversuchslobby wird hofiert
Die EU-Tierversuchsrichtlinie schreibt vor, dass Tierversuche, die zu Bildungszwecken durchgeführt werden, von einer Ethikkommission genehmigt werden müssen. Dagegen verstößt Ministerin Aigner, indem sie aus der Genehmigungspflicht lediglich eine sogenannte Anzeigepflicht (= Anmeldepflicht) macht. Weiterhin dürfen Verschärfungen im Bereich Tierversuche in Zukunft nur noch beschlossen werden, wenn das Bundesforschungsministerium (BMF) einverstanden ist. Da das BMF in aller Regel mit den Tierexperimentatoren einer Meinung ist, werden Fortschritte damit faktisch unmöglich.
Schenkelbrandverbot tröstet nicht
Dass Pferde in Zukunft nicht mehr mit Brandzeichen gekennzeichnet werden dürfen, ist ein guter Schritt, der aber über die oben genannten Kritkpunkte nicht hinwegtröstet. Nachtrag: Das Verbot ist im Nachhinein gescheitert.
Bundesrat wird umgangen
Um diese skandalösen Regelungen in Eigenregie durchbringen zu können, scheinen die Juristen im Landwirtschafts- und Forschungsministerium sehr genau darauf geachtet zu haben, dass der Bundesrat der Gesetzesnovelle nicht zustimmen muss, denn dort hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit. Die Bundestagsfraktionen CDU/CSU und FDP wollen die »Reform« stattdessen offensichtlich im Alleingang durchpeitschen.