MRSA-Risiko durch Antibiotikamissbrauch
Nach zahlreichen Skandalen ist es längst nicht mehr unbekannt: Damit das grausame System der Massentierhaltung grundsätzlich aufrechterhalten werden kann, bedarf es des routinemäßigen und massenhaften Einsatzes von Antibiotika – denn nur so können die überzüchteten und auf engsten Raum zusammengedrängten Tiere überhaupt am Leben gehalten werden. Unbekannt ist auch sicherlich nicht mehr, dass der regelmäßige Antibiotikaeinsatz nicht etwa nur als schlichte lebenserhaltende Maßnahme dient, um den gegenwärtig weit überhöhten menschlichen Fleischkonsum durchgehend zu gewährleisten: Antibiotika eignen sich auch bestens als gezieltes – wohlgemerkt: gesetzlich verbotenes – Wachstumsdoping, um die Tiere in Rekordzeit auf ein maximales Schlachtgewicht anwachsen zu lassen – Zeit ist eben Geld. Vor diesen bekannten Hintergründen überraschte es also kaum, als im vergangenen Monat eine weitere erschreckende Skandalmeldung veröffentlicht wurde, die darauf aufmerksam machte, dass das Umweltschutzamt in NRW in 22 von 36 Geflügelmastbetrieben antibiotische Wirkstoffe im Trinkwasser der Hühner nachweisen konnte – und das auch noch Wochen nach dem letzten protokollierten Antibiotikaeinsatz!
Tierleid und menschliche Gesundheitsrisiken
Den gezielten Antibiotikamissbrauch sowie das gesamte System, das von diesem Missbrauch abhängig ist, vehement in Frage zu stellen, ist allein schon aufgrund des offensichtlichen, immensen Leids der betroffenen Tiere geboten. »Turbomast« und kalkulierte Erhaltung von Leben in lebensunwürdigen Zuständen sollten Grund genug dafür sein, dass nicht nur vermehrt Einzelne durch einen Konsumboykott der unter solchen Bedingungen entstandenen »Produkte« ihren Unmut äußern, sondern dass auch endlich politisch konsequent gegen die Antibiotikapraxis zur Tat geschritten wird. Dies sollte letztlich aber auch deshalb geschehen, weil so neben dem Leid der Tiere auch die Ausbildung multiresistenter Keime – allen vorweg des MRSA-Keims – in Kauf genommen werden. Daraus folgen Gesundheitsrisiken für den Menschen, die sich in Zukunft weiter verschärfen würden.
MRSA – ein multiresistenter Keim
Hinter dem Kürzel MRSA verbirgt sich zweierlei: Während die letzten beiden Buchstaben für das Bakterium »Staphylococcus aureus« stehen, weisen die ersten beiden darauf hin, dass es sich um besondere, antibiotikaresistente Stämme dieses Bakteriums handelt. Anfänglich sprach man hier allein von »Methicillin-resistenten«-Keimen. Doch lässt sich dieser Begriff heute wohl getrost durch »multiresistent« ersetzen, da eine Resistenz von MRSA mittlerweile auch gegenüber allen weiteren Antibiotika der umfangreichen β-Lactam-Klasse, zu der auch Methicillin gehört, sowie auch gegenüber Antibiotika weiterer Klassen nachweisbar ist.
Ein hohes Infektionsrisiko für den Menschen bergen vor allem zwei größere MRSA-Gruppen: die »hospital acquired MRSA« (kurz: haMRSA, vor allem in Krankenhäusern verbreitete Erregerstämme) und die »livestock associated MRSA« (kurz: laMRSA, Erregerstämme aus der intensiven Tierhaltung, bestimmend hier der Stamm »ST398«). Erstere wird mit derzeit geschätzten 7.000 menschlichen Todesfällen pro Jahr* generell als die gefährlichere Gruppe eingestuft. Oft wird dabei aber unterschätzt, dass immerhin schon 1,8 Prozent der MRSA-Keime aus der Tierhaltung für Infektionen im Krankenhaus mitverantwortlich sind (S. 11 der eben verlinkten Quelle). Aber auch abgesehen von den MRSA-Todesfällen, ist der Keim aus der Tierhaltung keineswegs zu unterschätzen: Wie auch alle weiteren MRSA-Keime besiedelt er Haut und Schleimhäute von Menschen und Tieren, was beim Menschen unter anderem zu Wundinfektionen und Entzündungen der Atemwege führen kann. Außerdem lassen sich von diesem Keim ausgelöste Krankheiten – eben aufgrund der Antibiotikaresistenz ihrer Auslöser – nur schwer behandeln.
Über die unmittelbare Nähe zu den keimbesiedelten Tieren und dem ebenfalls keimtragenden Stallstaub sind zunächst vor allem die Tierhalter und ihre Familien vom MRSA-Keim aus der Tierhaltung betroffen, darüber hinaus aber auch die Anwohner agrarindustrieller Großställe. Da dieser Keim aber auch leicht in direktem sowie in indirektem Kontakt (über Gegenstände) von Mensch zu Mensch übertragen werden kann, ist eine stark zunehmende Verbreitung auch in weitere Lebensräume nicht nur wahrscheinlich, sondern klar vorauszusehen. Hinzu kommt, dass der MRSA-Keim die Fähigkeit besitzt, seine prägenden Eigenschaften – und damit vor allem die Antibiotikaresistenz – an andere, möglicherweise gefährlichere Mikroorganismen weiterzugeben, sodass weitere verheerende Folgen für Menschen und Tiere durch die zunehmende Verbreitung des Keims ernsthaft zu befürchten sind. Insbesondere für Fleischkonsumenten ist übrigens nicht zuletzt bedenklich, dass sich auch auf rohem Fleisch aller Tierarten MRSA-Keime finden lassen, in höherer Konzentration sogar im Auftauwasser von z. B. Hähnchenfleisch.
Abkehr von Antibiotika = Systemabkehr
Wie von uns bereits mehrfach in der Vergangenheit geäußert, ist eine Vermeidung weiterer Antibiotikaskandale in der Tiermast nur durch einen konsequenten Abschied von gängigen Mastmethoden und –bedingungen vollends möglich. Dass eine deutliche Minimierung des Antibiotikaeinsatzes über verstärkte Betriebsüberwachungen und eine Änderung des Arzneimittelgesetzes (AMG) – dessen § 56a im Übrigen bereits jetzt schon den prophylaktischen Einsatz von Antibiotika sowie ihren Einsatz als Wachstumsförderer nicht zulässt – erreicht werden könnte, erscheint als reines Wunschdenken von Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner. Es liegt schlichtweg in der Natur der Sache, dass Resistenzen gegenüber Antibiotika häufig gerade dort ausgebildet werden, wo Antibiotika verstärkt zum Einsatz kommen. Umgekehrt wiederum wird der massive Einsatz von Antibiotika solange vonnöten sein, wie die hohen Besatzdichten und die schlechten Haltungsbedingungen in den Agrarfabriken es bedingen, dass nicht nur vereinzelte kranke Tiere – wie in der Annahme Aigners – gelegentlich behandelt werden müssen. Eine konsequente Abkehr von Antibiotika, die zugleich effektiv der weiteren Ausbildung und Verbreitung multiresistenter Keime entgegenwirken würde, ist nur durch eine ebenso konsequente Abkehr vom System der intensiven Tiermast erreichbar.
* Was die genaue Zahl der Todesfälle betrifft, so werden über die Behörden, über die Medien und in einschlägiger Fachliteratur immer wieder stark differierende Zahlen genannt, was in erster Linie auf einen Mix aus fehlenden oder unterschiedlich interpretierten Studien und einer generell hochkomplexen Datenlage zurückgeführt werden kann.