USA-Bericht TAFA 2014
Vom 27. bis zum 30. Juni 2014 fand in den USA die Konferenz »Taking Action for Animals« (TAFA) statt. Für uns war Mahi Klosterhalfen vor Ort, der dort vor drei Jahren als erster Deutscher einen Vortrag gehalten hatte und in diesem Jahr erneut gebeten wurde, über die Fortschritte in Deutschland zu sprechen. Im Folgenden präsentiert er seine persönlichen Eindrücke.
25. Juni
Nach einem langen Flug bin ich in Washington, DC angekommen. Mit einem Shuttle-Service (mehrere Personen teilen sich eine Art Taxi) fuhr ich zu meiner Gastgeberin Anna West, wo mich als Überraschung auch mein Freund Josh Balk erwartete. Josh hat mir bei meinen allerersten Tierschutzschritten geholfen, indem er mir im Jahr 2006 Tipps zum Aufbau der »Initiative käfigfreie Mensa« gegeben hat. Anna und Josh arbeiten bei der HSUS, der größten Tierschutzorganisation der USA, und dort in der Abteilung, die sich für die sog. Nutztiere einsetzt. Auch der Leiter dieser Abteilung, mein Freund Paul Shapiro, kam kurz nach meiner Ankunft dazu. Nach einem hervorragenden (veganen) Abendessen und viel Wiedersehensfreude, bekam der Hund Gizmo noch eine Streicheleinheit. Dann konnte ich meine Augen kaum noch offen halten.
26. Juni
Da die TAFA-Konferenz erst am 27. Juni beginnt, war ich heute im Büro der HSUS. Die Organisation hat über 700 Mitarbeiter:innen und somit auch ein riesiges Büro. Trotz der Organisationsgröße ist die Stimmung dort sehr familiär. Was besonders auffällt, ist die Begeisterungsfähigkeit der Menschen. Einige Highlights des Tages:
- Ich nahm an einem Medientraining teil und staunte über den professionellen Umgang mit kritischen Fragen. Außerdem tauschte ich mich mit unseren Kolleginnen und Kollegen dazu aus, wie die Agrarindustrie auf Kampagnen zur Reduzierung des Konsums von Tierprodukten reagiert. Auf beiden Seiten des Atlantiks sind die Gegenargumente inhaltlich äußerst schwach. Unsere US-Kollegen haben allerdings im Gegensatz zu uns mit dem Vorurteil zu kämpfen, dass die Menschen hier von Proteinmangel bedroht seien. Das ist besonders haarsträubend, weil meines Wissens keine Nation pro Kopf so viel Protein konsumiert wie die USA und eine Reduzierung des Proteinkonsums sehr sinnvoll wäre.
- In der Mittagspause schaute ich kurz im Konferenzraum vorbei, wo das USA-Deutschland-Fußballspiel übertragen wurde. Kaum war ich da, fiel auch schon das 1:0. Meine US-Kolleg:innen nahmen es entspannt und mit Humor.
- In einem Spontanmeeting befragte mich ein Team zu den Unternehmenskampagnen unserer Stiftung. Bei den Berichten über unsere Erfolge kam große Freude auf. Ebenso freute ich mich über die vielen Fortschritte des US-Teams. Grundsätzlich sind unsere Herangehensweisen sehr ähnlich: Wir suchen den konstruktiven Austausch und starten nur Kampagnen, wenn wir den Eindruck bekommen, dass es anders nicht weiter geht.
Am Abend nahm mich Paul Shapiro noch mit ins CNN-Studio in Washington, DC, wo er über den Umgang mit Wild- und Mastschweinen sprach. Auf der Fahrt dorthin übten wir seine Kern-Statements und feilten an Details. Während der Sendung unterhielt ich mich Backstage mit einem einflussreichen Journalisten über vegane Ernährung. Paul freute sich darüber noch viel mehr als über seinen sehr gelungenen Auftritt.
27. und 28. Juni
Die Konferenz war mit deutlich über 1.000 Teilnehmer:innen so gut besucht wie noch nie. Ich lernte unglaublich viele Menschen kennen und traf auch viele Bekannte wieder. Zu letzteren gehören Erica Meier, die Geschäftsführerin von Compassion Over Killing; Nathan Runkle und Nick Cooney von Mercy for Animals; Philip Lymbery, der Geschäftsführer von Compassion in World Farming, der mich zu einem Strategietreffen nach England einlud; Shanon Nunez von Last Chance for Animals; Michael Greger von NutritionFacts.org; Gene Bauer und Bruce Friedrich von Farm Sanctuary; Mark Middleton von AnimalVisuals; Harish Sethu von Counting Animals und Jon Camp von Vegan Outreach, der kürzlich seine millionste Broschüre verteilt hat. Zu wissen, dass diese und andere brillante und überaus engagierte Menschen sich für die Tiere einsetzen, ist ein tolles Gefühl und gibt mir Hoffnung. Die Webseiten der Organisationen und Aktiven sind definitiv einen Besuch wert, wenn Sie Englisch verstehen!
Am 28. Juni fand am Abend eine große Benefizgala der HSUS statt, die mit einem festlichen Dinner und Reden von Prominenten ihr 60-jähriges Bestehen feierte. Im Laufe des Abends kamen Spenden in Höhe von mehr als 500.000 US-Dollar zusammen – ich bin mehr als beeindruckt. Gegen Ende der Veranstaltung lernte ich noch Marisa Miller Wolfson kennen, die den empfehlenswerten Film Vegucated gedreht hat.
29. Juni
Heute hielt ich meinen Vortrag zusammen mit Kitty Block von der Humane Society International. Kurz vor dem Vortrag fragte ich mich, wo mein üblicher Nervositätsschub blieb. Es musste an der Freundlichkeit der Konferenzteilnehmer:innen liegen, dass ich so entspannt war. Aber dann bekam ich doch noch einen Adrenalinkick: Wenige Minuten vor dem Vortrag klappte das Abmelden meines USB-Sticks nicht (dort war meine Präsentation gespeichert), aber ich merkte das nicht und zog den Stick aus meinem Notebook. Es hagelte Fehlermeldungen und auch das Abspeichern der Präsentation auf meinem Notebook funktionierte nicht. Nervös klickte ich auf verschiedene Meldungen. Dann gelang das Abspeichern zum Glück doch noch.
Kitty sprach zuerst über verschiedene internationale Kampagnen und Erfolge, über die sich das Publikum und ich sehr freuten. Dann war ich dran. »I'm from Germany so please excuse my French.« Die Menschen im Raum lachten und gaben mir ein gutes Gefühl, vor ihnen zu sprechen. Ich brachte den Zuhörerinnen und Zuhörern noch schnell die Wörter »ja« und »nein« bei und stellte verschiedene Erfolge unserer Bewegungen vor – vom Legehennenurteil des Bundesverfassungsgerichts über die Aufnahme des Staatsziels Tierschutz ins Grundgesetz bis hin zur Käfigfrei-Kampagne. Mit Spaß und Begeisterung riefen mir die Menschen »jaaah« zu, wenn ich sie fragte, ob sie auch der Meinung seien, dass die Käfighaltung von Legehennen abgeschafft werden müsse und sagten z. B. emphatisch »nejn!«, als ich ihnen ein Bild von Kleingruppen-Käfigen zeigte und fragte, ob das eine gute Alternative ist.
Zum Schluss zeigte ich unser Video von der »Wir haben es satt«-Demo 2014. Die Zuhörer:innen waren sehr bewegt und brachten das in der anschließenden Fragerunde auch zum Ausdruck. Eine Teilnehmerin sagte mir, dass sie sich aufgrund des Vortrags entschieden hat, sich jetzt auch aktiv für die Tiere einzusetzen.
Direkt nach meinem Vortrag gingen wir zur Geburtstagsfeier von Alex Hershaft (80), der die Organisation Farm Animal Rights Movement gegründet hat und ein Urgestein der US-Tierrechtsbewegung ist.
30. Juni bis 2. Juli
Die letzten Tage verbrachte ich im Büro der HSUS und habe u. a. verfolgt, wie gut und intensiv das Team hier mit anderen Organisationen zusammenarbeitet. Auch wenn die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt sicherlich zu den kooperativsten Organisationen in Deutschland zählt, bin ich sehr inspiriert davon, mit welcher Selbstverständlichkeit und persönlicher Bescheidenheit hier die Tiere an die allererste Stelle gesetzt werden.
Ich wurde eingeladen, meinen Vortrag über die Fortschritte in Deutschland im Konferenzraum der HSUS zu wiederholen und freute mich über das große Interesse. Nach meinem Vortrag lud mich Andrew Rowan, Präsident und Geschäftsführer der Humane Society Intenational (HSI) zu einem Gespräch ein. Andrew hat mit meinem großen Vorbild Henry Spira zusammengearbeitet und erzählte mir einige spannende Geschichten aus alten Zeiten.
3. bis 6. Juli
Meine letzten Tage in Washington, DC und Silver Spring, MD verbrachte ich vor allem mit Josh Balk, der mich auch ins zweite Büro der HSUS begleitete, wo ich mich mit Elissa Lane und Chetana Mirle austauschte, die bei der (HSI) für Kampagnen zum Wohle der sogenannten Nutztiere zuständig sind. Wir haben mal wieder festgestellt, wie wichtig es ist, sich international zu vernetzen: Allein die Information, dass das Bundesverfassungsgericht die Batteriehaltung von Legehennen für verfassungswidrig erklärt hat, wird meinen Kolleginnen nutzen, da sie derzeit einen ähnlichen Erfolg in Indien anstreben und Präzedenzfälle im Ausland immer sehr nützlich sind.
7. bis 9. Juli
Die letzte Woche meiner USA-Reise war eigentlich als Urlaub geplant (weshalb wir uns im Vorstand auch überlegt haben, dass die Stiftung keine Reisekosten tragen sollte). Neben wirklich beeindruckenden Spaziergängen durch Manhattan kam dann aber doch ein bisschen – sehr angenehme – Arbeit auf mich zu: Jasmin Singer und Mariann Sullivan betreiben die Fernsehsendung und den Podcast »Our Hen House« und luden mich für beides als Gast ein.
10. Juli
Zum Mittagessen traf ich mich mit Tony Gerrans, der für Compassion in World Farming in Südafrika tätig ist. Tony berichtete mir von dem Wunsch vieler Menschen, aufs Land zu ziehen und dort zu arbeiten – von der Regierung wird das unterstützt. Dies nutzt er u. a. als Argument, um die Regierung zu überzeugen, die fortschreitende Industrialisierung der »Tierproduktion« zumindest anzuhalten.
Danach fuhr ich nach Brooklyn, um das Unternehmen Modern Meadow (deutsch: »Moderne Weide«) zu besuchen – ein Unternehmen, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, aus Zellkulturen Leder und Fleisch herzustellen. Dank einer neuen Investition in Höhe von 10 Mio. US-Dollar konnte das Team von Modern Meadow erst kürzlich größere Räumlichkeiten beziehen. Die neuen Labore werden derzeit noch aufgebaut und desinfiziert, weshalb ich die Forschung und den Herstellungsprozess nicht sehen konnte. Dafür wurde er mir aber in der Theorie erläutert. Was mich besonders beeindruckte: Schon jetzt kann Modern Meadow Leder und Fleisch ohne den Einsatz von Antibiotika herstellen – mein bisheriger Kenntnisstand war, dass dieser Schritt noch in ferner Zukunft liegen würde. Auch eine weitere Hürde, von der ich dachte, dass sie so schnell nicht genommen werden kann, halten die Forscher:innen für durchaus überwindbar: Die Nährstofflösung, die die Zellkulturen versorgt, soll schon relativ bald ohne tierliche Inhaltsstoffe auskommen – vorher sollen auch keine Produkte auf den Markt kommen. Was mir schon bekannt war: Für die Entnahme der Zellen aus Tieren müssen die Tiere nicht getötet werden (es werden nur wenige Zellen entnommen) und die Zellen müssen nicht genverändert werden.
Nach einer Führung durch die Räume zeigte mir die kaufmännische Geschäftsführerin Sarah Sclarsic einige Prototyp-Lederstücke, die ihr Team aus Zellkulturen hergestellt hatte. Hier zeigte sich wieder, wie sehr ich den Stand der Technik unterschätzt hatte: Ich war davon ausgegangen, dass die Lederstücke sehr dünn und empfindlich seien, weshalb ich sie nur ansehen können würde. Doch Sarah holte die Stücke aus den Plastikhüllen und drückte sie mir in die Hand. Ich war beeindruckt. Hielt ich da ein Stück Zukunft in der Hand?
Sarah erklärte mir, dass Modern Meadow zunächst den Markt der Hochleistungs- und Luxusleder aufrollen will. In einigen Jahren will sie Produkte auf den Markt bringen, deren Funktionalität in Punkto Atmungsaktivität, Festigkeit, Stabilität, Dehnbarkeit etc. deutlich über das hinausgehen, was Lederprodukte bislang leisten können. Sportunternehmen haben sich schon äußerst interessiert gezeigt.
Ähnlich sind die Pläne für den Fleischmarkt: zunächst sollen »Edelprodukte« hergestellt werden, später soll es an den Massenmarkt gehen. Sowohl bei Leder als auch bei Fleisch plant Modern Meadow, günstiger und besser zu sein als die von getöteten Tieren stammenden Alternativen.
Werden Fleisch und Leder aus Zellkulturen die bestehenden Fleisch- und Ledermärkte ersetzen oder massiv verkleinern? Ich weiß es nicht. Aber auch wenn sie die Arbeit von Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen nicht überflüssig machen sollten, haben Unternehmen wie Modern Meadow mindestens das Potential, unsere Arbeit wesentlich zu ergänzen. Deshalb stimmt es mich hoffnungsvoll, dass Investoren viele Millionen Dollar in diesen Bereich investieren und erstklassige Forscher:innen auf diesem Gebiet tätig sind. Ich wünsche ihnen viel Erfolg!