GemüseAckerdemie: Gemüse an die Schulen
Wenn es um die Frage der Ernährung geht, so konnten in den vergangenen Jahren viele Organisationen aus den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Welternährung und Tierschutz mitunter eine Erkenntnis ausreichend aufzeigen: Der Fleischkonsum in Industrienationen wie Deutschland ist in seinen derzeitigen Ausmaßen in vielerlei Hinsicht bedenklich und alles andere als tragbar für die globale Zukunft. Als vollkommen untragbar erscheinen dabei auch die Ergebnisse einer Ernährungsstudie sowie einer bundesweiten Erhebung zur Schulverpflegung, die zeigen, dass der Konsum von Fleisch bereits bei Kindern und Jugendlichen zu hoch ist und Fleisch gerade auch bei der Schulverpflegung im Gegensatz zu Gemüse noch viel zu häufig auf den Tisch kommt.
Die gegenwärtige Situation zeigt: Fehllaufende Ernährungsmuster werden derzeit noch immer bereits im jungen Alter ausgiebig befördert, ausgeprägt und gefestigt. Neue Konzepte zur Förderung einer alternativen Ernährung gerade schon im Jugendalter sind daher vonnöten. Eine Organisation, die sich genau das auf die Fahnen geschrieben hat, ist Ackerdemia. Mit ihrem Bildungsprogramm »GemüseAckerdemie« hilft sie Schulen dabei, eigene Äcker einzurichten, auf denen Schülerinnen und Schüler ihr Gemüse selbst anbauen können. Und das äußerst erfolgreich: Der »Deutschland – Land der Ideen«- sowie der »start social«-Preis sind nur zwei von mehreren bislang erhaltenen Auszeichnungen.
Interview mit Dr. Doreen Burdack über die GemüseAckerdemie
Konstantinos Tsilimekis, der Leiter unseres Wissenschaftsressorts, hat Ackerdemia besucht, um im Interview mit Dr. Doreen Burdack, zuständig für den Bereich Wissenschaft und Projektmanagement, mehr über die GemüseAckerdemie zu erfahren.
Frau Burdack, seit wann gibt es Ackerdemia und die GemüseAckerdemie schon und was sind Ihre Ziele?
Unser gemeinnütziger Verein wurde 2014 gegründet, mit dem Ziel, wieder mehr Wertschätzung für Lebensmittel in die Gesellschaft zu bringen und der Entfremdung von der Landwirtschaft entgegenzuwirken. Schon Kinder sollten wissen, wie Lebensmittel produziert werden, wie aufwendig es insgesamt ist. Außerdem möchten wir auch wieder eine größere Naturverbundenheit bei Kindern anregen. Wir haben einfach festgestellt, dass da ein großer Bedarf ist. In Bezug auf die Ernährung von Kindern ist uns zudem aufgefallen, und das belegen ja auch Studien, dass Kinder viel zu wenig Obst und Gemüse essen. Das wollen wir ändern, allerdings nicht mit einem erhobenen Zeigefinger. Vielmehr ist unserer Feststellung nach eine intrinsische Motivation notwendig, die entstehen kann, indem man Gemüse selbst anbaut. Man hat dann selbst etwas geschaffen, ist stolz darauf, hat die Entstehung von Gemüse von der Saat bis zur Ernte begleitet und weiß, was alles dahinter steckt. Das schafft eine ganz andere Bindung zum Essen selbst.
Gekoppelt ist Ihr Bildungsprojekt ja an Schulen: Wie viele machen bislang schon mit?
Wir sind im vergangenen Jahr mit sechs Schulen in drei Bundesländern gestartet. Bereits dieses Pilotjahr war sehr erfolgreich. Mit unserer ersten Auswertung des Projekts, die mit einem Wirkungsbericht abschloss, können wir aufzeigen, dass das Potenzial für ein solches Bildungsprogramm enorm und auch die Wirkung extrem gut ist. Teilweise wurden unsere eigenen Erwartungen sogar weit übertroffen. In diesem Jahr sind wir schon an mehr als zwanzig Bildungseinrichtungen in vier Bundesländern – Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Berlin und Brandenburg. In diesem Herbst kommt noch Bayern hinzu und auch aus Österreich haben wir schon Anfragen. Seit diesem Jahr sind wir außerdem erstmalig an einer Kita, um zu testen, ob das Ganze auch in noch jüngerem Alter funktioniert. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass viele junge Kinder und auch Erzieher begeistert von dem Projekt sind, sodass wir derzeit daran arbeiten, das Bildungsprogramm auch für jüngere Teilnehmer weiter auszuarbeiten.
Wie genau wurden die erzielten Wirkungen gemessen und was genau konnten Sie feststellen?
Unsere Wirkungen, die wir durch Interviews, Befragungen und Beobachtungen gemessen haben, sind, dass die Kinder anfangen, mehr Gemüse zu essen, sogar immer lieber Gemüse essen, dass die Naturverbundenheit steigt, Regenwürmer, Insekten und auch Pflanzen mehr geachtet und beschützt und dabei auch emotionale Bindungen aufgebaut werden. Und auch eine Außenwirkung ist feststellbar, da auch die Familien der Kinder damit beginnen, das angebaute Gemüse zu verarbeiten. Durch den Anbau von Gemüse an den Schulen verändert sich so auch das Ernährungsverhalten in den Familien.
Wie können Schulen das Bildungsprogramm bei sich implementieren?
Prinzipiell ist es so, dass die Schulen auf uns zukommen und wir persönlich vor Ort schauen, wie die Gegebenheiten für einen Schulacker sind. Personell werden mindestens ein oder zwei Pädagogen benötigt, die das Bildungsprogramm langfristig durchführen und an unseren Lehrerfortbildungen teilnehmen. Unterstützend arbeiten aber auch Ehrenamtliche – wir nennen sie AckerMentoren – mit: Eltern, Rentner, Studenten oder Nachbarn, die einmal in der Woche für zwei Stunden mit auf den Acker kommen und auch von uns geschult werden. Was die Integration des Programms in den Schulalltag betrifft, so wird das an jeder Schule ganz individuell gelöst: Teilweise wird es in den Unterricht mit eingebaut oder es gibt nachmittägliche Arbeitsgemeinschaften. Die Ackerplanung, die Gemüse- und Gerätebestellung und was sonst noch alles dazugehört übernehmen wir, damit die Lehrer möglichst wenig Arbeit haben.
Und was müssen Schulen in finanzieller Hinsicht dafür leisten können?
Eine Finanzierung ist erstmalig im Startjahr zu leisten, die Höhe ist u. a. abhängig von den Gegebenheiten vor Ort. Die Mittel dafür können aus den Schulbudgets kommen, aus denen auch Computerräume finanziert werden. Wie diese können auch Schuläcker als ein bewusst geschaffener Lernort verstanden werden, der an unseren bisherigen Schulen auch als ein solcher vielfältig genutzt wird, z. B. indem auch im Rahmen des Kunst- oder Biologieunterrichts Pflanzen auf dem Acker gezeichnet bzw. untersucht werden. Genutzt werden die Äcker aber auch für Schul- oder Erntedankfeste. Das Bildungsprogramm selbst wird von uns ko-finanziert, so dass die Schulen finanziell unterstützt werden. Und langfristig gesehen soll sich das Projekt idealerweise selbst tragen, was darüber gelingt, dass das Gemüse teilweise von den Kindern vermarktet und an Abnehmer wie die eigenen Eltern, Lehrer oder Nachbarn oder auch an die Schulmensa verkauft wird. Die Kinder erfahren dadurch, wie viel das selbst angebaute Gemüse eigentlich wert ist, was wiederum die Wertschätzung für die Lebensmittel noch einmal steigert.
Kommen wir zum kulinarischen Teil: Was wird auf den Äckern denn so alles angebaut?
Angebaut werden bis zu 25 verschiedene Gemüsearten wie Kartoffeln, Gurken, Tomaten und Karotten, aber auch Mangold oder Fenchel, die eher seltener im alltäglichen Essensplan der Kinder vorkommen. Die Gemüsearten sind dann nochmal in Sorten unterteilt, was z. B. heißt, dass es nicht nur die roten Tomaten, sondern auch die gelben gibt, nicht nur die üblichen Kartoffeln, sondern auch die lilafarbenen. Diese Vielfalt begeistert die Kinder total – und sie ist wichtig, damit schon im jungen Alter die Geschmacksrezeptoren so ausgebildet werden, dass viel unterschiedliches Gemüse von Anfang an gemocht wird.
Und wie stellen Sie sicher, dass auf den Äckern auch langfristig tatsächlich was wächst?
Wir haben einen ganz tollen Biologen im Team, der sich mit jeder Pflanze bis ins Akribische auskennt, genau weiß, welche Nährstoffe die einzelnen Pflanzen brauchen und der vor dem Projektstart Bodenproben von Äckern nimmt und analysiert. Wir schauen also je nach Standort, was dort realistisch angebaut werden kann, und sorgen zudem mit einem elfjährigen Anbauplan für eine konstante Bodenfruchtbarkeit. Den Schulen liefern wir somit gleich ein Anbaukonzept mit, das auch langfristig Gemüseerträge gewährleistet.
Sie haben den Punkt der Bodenfruchtbarkeit angesprochen: Womit genau wird gedüngt?
Hauptsächlich kommt nur ökologisch-pflanzliche Gründüngung zum Einsatz. So wird z. B. gezupftes Unkraut zum Mulchen verwendet. In eher seltenen Fällen werden auch Hornspäne zum Düngen eingesetzt. Generell schauen wir aber, dass erst einmal das, was auf dem Acker ist, auch wieder auf dem Acker landet und darüber die Fruchtbarkeit erhalten bleibt.
Das heißt, dass auch Schulen mit einem vegetarischen oder veganen Anspruch, die möglichst keine tierlichen Düngemittel verwenden möchten, die GemüseAckerdemie problemlos bei sich realisieren könnten?
Ja, das wäre möglich.
Was geschieht eigentlich im Winter, wenn kein oder kaum Gemüse auf den Äckern wächst?
Wenn keine Ackersaison ist, die meist von April bis Oktober läuft, dann läuft das Programm trotzdem weiter. Wir haben für diese Zeit ein Curriculum mit Theorie- und Praxisanteilen entwickelt, das sich an den Kriterien der Bildung für nachhaltige Entwicklung orientiert und den Kindern rund ums Gemüse vieles beibringt: warum Lebensmittel wichtig sind und man sie nicht wegwerfen soll, wo die Tomaten im Winter herkommen, welche Bedingungen Pflanzen brauchen, um wachsen zu können, und was Bodenfruchtbarkeit und virtuelles Wasser bedeuten. Dabei gibt es immer wieder Experimente und auch Ausflüge, die wir vorschlagen, damit die Kinder in der Nichtackersaison nicht nur Theorieunterricht haben, sondern auch viel selbst erleben. Denn nur durch das Selbst-Erleben prägen sich die Themen auch langfristig ein, und genau das ist auch eines unserer Ziele – wir wollen eine langfristige Wirkung erzielen.
Kann man sagen, dass Ihr Bildungsprogramm insgesamt auch als Beitrag zur aktuellen Nachhaltigkeitsdebatte verstanden werden kann?
Auf jeden Fall. Die Nachhaltigkeit kommt bei uns in mehreren Varianten vor: Zum einen begrünen wir mit unserem Projekt ja auch teilweise die Städte, indem wir schauen, welche Flächen wieder fruchtbar gemacht werden können. Zum anderen sorgen wir dafür, dass die Kinder sich auch mit Themen wir Regionalität und Saisonalität beschäftigen. Zu welchen Zeiten welches Gemüse in Deutschland tatsächlich angebaut wird, wissen sie ja oft gar nicht, da es das Obst und Gemüse ja das ganze Jahr über in den Supermärkten gibt. Außerdem haben sie über das Bildungsprogramm einen näheren Kontakt zur Natur, womit wieder eine größere Naturverbundenheit hergestellt wird. Dies ist unserer Meinung nach ganz wichtig, da ohne einen Kontakt zur Natur nur schwer ein umweltbewusstes Verhalten entstehen kann. Nicht zuletzt wirkt das Programm der Lebensmittelverschwendung entgegen. In welchen Maßen das geschieht, beginnen wir gerade zu erheben.
Würden Sie Ihr Programm auch als Beitrag zum Tierschutz verstehen?
Indirekt schon, denn wenn man mehr Gemüse isst, dann geht man auch eher davon weg, Fleisch zu essen. Es gibt ja diese typischen Fleischgerichte, die auch in den Schulmensen verarbeitet werden: Wenn man dort eine größere Vielfalt an Gemüse auch im Speiseplan anbietet, dann werden die Kinder auch viel zugänglicher für vegetarische oder vegane Gerichte. Kurz gesagt: Mehr Gemüse, weniger Fleisch.
Abschließend noch eine Frage zum Maskottchen der GemüseAckermie, das einen ziemlich interessanten Namen tragen soll. Mögen Sie dazu noch ein bisschen was verraten?
Unser Maskottchen ist eine Möhre mit dem Namen »Orangela Mörkel«. Entstanden ist Orangela, als wir 2014 den »start social«-Bundespreis gewonnen haben und die Vereinsmitgründerin Julia Krebs noch in der Nacht vor der Preisverleihung eine Plüschmöhre aus dem Logo der GemüseAckerdemie als Maskottchen genäht hat.
Am nächsten Tag entstand dann ein gemeinsames Foto mit Angela Merkel, die die Preisverleihung durchgeführt hat, und der Möhre – die seitdem ihren Namen trägt.
Weiß Frau Merkel von dem Taufnamen der Möhre?
Ich glaube, das hat sie nicht mitbekommen …
Dank und weitere Infos zur GemüseAckerdemie
Die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt dankt Ackerdemia und insbesondere Frau Dr. Burdack herzlich für das Interview und wünscht für die weitere Umsetzung der GemüseAckerdemie an möglichst vielen Schulen weiterhin viel Erfolg. Noch mehr Infos zum Bildungsprogramm und Kontaktmöglichkeiten finden Sie hier.