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Fische: soziale und empfindsame Tiere

Um die gewaltige Nachfrage nach Fisch zu decken, werden jedes Jahr weltweit zwischen 970 und 2.700 Milliarden Fische gefangen oder gezüchtet und teilweise aneinander verfüttert (letzteres in Aquakulturen). Zum Vergleich: Die Zahl der weltweit geschlachteten Landtiere liegt laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) bei über 70 Milliarden pro Jahr (Stand: 2018).

Einige Menschen, die sich aus ethischen Gründen gegen den Konsum von Fleisch entscheiden, essen weiterhin Fisch. Das mag daran liegen, dass Fische lange – auch von der Wissenschaft – als bloße »Reflexmaschinen« ohne Empfindungen betrachtet wurden. Eine wachsende Anzahl von Forschungsergebnissen zeigt jedoch, dass Fische ganz im Gegenteil kognitive und soziale Wesen sind, die fühlen können und zu erstaunlichen Leistungen in der Lage sind.

Schmerzempfinden

Es kann bei manchen Fischarten über eine Stunde dauern, bis sie nach dem Fang ersticken. Die Tiere zeigen dabei Anzeichen für extremen Stress: Sie schlagen mit den Flossen um sich, schnappen nach Luft, zappeln und winden sich während ihres langen Todeskampfs.

Dass Fische leiden können, war trotz solcher Anzeichen lange umstritten. In der Vergangenheit wurde ihnen ein Schmerzempfinden abgesprochen, weil sie unter anderem keinen Neocortex besitzen. Dieser Teil des Gehirns ist bei Menschen und anderen Säugetieren für die Schmerzverarbeitung verantwortlich. Allerdings kann allein die Tatsache, dass sich Fische anatomisch von den Säugetieren unterscheiden, kein Beweis dafür sein, dass sie keine Schmerzen empfinden. Vögel besitzen ebenfalls keinen Neocortex – bei ihnen wird aber allgemein angenommen, dass sie Schmerzen über andere anatomische Systeme verarbeiten. Das dürfte auch bei Fischen der Fall sein. Führende Wissenschaftler:innen haben 2012 in der Cambridge Declaration of Consciousness festgehalten: »Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass Organismen ohne Neocortex keine affektiven Zustände erfahren können.«

Mittlerweile wurde in zahlreichen Studien bestätigt, dass Fische Schmerzen empfinden. Wissenschaftler:innen können Schmerz an sich zwar nicht direkt messen, aber aus Versuchen und Beobachtungen der Tiere ihre Schlussfolgerungen ziehen. Sie sehen beispielsweise, dass Fische so auf Schmerzreize reagieren wie Säugetiere: sie hyperventilieren, hören auf zu essen, sind weniger aktiv und reiben mit Säure behandelte Körperteile an der Scheibe des Aquariums – »so wie wir unseren Zeh reiben, wenn wir ihn gestoßen haben«, sagt die Biologin Dr. Lynne Sneddon.

Zebrabärblinge durften in einem Versuch zwischen zwei Wasserbecken wählen: Das eine war öde und ohne Dekoration, das andere erlaubte einen Blick auf andere Fische und war mit Pflanzen ausgestattet. Die Bärblinge wählten das zweite Becken aus. Als die Forscher:innen den Fischen dann jedoch Säure injizierten und das Wasser im öden Becken mit Schmerzmitteln versetzten, begaben sich die Fische dorthin. In einem anderen Versuch vermieden es Regenbogenforellen, in ein Becken zu schwimmen, in dem sie Stromschläge erlitten hatten. Sie waren jedoch bereit, niedrige Stromschläge zu tolerieren, wenn sie sich dafür näher bei anderen Fischen aufhalten konnten.

Wir wissen nicht, wie genau Fische leiden. Doch selbst, wenn sie Schmerzen anders empfinden sollten als wir, bedeutet das nicht, dass ihr Schmerz weniger intensiv ist als unserer.

Selbstbewusstsein

Delfine, Elefanten, Schimpansen, Elstern – sie alle haben den sogenannten Spiegeltest bestanden. Mit diesem Test möchten Wissenschaftler:innen herausfinden, ob sich Tiere ihrer selbst bewusst sind. Während des Versuchs wird dem jeweiligen Tier ein Spiegel präsentiert und seine Reaktion auf das eigene Ebenbild beobachtet und interpretiert.

Auf den Bahamas wurde der Spiegeltest mit Mantarochen durchgeführt – mit einem interessanten Ergebnis: Die zwei Versuchstiere zeigten keinerlei Motivation, mit ihrem Spiegelbild interagieren zu wollen, was darauf hinweist, dass sie die Reflexionen nicht als Artgenoss:in interpretierten. Stattdessen bewegten sie sich in ungewöhnlicher Weise vor dem Spiegel und ließen Blasen emporsteigen. Vermutlich taten sie das, um zu sehen, ob ihre Reflexionen im Spiegel sich genau so bewegten wie sie selbst oder sogar, um mit ihrem Spiegelbild zu experimentieren beziehungsweise zu spielen. Laut den Autor:innen der Studie zeigen die Rochen damit ein ganz ähnliches Verhalten wie Affen. Sollten die Rochen tatsächlich ihrer selbst bewusst sein, würde das den Forscher:innen zufolge den Schluss zulassen, dass die Tiere auch zu hoch entwickelten kognitiven und sozialen Leistungen in der Lage sind.

Soziales Lernen

Fische sind dazu imstande, durch Artgenoss:innen zu lernen und kulturelle Traditionen aufrechtzuerhalten. Ein Beispiel dafür sind Guppies, die den Weg zu versteckten Futterplätzen von ihren Artgenoss:innen lernen. Auch Steinbarsche orientieren sich bei der Nahrungsaufnahme an anderen: Wird jungen Fischen dieser Art ein für sie unbekanntes Beutetier präsentiert, rühren sie es nicht an. Beobachten die Jungen jedoch einen anderen Steinbarsch, der das Tier isst, tun sie es ihm gleich.

Vermeidungslernen

Fische können sich an bestimmte Signale erinnern, die sie vor gefährlichen Situationen warnen. In einer Studie tauchten die Forscher:innen ein Netz in ein Wasserbecken mit Regenbogenforellen, um die Fische zu erschrecken. Zehn Sekunden zuvor leuchteten sie mit einem Licht in das Becken. Nach fünf Tagen flohen alle 13 Fische in der Studie bereits, als sie das Licht sahen. Sie hatten gelernt, dass das Licht Gefahr bedeutete.

Gemeinsame Jagd

Die Zusammenarbeit während der Jagd gilt als ein wichtiger evolutionärer Schritt in der Entwicklung der Menschheit. Aus dem Tierreich ist dieses Verhalten ebenfalls bekannt, zum Beispiel bei Löwen, Wölfen und Schimpansen. Eine interessante Form der Zusammenarbeit zwischen zwei Fischarten zeigen Zackenbarsche und Riesenmuränen. Um eine gemeinsame Jagd zu initiieren, taucht der Barsch vor dem Versteck der nachtaktiven Muräne auf und fordert sie unter anderem mit übertrieben starken Bewegungen seines Körpers dazu auf, ihm zu folgen. Kommt die Muräne dem nach, führt der Barsch sie zu dem Versteck eines Beutefischs. Dort angelangt, schlüpft die schlanke Muräne in das Versteck und sucht nach der Beute. Erwischt sie den Fisch, war die Jagd für die Muräne erfolgreich; flieht die Beute, wartet draußen der Barsch auf seine Mahlzeit. Beide Tiere nehmen durch diese Kooperation mehr Nahrung auf, als wenn sie jeweils allein jagen würden.

Räumliches Gedächtnis

Neben der gemeinsamen Jagd ist noch eine weitere Leistung des Zackenbarschs bemerkenswert: Um die Muräne zum Beutefisch zu führen, muss er sich daran erinnern, wo dieser sich versteckt hat. Auch das Versteck der Muräne muss er gut kennen, denn er sucht nicht beliebig nach irgendeiner. Tatsächlich scheint er sogar Muränen, mit denen er in der Vergangenheit bereits gemeinsam gejagt hat, bevorzugt auszuwählen.

Ein hervorragendes räumliches Gedächtnis kann auch die Krausflossen-Grundel vorweisen. Bei Niedrigwasser versteckt sie sich in Gezeitentümpeln, die auch bei Ebbe mit Seewasser gefüllt bleiben. Bei Gefahr springt die bis zu 15 cm große Grundel von Tümpel zu Tümpel. Das Besondere daran: Die Tiere können die anderen Tümpel nicht sehen, wenn sie zum Sprung ansetzen. Eine Reihe Untersuchungen aus den 1940ern hat gezeigt, dass sie bei Flut über das Gebiet schwimmen und sich die Lage der Tümpel genau einprägen. Das Wissen darüber können sie sogar nach 40 Tagen noch abrufen – ein beeindruckender Hinweis darauf, dass das so häufig angeführte, angebliche »Drei-Sekunden-Gedächtnis« von Fischen nicht den Tatsachen entspricht.

Gebrauch von Werkzeugen

Der Gebrauch von Werkzeugen war lange eine Fähigkeit, die nur Menschen zugeschrieben wurde. Mittlerweile weiß man jedoch, dass auch viele andere Tiere Werkzeuge nutzen – Fische sind dabei keine Ausnahme. So bläst beispielsweise der Großzahn-Lippfisch Wasser auf eine mit Sand bedeckte Muschel, um sie freizulegen. Anschließend trägt er seine Beute in seinem Mund zu einem nahegelegenen Stein, um sie dort zu zertrümmern. Strenggenommen sprechen einige Forscher:innen allerdings erst dann von »Werkzeuggebrauch«, wenn ein Tier selbst ein Hilfsmittel benutzt, um sein Ziel zu erreichen. Dies ist bei den südamerikanischen Buntbarschen der Fall: Diese nutzen Blätter als Transportmittel, um ihre Eier bei Gefahr in Sicherheit zu bringen.

Soziales Verhalten

Es ist mittlerweile erwiesen, dass Fische ihre Artgenoss:innen individuell unterscheiden und erkennen können. Diese Fähigkeit ist eine Grundlage für komplexere soziale Verhaltensweisen.

Wenn etwa männliche Buntbarsche einen Zweikampf beobachten, können sie sich merken, wie dieser ausgegangen ist. Das Wissen darüber, welcher Fisch stärker oder schwächer ist, machen sie sich dann in eigenen Kämpfen mit den jeweiligen Gegnern zunutze.

Ein faszinierendes Beispiel für die soziale Intelligenz der Fische ist außerdem der Putzerfisch. Vertreter:innen dieser Art machen ihrem Namen alle Ehre: Sie unterhalten »Putzstationen« und ernähren sich von Parasiten und Algen, die sie von den Körpern ihrer »Kund:innen« entfernen. Besonders fleißige Exemplare reinigen über 2.000 Fische am Tag, die über 100 verschiedenen Arten angehören.

Es gibt starke Hinweise darauf, dass die Putzerfische ihre Kund:innen kategorisieren können. Hätte ein Fisch auch eine andere Putzstation ansteuern können (etwa weil er ein großes Territorium hat), wird er bevorzugt behandelt. Kund:innen, von denen der Putzerfisch weiß, dass sie nur seine Putzstation ansteuern können, müssen demgegenüber länger auf ihre Behandlung warten. Gleichzeitig werden die Putzerfische ihrerseits von ihren potenziellen Kund:innen beobachtet und bewertet. Ist der Service nicht zu deren Zufriedenheit, steuern sie gegebenenfalls einen anderen Putzerfisch an.

Sollte der Putzerfisch einmal zu viel Material von einem Fisch abessen (z. B. gesundes Gewebe), reagieren die Kund:innen darauf häufig, indem sie ihn aggressiv verfolgen. Um sein Fehlverhalten wieder gutzumachen, gibt sich der Putzerfisch bei der nächsten Behandlung nachweislich mehr Mühe und lässt dem Fisch eine überdurchschnittliche Säuberung zuteilwerden. Damit solche komplexen Interaktionen funktionieren, ist das Wiedererkennen der Kund:innen Voraussetzung. Dementsprechend geht man davon aus, dass Putzerfische mehr als 100 unterschiedliche Kund:innen individuell voneinander unterscheiden können.

Körperkontakt

Um ihre Kund:innen zu beschwichtigen, nutzen Putzerfische Körperkontakt: Sie schwimmen über den Fisch und berühren ihn. Dieses Verhalten zeigen sie häufiger bei Raubfischen als bei harmlosen Exemplaren – offenbar, um eine eventuell aufkommende, gefährliche Attacke gleich im Keim zu ersticken. Dass Fische Körperkontakt als angenehm empfinden, zeigt sich auch daran, dass sie in unterschiedlichen Situationen darum bitten. So schwimmen beispielsweise freundlich gesinnte Barsche zu menschlichen Taucher:innen, um sich streicheln zu lassen. Auch von Muränen, die menschlichen Körperkontakt suchen, wird berichtet.

Wie auch für uns Menschen haben solche Streicheleinheiten für Fische therapeutischen Charakter. Dies konnte in einem Versuch nachgewiesen werden, in dem ein Doktorfisch eine halbe Stunde lang allein in einem Gefäß ausharren musste, das nur gerade so viel Wasser enthielt, um ihn zu bedecken. Wenn er die Möglichkeit hatte, begab sich der Fisch in die Nähe einer realistischen Putzerfisch-Attrappe, die streichelnde Bewegungen ausführte. Der Stresslevel des Fischs – gemessen am Kortisollevel im Blut – nahm beim Kontakt mit der Attrappe deutlich ab.

Fische können gestresst sein, aber auch an einer Art Depression leiden – das haben schwedische Forscher:innen herausgefunden. Auf jeder Lachsfarm kann man Fische beobachten, die – in der Entwicklung gehemmt und zu klein – regungslos an der Oberfläche treiben. Die chemischen Eigenschaften des Gehirns und die Verhaltensweisen dieser Fische ähneln den typischen Symptomen einer Depression, wie sie bei anderen Tieren dokumentiert wurden. Hervorgerufen wird die Depression der Lachse durch die Umgebung, in der Fische in Aquakultur leben: in überfüllten Becken, in denen sie mit aggressiven Artgenoss:innen ums Futter kämpfen müssen und unregelmäßigen Veränderungen des Lichts, des Wassers und der Strömungen ausgesetzt sind.

Fazit

Fische nehmen in unserer Wahrnehmung eine Sonderstellung ein: Sie sind vielen von uns fremd, unter anderem weil sie einen anderen Lebensraum bewohnen als wir, weil sie sich nicht laut äußern können und weil sie keine Säugetiere sind. Nicht zuletzt deswegen wurde Fischen lange Zeit die Fähigkeit zu kognitiven Leistungen und Empfindungen abgesprochen.

Die vorgestellten Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass Fische zu komplexen Verhaltensweisen fähig sind. Weitere Forschungsprojekte dazu sind – zumindest wenn sie tierfreundlich durchgeführt werden – wünschenswert, um die jeweiligen Resultate noch weiter zu untermauern. Die bisherigen Ergebnisse zeigen jedoch bereits, dass wir unser Bild von Fischen grundlegend überdenken sollten – und damit auch unseren Umgang mit ihnen.

Mehr zum Thema finden Sie in unseren Artikeln zu Meerestieren.

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