Tiere für die Tonne
Weltweit werden Milliarden Hühner, Rinder, Schweine und andere »Nutztiere« für die Ernährung von Menschen gehalten. Doch viele dieser Tiere landen gar nicht im Magen eines Menschen, sondern als Abfall in der Tonne. Eine unglaubliche Verschwendung von Leben, für die es jetzt erstmals konkrete Tierzahlen gibt.
18 Milliarden Tiere für die Tonne
Etwa ein Drittel der weltweit produzierten Lebensmittel geht laut der Weltgesundheitsorganisation (FAO) verloren oder wird zu Abfall – irgendwo zwischen Feld oder Stall und Magen. Besonders bitter: Weltweit landen dabei auch etwa 18 Milliarden Tiere in der Tonne. Das hat eine 2023 erschienene Studie der Universität Leiden ausgerechnet.
Die Forschenden untersuchten die Daten für sechs »Masttier«-Arten aus dem Jahr 2019. Sie gehen von insgesamt 75 Milliarden dieser Tiere aus, die für den menschlichen Verzehr gehalten wurden – fast jedes vierte völlig umsonst. Genauer gesagt: 16,8 Milliarden Hühner (16.800 Mio.), 402,3 Millionen Puten, 298,8 Millionen Schweine, 195,7 Millionen Schafe, 188 Millionen Ziegen und 74,1 Millionen Rinder.
Tiere aus der Milch- und Eierindustrie, also aussortierte »Milchkühe« und »Legehennen« oder männliche Kälber und Küken, sowie Wassertiere wurden in der Studie nicht berücksichtigt. Auch untersucht die Studie explizit Fleisch und nicht Innereien oder andere essbare Körperteile.
Tierprodukte machen »nur« 12 % der gesamten Lebensmittelverluste und -abfälle aus. Dass dafür Lebewesen sinnlos getötet wurden, wiege aber ethisch und ökologisch besonders schwer, so die Forschenden.
Das deutsche Tierschutzgesetz erlaubt eigentlich nur dann Tiere zu töten, wenn das aus einem »vernünftigen Grund« erfolgt. Als vernünftiger Grund gilt nach Ansicht vieler Menschen der eigene Genuss. Tiere unter meist qualvollen Bedingungen zu halten, um sie dann einfach wegzuwerfen, erscheint aber auch den meisten Fleischesser:innen verwerflich.
Sieben Tiere pro US-Amerikaner:in
Die Forschenden identifizieren mit Blick auf die absoluten Zahlen China als das verschwenderischste Land. Es ist verantwortlich für 16 % aller Tierverluste und Fleischabfälle weltweit. Die USA kommen mit 13 % an zweiter Stelle, danach Brasilien mit 6 %.
Berechnet man die Menge der weggeworfenen Tiere pro Kopf, dann führt Südafrika mit 8,8 Tieren pro Kopf die Liste der verschwenderischsten Länder an. Es ist jedoch nur für 3 % aller Verluste und Abfälle verantwortlich. Die USA dagegen bleiben auch bei dieser Berechnung mit 7,1 Tieren pro Person auf dem zweiten Platz. Die dritthöchste Zahl pro Kopf hat wieder Brasilien mit 5,39 Tieren. Auf jede:n Einwohner:in Chinas kommen dagegen nur 1,9 Tiere – der zweitniedrigste Wert nach Indien mit 0,4 Tieren pro Kopf.
Der Wert für ganz Europa liegt bei 15,4 % aller berechneten Tierverluste und Fleischabfälle, das sind im Schnitt 3,61 verschwendete Tiere pro Person. Auf das Konto des Vereinigten Königreichs gehen 2 %, beziehungsweise 4,79 Tiere pro Kopf.
Große Verluste am Anfang und Ende der Lebensmittelketten
Die Produktions- und Lieferketten wurden für die Untersuchung in fünf Schritte unterteilt: 24,9 % der Verluste und Abfälle passieren demnach in der Produktion (Aufzucht und Mast von Tieren), 7,8 % beim Transport (lebender Tiere), 20 % bei der Verarbeitung (Schlachtung und Verpackung), 20,6 % bei der Distribution (Lieferung an und Verkauf durch den Handel) und 26,7 % beim Konsum (Zubereitung und Konsum in Privathaushalten und Gastronomie).
Regional variieren diese Werte allerdings. So sind in Entwicklungsländern die Verluste bei der Produktion am größten. In den Industrieländern haben Restaurants und Privathaushalte den größten Anteil an der Lebensmittelverschwendung.
Die Heinrich-Böll-Stiftung hat für ihren Fleischatlas 2021 ausgerechnet, dass allein in deutschen Privathaushalten – also nur einem Teilbereich des letzten Schritts der Lieferkette – rund 10,5 Millionen Tiere pro Jahr in Form von Fleisch- und Wurstabfällen einfach weggeworfen werden. Genauer gesagt: 8.9 Millionen Hühner, 640.000 Schweine, 450.000 Puten, 360.000 Enten, 71.000 Gänse, 52.000 Schafe und Ziegen sowie 50.000 Rinder.
Lebensmittelverschwendung ist auch ein ökologisches Problem
Abgesehen von den ethischen Fragen, die dieses Töten für die Tonne aufwirft, ist Lebensmittelverschwendung auch ein ökologisches Problem. Weltweit ist sie für 6 % aller Treibhausgase verantwortlich – weggeworfene »Nutztiere« haben daran einen größeren Anteil als pflanzliche Lebensmittel, so die Autor:innen der Studie.
Insbesondere Rindfleisch benötigt viele Ressourcen: Es braucht zum Beispiel hundert Mal mehr Land, um eine Kilokalorie oder ein Gramm Protein vom Rind zu produzieren, als es für eine Kilokalorie oder Gramm Protein von Erbsen oder Tofu braucht. Auch der Treibhausgasausstoß ist in der Rinderhaltung deutlich höher als bei anderen Tieren.
Die Verschwendung natürlicher Ressourcen und die negativen Umweltauswirkungen, die vermieden werden könnten, sind ein wichtiger Grund, Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Sie dürfen jedoch nicht der einzige Beweggrund sein: So hat »Geflügel«-Fleisch zum Beispiel einen geringen ökologischen Fußabdruck. Gleichzeitig sind aber die meisten der geschlachteten und auch der weggeworfenen Landtiere Vögel. In der »Geflügelmast« wird also am meisten Leid und Verschwendung verursacht.
Milliarden Tiere könnten verschont werden
Die Forschenden errechneten: Wenn die Verschwendung überall in allen Bereichen auf das jeweils geringste bekannte Niveau reduziert würde, müssten 7,8 Milliarden Tiere weniger sterben – und das bei gleichbleibendem Fleischkonsum.
Auch die UN hat im Rahmen ihrer Nachhaltigskeitsziele (SDG) ein Ziel (Nr. 12.3) zum Thema Lebensmittelverluste und -verschwendung formuliert: »Bis 2030 Halbierung der weltweiten Pro-Kopf-Lebensmittelabfälle auf Einzelhandels- und auf Verbraucherebene und Verringerung der Lebensmittelverluste entlang der Produktions- und Lieferketten, einschließlich der Nachernteverluste«. Würde dieses Ziel erreicht, blieben 4,2 Milliarden »Nutztiere« verschont. Die Autor:innen der Studie kritisieren jedoch, dass sich das Ziel nur auf zwei der fünf Teilschritte in den Produktionsketten konzentriert. Würde das korrigiert, müssten sogar bis zu 8,8 Milliarden Tiere weniger sterben.
Die Autor:innen empfehlen, sich in Entwicklungsländern auf die Produktion und in den Industrieländern auf den Konsum zu konzentrieren, um Tierverluste und Fleischabfälle zu reduzieren. Man dürfe die anderen Schritte der Lieferkette jedoch nicht außer Acht lassen. So sei die Zahl der Verluste im Rahmen von Tiertransporten zwar im Vergleich gering. Beim Transport zugefügte Verletzungen und Stress hätten aber Auswirkungen darauf, ob Tiere oder Fleisch in späteren Schritten aussortiert oder weggeworfen werden.
Ein geringerer ökologischer Fußabdruck wäre nur ein positiver Nebeneffekt, wenn die Verschwendung bei der Fleischproduktion reduziert würde. Auch die Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern könnte verbessert werden, wenn Verluste während der Produktion reduziert würden. Man müsste demnach nicht versuchen mehr Tiere zu halten, sondern nur die Haltung verbessern. Das gilt natürlich auch für Industrieländer: In besserer Tierhaltung und ohne Überzüchtung sterben weniger Tiere in der Mast. Das gelingt, indem Tierschutzforderungen wie unsere Europäische Masthuhn-Initiative umgesetzt werden.
Wir unterstützen Sie dabei, weniger Tiere zu »verbrauchen«
Noch mehr Tierleben als durch die Reduktion der Lebensmittelverschwendung kann man durch die Reduktion der Tierhaltung insgesamt verschonen. Ernährung pflanzlicher zu gestalten ist für die Industrieländer in jedem Fall zu empfehlen, denn das hat Vorteile für Menschen, Tiere und den Planeten.
Mit unserem Programm Plant Potential unterstützen wir Unternehmen der Lebensmittelbranche dabei, weniger Tierprodukte zu verbrauchen. Sei es, indem Tierprodukte weniger zum Einsatz kommen, oder indem sie durch pflanzliche Alternativen ersetzt werden.
Privatpersonen finden in unserer Vegan Taste Week viele kostenlose Tipps und Rezepte, um die Vielfalt der pflanzlichen Küche zu entdecken.