Agrarindustrie und -politik: ein prekäres Flechtwerk
Sucht man nach den Hauptfaktoren für das gegenwärtig millionenfache Leid der sogenannten Nutztiere, so gerät einer schnell in den Blick: der unverkennbare Schulterschluss zwischen agrarindustriell orientierten Interessenverbänden und konservativer Klientelpolitik. So sorgte in den vergangenen Jahren vor allem die unheilvolle Liaison aus Bauernverband und CDU/CSU-besetztem Agrarministerium für eine eindeutig wirtschaftsgetriebene und nicht tier(schutz)freundliche Politik. Dass eine innige Verflechtung aus solchen Interessenverbänden und der Politik besteht, war auf Seiten der antiindustriell eingestellten Agrarkritiker längst bekannt. Wie weit diese Verflechtung jedoch tatsächlich reicht, wurde erst kurz vor der vergangenen Bundestagswahl über die Veröffentlichung der Studie »Die Vernetzung der Agrarindustrie und Agrarpolitik in Deutschland« noch einmal so richtig deutlich.
Netzwerk-Knotenpunkte und Vielfach-Funktionäre
Herausgearbeitet werden sollten mit der umfangreichen Studie, die vom Diplom-Agraringenieur Veikko Heintz im Auftrag der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erstellt wurde, insbesondere die personellen »Verflechtungen zwischen Parteien, Institutionen, Verbänden und Unternehmen des Agrarsektors […] sowie Netzwerkknotenpunkte, Schlüsselpersonen und ‚Hot Spots‘ der Einflussnahme von Agrarlobbyorganisationen auf politische Entscheidungsprozesse«. Methodisch angesetzt wurde dafür bei einer Analyse der Nebentätigkeiten von Abgeordneten in politischen Entscheidungsgremien sowie der Tätigkeiten von Spitzenfunktionären der Interessenverbände der Agrarwirtschaft, »um gegebenenfalls Interessenkonflikte bzw. die Vertretung von Partialinteressen bestimmter Verbände und Unternehmen des Agrarsektors in der Politik deutlich zu machen.« Das Ergebnis dieser Untersuchung – frappierend:
So fasst Veikko Heintz unter anderem zusammen, »dass insbesondere die großen und größten Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft über eine ausgeprägte Repräsentanz in den Parlamenten und anderen Gremien der politischen Entscheidungsfindung verfügen.« Und:
»Aufgrund der Häufung von Tätigkeiten in Entscheidungs- oder Aufsichtsgremien in Spitzenunternehmen und Interessenverbänden können einzelne Personen als Netzwerkknotenpunkte zwischen Agrarindustrie und Politik betrachtet werden. Diese können aufgrund der Vielzahl ihrer Tätigkeiten in Verbänden und Unternehmen als Vielfachfunktionäre bezeichnet werden. Durch ihre zentrale Stellung in der Politik, Verbänden und Unternehmen nehmen sie Schlüsselpositionen in der Interessenvertretung der deutschen Agrar- und Ernährungsindustrie ein. Insbesondere der Deutsche Bauernverband kann aufgrund seiner starken Präsenz in den Parlamenten als stark vernetzte Lobbyorganisationen mit hohem Einfluss auf die politische Meinungsbildung betrachtet werden.«
Wie stark die Verquickung gerade vom Deutschen Bauernverband (DBV) und der Politik ist, wurde bereits Anfang September von der Frankfurter Rundschau mithilfe von Heintz‘ Studie hervorgehoben: Insgesamt sechzehn von zwanzig in den Parlamenten vertretenen DBV-Funktionären sind demnach Mitglieder der CDU/CSU, immerhin noch zwei der FDP. Jeweils ein DBV-Funktionär ist Mitglied der SPD und der Freien Wähler. Doch nicht nur der Bauernverband wartet mit einer hohen Zahl an in der Politik vertretenen Funktionären auf: Auch der agrarindustriell orientierte Deutsche Raiffeisenverband (DRV) kommt auf immerhin acht Funktionäre – allesamt Mitglieder der CDU/CSU.
Eine unentrinnbar dunkle Zukunft?
Die Ergebnisse der Studie vor Augen, ist es sicherlich nicht übertrieben, die Verbindungen zwischen der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft und der Politik als ein höchst prekäres industriepolitisches Flechtwerk zu bezeichnen. Prekär nicht zuletzt für die unzähligen Tiere, die als die primären Leidtragenden dieses machtvollen und weitestgehend reformfeindlichen Flechtwerks gelten können. Hält man sich zusätzlich noch das Ergebnis der Bundestagswahl 2013 vor Augen, das sehr wahrscheinlich erneut zu einer politisch schwarzen Besetzung des Agrarministeriums führen wird, so scheint eine Aussage der Frankfurter Rundschau, »dass das personelle Geflecht zwischen Bauernverband, Agrarwirtschaft und -politik so dicht ist, dass es nahezu unauflösbar scheint«, nur umso bedrohlicher. Doch ist die Zukunft tatsächlich so dunkel, wie sie sich vor diesen Hintergründen andeuten mag?
So unentrinnbar eine agrarindustriell geprägte Zukunft zunächst auch erscheinen mag, so dürfen keinesfalls die in den letzten Jahren gewachsenen Bestrebungen übersehen werden, die einer solchen Zukunft entschieden entgegenwirken: politische Oppositionskräfte etwa, die eine Abkehr von der Massentierhaltung fordern und hinsichtlich der derzeit herrschenden Agrarverflechtungen verbesserte Transparenzregeln für Abgeordnete und die Einführung eines Lobbyregisters, oder aber vor allem auch die zahlreichen vornehmlich im Netzwerk »Bauernhöfe statt Agrarfabriken« vereinten Bürgerinitiativen, Verbände und Organisationen, die sich immer erfolgreicher gegen den Neubau von Tierfabriken und damit auch gegen den weiteren strukturellen Ausbau von Agrarindustrie stemmen. Werden solche Bestrebungen zukünftig – durch weitere politische Forderungen, weitere Zusammenschlüsse und durch den Anschluss von immer mehr Bürgern an entsprechende Initiativen – weiter gestärkt, so wird sich auch die Zukunft zunehmend positiver gestalten.
Und nicht zuletzt: Gewachsen ist in den letzten Jahren auch deutlich die Bewegung der Menschen, die im Konsum von Tieren und Tierprodukten den Hauptfaktor schlechthin für das (massenhafte) Leid und den Tod der Tiere erkannt und die sich deshalb bewusst für eine vegetarische oder erst recht vegane Ernährung entschieden haben. Sich dieser Bewegung anzuschließen, sie mit einer Umstellung der eigenen Ernährungsweise zu stützen und somit der Tierindustrie immer mehr Handlungsaufträge zu entziehen, ist letztlich nicht nur einer der wirksamsten, sondern auch einfachsten Wege in eine gerade auch tierfreundliche Zukunft. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam beschreiten.