Aktuelle Beiträge

Zukunftsdialog Agrar & Ernährung 2015

Mit dem Aufruf des Videos erklären Sie sich einverstanden, dass Ihre Daten an YouTube übermittelt werden und dass Sie die Datenschutzerklärung gelesen haben.

Am 5. Mai 2015 fand in Berlin bereits zum zweiten Mal der von der ZEIT und der agrarzeitung veranstaltete »Zukunftsdialog Agrar & Ernährung« statt. Nach einem kritischen Fazit im vergangenen Jahr war unsere Erwartungshaltung an die eingeladenen Sprecher und die gesetzten Themen in diesem Jahr besonders hoch. Erfreulicherweise wurden wir insgesamt nicht enttäuscht – auch wenn der Beginn der Veranstaltung noch kurzzeitig anderes befürchten ließ.

Eröffnung durch den Landwirtschaftsminister

Minister Christian Schmidt beim Zukunftsdialog
Bundesminister Schmidt

Der eigentliche Zukunftsdialog begann mit einer Eröffnungsrede des Bundeslandwirtschaftsministers Christian Schmidt, in der er einen stärkeren Dialog zwischen der Gesellschaft und der Agrarwirtschaft einforderte. Trotz dieses zweifelsfrei unterstützenswerten Anliegens stellte sich am Ende von Schmidts Rede allerdings ein eher schaler Eindruck ein:

Denn zwar erwähnte er in seiner Rede u. a. auch die derzeit größte agrarpolitische Alternativbewegung »Wir haben es satt«, doch ging er inhaltlich kaum auf deren Forderungen ein. Wenig begründet äußerte er stattdessen die Besorgnis vor einer »Agrar-Abwende« statt der alternativ geforderten Agrarwende. Und während sein parlamentarischer Staatsekretär Peter Bleser im vergangenen Jahr noch nachdrücklich davon sprach, dass es vor allem Fakten und eine Begeisterung für die »Wahrheit« seien, mit der agrarpolitisch agiert werden müsse, fertigte Schmidt in diesem Jahr das kürzlich veröffentlichte Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik zur Haltung von »Nutztieren« mit der Bemerkung ab, dass ja »nicht jede wissenschaftliche Erkenntnis politisch umgesetzt werden« müsse. Ob sich mit einer solchen ministerlichen Haltung die drängenden Gegenwartsprobleme des Agrar- und Ernährungsbereichs lösen lassen, geschweige denn ein stärkerer Agrardialog aufbauen lässt, darf stark bezweifelt werden.

Die Zukunft der Landwirtschaft

Auf dem Podium abgelöst wurde Christian Schmidt von Jürgen Oldeweme (BASF Crop Protection), der den ersten Themenblock des Tages mit einer kurzen Rede – und einem für den Dialog unnötigen Unternehmens-Werbefilm – einleitete und anschließend gemeinsam mit Reinhild Benning (BUND), Carl-Albrecht Bartmer (DLG) und Konstantinos Tsilimekis (Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt) zur Frage »Landschaft und Landwirtschaft: Einheit oder Gegensatz?« diskutierte:

Konstantinos Tsilimekis beim Zukunftsdialog
Konstantinos Tsilimekis

Oldeweme und Bartmer forderten dabei u. a. technische Weiterentwicklung und Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft, um Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Benning wies dagegen immer wieder auf die globale Verantwortung der Landwirtschaft hin: Artenschutz, Bekämpfung des Welthungers, Nachhaltigkeit, fairer Handel ‒ all diese Themen könnten nicht durch Biospritproduktion, immensen Fleischkonsum und Ressourcenausbeutung gelöst werden. Tsilimekis stellte zudem die Bedeutung des individuellen Konsumverhaltens heraus: Nicht vornehmlich eine Steigerung der Produktivität, sondern ein anderer Umgang mit den bereits vorhandenen Ressourcen könne eine wirkmächtige Lösung für aktuelle Probleme sein, z. B. die direkte Nutzung von Eiweißpflanzen statt deren Verfütterung an die Tiere. Die Ethik müsse zentrale Säule der Landwirtschaft sein, schließlich gehe es immer um lebende Organismen. Die erste Diskussionsrunde des Tages lieferte insgesamt einen wichtigen und fairen Meinungsaustausch, der schnell auch von anderen Berichterstattern aufgegriffen wurde.

Landwirtschaft und Medien

Zum Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Medien diskutierten nach einer Mittagspause – bei der auch ein veganes Gericht zur Auswahl stand – Stephan Lebert (ZEIT) und Werner Schwarz (DBV). Lebert beschrieb die aktuelle Beziehung als Vertrauenskrise u. a. aufgrund mangelnder Transparenz, Schwarz kritisierte vor allem die »Emotionalisierung« und »Boulevardisierung« landwirtschaftlicher Themen durch die Medien. Als Lebert Mastanlagen als »geschlossene Bunker« bezeichnete, reagierte Schwarz sichtlich verärgert ‒ die derzeitige emotionale Aufladung des Spannungsfelds zwischen Medien und Agrarwirtschaft zeigte sich hier noch einmal deutlich. Inwieweit sich eine versachlichende Entspannung des diskutierten Verhältnisses durch das von Lebert abschließend angenommene Angebot, in Schwarz‘ Schweinezucht- und Ackerbaubetrieb 14 Tage lang mitzuarbeiten, einstellen wird, bleibt abzuwarten.

»Im Zweifel für die Heuschrecke«

In einem weiteren moderierten Dialog diskutierten anschließend die Tierethikerin Friederike Schmitz und Jörg Bauer (Schweinehalter, Berater und Lehrkraft) zum Thema »Die Ethik des Schinkenbrots oder welche Rechte haben Tiere?« Argumentativ plausibel erklärte Schmitz, dass sie im Genuss von Tierprodukten keine ethische Rechtfertigung sähe, Tieren die Umstände in der Massentierhaltung zuzumuten. Auch auf die Frage nach Insekten als Nahrungsmittel antwortete sie konsequent: »Im Zweifel für die Heuschrecke.« Durch Bauers Ausführungen wurden aber auch Bedenken und Sorgen der Landwirte aufgezeigt: Die größte Angst der heutigen Landwirte sei nicht mehr die eigene Arbeitsunfähigkeit, sondern die öffentliche Bloßstellung. Bezugnehmend auf Schmitz schloss er: »Sie haben die Ethik, ich habe den Landwirt.«

Als äußerst interessant zeigte sich neben dem argumentativen Austausch das Ergebnis einer TED-Umfrage, die im Rahmen dieses Dialogs durchgeführt wurde: Demnach waren unter den rund 450 Teilnehmern und Teilnehmerinnen des Zukunftsdialogs 70 %, die mindestens einmal pro Woche, und 22 %, die selten Fleisch essen, sowie 5 %, die sich vegetarisch, und 3 %, die sich vegan ernähren. Gemessen an einer aktuellen Schätzung, die von bereits 1,1 % Veganern in der gesamten Bevölkerung ausgeht, war damit vor allem die Zahl der Veganer beim Zukunftsdialog überrepräsentiert – ein Zeichen, dass pflanzlichere Ernährungsweisen nicht nur in der Gesamtbevölkerung an Bedeutung gewinnen, sondern ihre Vertreter auch zunehmend mehr am geordneten gesellschaftlichen Dialog teilnehmen.

Ernährungstrends im Blick

Nach einem inspirierenden Vortrag von Maria Schneider, Kreativdirektorin der Autostadt in Wolfsburg (Motto »vital, vegetarisch, vegan«), wurde im letzten Block schließlich noch die Frage nach gegenwärtigen und zukünftigen Ernährungstrends zwischen ihr, Peter Wesjohann (PHW-Gruppe/Lohmann & Co. KG, u. a. Wiesenhof), Martin Hofstetter (Greenpeace), Gerd Billen (Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz) und Prof. Peter Wippermann (TRENDBÜRO) in den Blick genommen:

Dabei äußerte Hofstetter seine Empörung über die aktuelle Gesetzgebung sowie die mangelnde Bereitschaft der Verbraucher:innen, mehr Geld für Lebensmittel zu bezahlen. Zudem betonte er, dass eine vegane Ernährung zwar nicht als bedenkenloses Allheilmittel betrachtet werden könne, er sich jedoch über jeden zusätzlichen Veganer freue, da dieser Ernährungsstil als positiv für die Umwelt gelten könne. Wippermann dagegen beschrieb den Veganismus kritisch als »Spiritualität« und »Sinn stiftend«, war sich aber mit Hofstetter darüber einig, dass die jüngere Generation von Konsumenten und Konsumentinnen unter 30 eine bewusstere Einstellung zum Thema Tierhaltung, Fleischkonsum und Nachhaltigkeit hätten. Die Chancen, die mit dieser Einstellung einhergehen, sollten auch zukünftig dringend weiter diskutiert werden.

Fazit: Ein echter Zukunftsdialog

Faire und ausgewogene Dialoge, ein breites Themenspektrum sowie ein hohes Austausch- und Vernetzungspotential: Im Gegensatz zur ersten Ausgabe des Zukunftsdialogs im vergangenen Jahr zeigte sich die diesjährige Veranstaltung sowohl hinsichtlich der eingeladenen Sprecher und Sprecherinnen als auch durch die Zusammensetzung des Publikums als ausgeglichener und die gegenwärtige Debatte um »Agrar & Ernährung« getreuer widerspiegelnd. Daran sollte bei den kommenden Veranstaltungen unbedingt angeknüpft werden. Wünschenswert wäre zudem, dass zukünftig gerade auch Akteure aus der alternativen Agrarbewegung die Chance erhalten und ergreifen, den Zukunftsdialog als Partner und Förderer zu unterstützen, um schon die Basis dieser Veranstaltungsreihe ausgewogener auszugestalten.

Auch wenn ein solcher Zukunftsdialog letztlich nicht allein dazu beitragen kann, sämtliche Probleme zu lösen und konträre Sichtweisen zu vereinigen: Ein wirklicher Fortschritt kann nur dann stattfinden, wenn sich alle Akteure und Akteurinnen der Agrardebatte zunehmend mehr auf Augenhöhe begegnen. Hätte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt in diesem Jahr nach seiner Rede nicht gleich die Veranstaltung verlassen, dann hätte er mitbekommen, dass der von ihm eingeforderte Dialog schon einen Schritt weiter ist, als er ihn selbst einschätzt. Für seine politische Praxis wäre diese Einsicht inklusive der diskutierten Erfordernisse für die Gegenwart und Zukunft von Landwirtschaft und Ernährung unerlässlich.

Fotos © Felix Jürgen Holland

Sie möchten nichts Wichtiges vepassen?
Sie erfahren, wie Sie sich für die Tiere einsetzen können, und erhalten Informationen über wichtige Tierschutzthemen.