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Kolumne: 10 Jahre vegan – ein Rückblick

Mahi Klosterhalfen Portrait
Mahi Klosterhalfen. Foto: Timo Stammberger

Im Sommer 2005 war ich noch ein ganz normaler BWL-Student. Mit »normal« meine ich, dass ich die typischen BWLer-Klischees ganz gut erfüllt habe: Ich verfolgte täglich die Aktienmärkte, gewann und verlor mit meinen überschaubaren Einsätzen an der Börse hier und da ein paar Euro und wollte irgendwann mein eigenes Unternehmen gründen. Für wichtigere Ziele im Leben reichten weder meine Fantasie noch mein Horizont.

Immerhin erinnerte ich mich in diesem Sommer daran, dass ich als Kind zufällig den Fernseher einschaltete, als die Verfilmung von Mahatma Gandhis Leben mit Ben Kingsley lief. Ich sah vielleicht nur noch die letzte halbe Stunde des Films, aber ich war nach wie vor so beeindruckt von Gandhis Wirken, dass ich mir für die Semesterferien seine Autobiografie als Lektüre zulegte – nicht ahnend, welche Konsequenzen das haben würde.

In der Autobiografie stolperte ich über eine Stelle: Gandhi beschreibt darin, dass er schwer krank war und seine – offenbar nicht sonderlich kompetenten – britischen Ärzte ihm sagten, er müsse unbedingt Hühnersuppe essen, sonst würde er sterben. Gandhi entgegnete, dass er lieber sterben würde, als für den Tod eines Tieres verantwortlich zu sein. (Wir alle wissen, dass Gandhi nicht an Hühnersuppemangel starb.)

Diese Stelle in Gandhis Buch gab mir sehr zu denken: Wie war das bei mir und meiner Hühnersuppe und meinem Fleischkonsum generell? Wenn ich Fleisch hätte essen müssen, um zu überleben, dann hätte ich das vor mir selbst rechtfertigen können. Doch ich musste mir eingestehen, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, Fleisch zu essen. Also beschloss ich, es zumindest mal für einen Monat mit der vegetarischen Ernährung zu probieren – und siehe da: halb so wild. In meinem zweiten vegetarischen Monat stellte ich mir dann zum ersten Mal ernsthaft die Frage, warum sich eigentlich manche Menschen vegan ernähren. Bis dahin war ich der Überzeugung, dass Bio-Milch und Bio-Eier ethisch völlig unbedenklich seien. Ich recherchierte im Internet, erfuhr von künstlicher Besamung, dem Schlachten männlicher Kälber, dem Vergasen und Zerschreddern männlicher Küken und davon, dass auch Bio-Kühe und -Hennen geschlachtet werden, sobald ihre »Leistung« nachlässt. Noch vor dem Computerbildschirm beschloss ich: Du lebst jetzt vegan!

Vegan im Jahr 2005 war ein gewisses Abenteuer, wie man es heute kaum noch erleben kann – oder muss. Nützliche Informationen im Internet waren spärlich gesät. Ich landete bei meinen Suchen vor allem in Foren, in denen – so kam es mir vor – hauptsächlich über Fragen diskutiert wurde wie ob man Löwen im Zoo vegan ernähren solle oder nicht. Auch (gute) Rezepte waren kaum zu finden – weder im Internet noch in Kochbüchern. Ich konnte damals kein einziges deutsches Rezeptbuch mit »vegan« im Titel finden. Zum Vergleich: Allein im Jahr 2014 wurden 77 deutschsprachige vegane Kochbücher auf den Markt gebracht. Glücklicherweise wurde in einem Forum gerade einmal nicht über Löwenernährung gestritten und so erfuhr ich, dass »Das große Kochbuch der vegetarischen Köstlichkeiten« von Herta Gal ein veganes Kochbuch war – man traute sich damals nur nicht, »vegan« zu schreiben, weil man Angst hatte, das Buch würde sich dann nicht verkaufen.

Auch fundierte deutschsprachige Informationen zur gesunden veganen Ernährung fand ich nicht. Eine der Befürworterinnen veganer Löwenernährung schrieb zwar, dass vegan immer für alle gut sei, aber ich wollte es etwas genauer wissen. Zum Glück gab es damals das Buch »Plant Based Nutrition and Health« von Stephen Walsh – vom Design her (genau wie das Kochbuch) kein Hingucker, aber insbesondere für damalige Verhältnisse unglaublich faktenreich und wissenschaftlich gut abgesichert.

Wer heute vegan lebt, kennt es, manchmal mit nicht besonders cleveren Einwänden konfrontiert zu werden. Damals musste man fast schon froh sein, solche Einwände überhaupt zu hören zu bekommen, denn es war schon ein Highlight, überhaupt mal jemanden zu treffen, der wusste, was »vegan« bedeutet. Zur Verdeutlichung ein Gespräch, das sich abspielte, als ich in meiner veganen Anfangszeit mit meiner Mutter essen war:

Ich: »Haben Sie auch etwas Veganes?«

Kellner: »Wie bitte?«

Meine Mutter: »Etwas Ve-ga-nes.«

Kellner: »Er will-ga-nix?!«

Wenn man es positiv sehen will, hatten die alten Zeiten auch ihr Gutes: Es war damals viel einfacher, sich gesund zu ernähren, weil es (außer in einigen Internetshops) weder veganes Fast-Food noch vegane Süßigkeiten gab. Andererseits brauchte man als vegan lebender Mensch früher noch deutlich stärkere Nerven als heute. Ich bin jedenfalls ganz froh, dass das vegane Leben immer komfortabler wird und ich heutzutage auf den Verpackungen von Vitamin-B12-Tabletten nicht mehr »Anwendungsgebiet: bei veganer Mangelernährung« lesen muss. Irgendein BWL-Student muss dem Hersteller erklärt haben, dass es nicht viel Sinn macht, die eigene Zielgruppe zu beleidigen ...

Hinweis

Diese Kolumne von unserem Geschäftsführer Mahi Klosterhalfen ist zuerst im vegan magazin erschienen.

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