Agrarvertreter verstoßen massiv gegen Tierschutz
In den Ställen führender Funktionäre der Bauernverbände wurden laut »Panorama« erhebliche Verstöße gegen geltendes Tierschutzrecht vorgefunden. Heimliche Videoaufnahmen der Tierrechtsorganisation ARIWA - Animal Rights Watch e.V. aus dem vergangenen Jahr dokumentieren in den Betrieben zwölf wichtiger Verbandsfunktionäre der Agrarindustrie teils erschütternde Zustände. Die Aufnahmen hat der NDR zusammen mit der Süddeutschen Zeitung überprüft und unabhängigen Sachverständigen für Tierschutz zur Beurteilung vorgelegt. Die Bilder belegen sowohl rechtlich zulässiges Tierleid als auch eindeutige Rechtsverstöße. Eine Auswahl des belastenden Videomaterials hat das Politikmagazin ARD Panorama am 22. September gezeigt. Die Verantwortlichen wiegeln jetzt ab.
Die Aufnahmen im Magazinbeitrag stammen aus der Schweinemast des Vorsitzenden des Zentralverbandes der Deutschen Schweineproduktion (ZDS), Paul Hegemann, und weiterer Top-Funktionäre. Ebenfalls erschreckende Bilder stammen aus einem Stall des Vorsitzenden des Verbands Deutscher Putenerzeuger, Thomas Storck; einer Ferkelzuchtanlage des Präsidenten des Thüringer Bauernverbands, Helmut Gumpert, sowie aus dem Betrieb des CDU-Bundestagsabgeordneten Johannes Röring, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands und Vorsitzender des Fachausschusses Schweinefleisch im Deutschen Bauernverband. Die Vertreter geben teils öffentlich vor, sich für »Tierwohl« in der Landwirtschaft einzusetzen.
Aufnahmen schockieren selbst Fachleute
Von den Aufnahmen zeigen sich selbst Sachverständige für Tierschutz entsetzt. Videos aus dem Stall des ZDS-Vorsitzenden Hegemann dokumentieren schwer verletzte Schweine mit klaffenden Wunden, teils Folgen des in Mastanlagen häufig auftretenden Kannibalismus. Als »schockierend« und »absolut abstoßend« bezeichnet der Agrar- und Veterinärwissenschaftler Matthias Gauly von der Universität Bozen die Zustände. Er ist im Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Einige der gefilmten Schweine leiden ganz offensichtlich unter Atemwegserkrankungen und Augenentzündungen - eine Folge der viel zu stark mit Ammoniak aus den Fäkalien belasteten Luft in der Anlage. Die zulässigen Grenzwerte des giftigen Gases wurden hier deutlich überschritten. Aufnahmen eines Messgeräts zeigen das Dreifache der erlaubten Konzentration. Die Luft war so stark belastet, berichtet ein Aktivist des Filmteams, dass sie die Aufnahmen nach 15 Minuten unterbrechen mussten.
Die Bilder belegen nach Ansicht der Berliner Fachtierärztin Diana Plange eindeutige Verstöße gegen das Tierschutzrecht. Sie bewertet die ihr vorgelegten Aufnahmen als entsetzlich, obwohl sie als vereidigte Sachverständige für Tierschutz einiges gewohnt ist. Die Haltung sei in hohem Maße tierschutzwidrig und aus rechtlichen wie aus ethischen Gründen absolut nicht zu vertreten. Nach dem Urteil der Expertin haben die Tiere über einen längeren Zeitraum schwer gelitten, was vermeidbar gewesen wäre. Einige Bilder dokumentieren offenbar sogar Straftaten, so die Tierärztin: In einer Ferkelzucht des Thüringer Bauernpräsidenten Gumpert zeigt eine versteckt installierte Kamera, wie eine Tierbetreuerin versucht, Ferkel durch das Schlagen auf den Betonboden zu töten – entgegen aller Vorgaben für eine Nottötung.
Totes Schwein im Stall von Bundestagsabgeordnetem
Auch beim Bundestagsabgeordneten und Bauernpräsidenten Röring gab es laut des Fernsehberichts erhebliche tierschutzrelevante und hygienische Missstände. Dabei wirbt er öffentlich für die Tierhaltung in Deutschland, die angeblich in Ordnung sei. Die Kamera zeigt in seinem Betrieb einige Schweine mit ebenfalls ernstlichen Verletzungen. Ein totes Schwein liegt nach Ansicht der Fachleute schon längere Zeit im Stall. Die erforderlichen Kontrollen der Ställe können hier nicht oder nur äußerst oberflächlich stattgefunden haben, kritisiert Tierärztin Plange. Einige der zum Teil schwerverletzten Tiere seien nicht ausreichend tierärztlich behandelt worden. »Zusammengefasst stellt das so die schlechteste Form der Schweinehaltung dar, die man sich vorstellen kann, mit einem hohen Potenzial an Tierleid und katastrophalen hygienischen Bedingungen«, äußerte dazu der Veterinärwissenschaftler Gauly gegenüber dem NDR und der SZ.
Reaktion der verantwortlichen Funktionäre
Den für die Haltungsbedingungen Verantwortlichen haben der NDR und die SZ Standbilder der Videoaufnahmen aus ihren Ställen zur Stellungnahme vorgelegt. Schweinemäster Hegemann und Putenerzeuger Storck räumen Missstände ein, die allerdings schon lange behoben wären. Schweinehalter Röring lässt in einem Anwaltsschreiben mitteilen, dass die Haltungsbedingungen zum Zeitpunkt der Aufnahmen einwandfrei gewesen seien. Der Kadaver des toten Schweins sei von den Aktivisten »erst kurz vor der Aufnahme in das Abteil gelegt worden«. Ein Verhalten, das typisch für viele Tierproduzenten ist, denen Missstände vorgeworfen werden: Oftmals streiten beschuldigte Tierhalter die Vorwürfe ab, verunglimpfen ihre Kritiker und/oder gehen rechtlich gegen sie vor.