Tierschützer zieht vor das Verfassungsgericht
Der verurteilte Tierrechtsaktivist Jonathan Steinhauser erhebt schwere Vorwürfe gegen das Oberlandesgericht Stuttgart. Grund ist die Verfahrensführung im sogenannten Putenstall-Prozess: Er sieht darin einen Verstoß gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens nach der Europäischen Menschenrechtskonvention. Steinhauser zieht nun vor das Verfassungsgericht, nachdem das Oberlandesgericht Stuttgart seine vorausgegangene Verurteilung bestätigt hat. Die Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz und die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt haben Steinhauser im gesamten Verfahren bisher unterstützt.
Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart hatte am 4. September eine Revision zurückgewiesen und mit einem Beschluss das Urteil des Landgerichts Heilbronn für rechtskräftig erklärt. Dieses hatte Steinhauser 2017 wegen Hausfriedensbruch verurteilt, weil er zwei Jahre zuvor zur Dokumentation von Rechtsverstößen Filmaufnahmen in einer Putenhaltung in Schwäbisch Hall gemacht hatte. Allerdings hatte das Landgericht die Rechtsverstöße gegen den Tierschutz in der Tierhaltungsanlage selbst bestätigt.
Steinhauser hat nun, unterstützt von seinem Verteidiger, beim OLG Stuttgart eine sogenannte Anhörungsrüge eingereicht. Darin erhebt er schwere Vorwürfe insbesondere gegen die Verfahrensführung des Gerichts. Durch diese sei sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden. Dieses Recht garantiert jedoch Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Anhörungsrügen sind zwar regelmäßig aussichtslos, weil sie bei demselben Gericht erhoben werden, dessen Entscheidung angegriffen wird; dennoch sind sie die zwingende Voraussetzung für eine nachfolgende Verfassungsbeschwerde und ein mögliches sich anschließendes Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Vorwürfe gegen das Oberlandesgericht
Kern des Vorwurfs von Steinhauser ist, dass das OLG Stuttgart seinen Beschluss zum weitreichenden Heilbronner Urteil nicht begründet hat. Die Bestätigung ohne Begründung durch das OLG Stuttgart stelle einen schweren Rechtsverstoß gegen die Prinzipien des fairen Verfahrens dar. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte muss auch ein letztinstanzliches Gericht seine Entscheidung begründen, insbesondere wenn es um Grundsatzfragen geht oder es bereits abweichende Entscheidungen höherer Gerichte gibt.
In der von Steinhauser angestrebten Verfassungsbeschwerde soll thematisiert werden, dass das OLG Stuttgart gegen diese menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Grundsätze verstoßen habe. »Das Oberlandesgericht Stuttgart ist sehenden Auges von einer Grundsatzentscheidung des höchsten deutschen Strafgerichts von 1987 abgewichen«, so Steinhauser. »Es hat aber keine Veranlassung gesehen, seine Abweichung gegenüber der Öffentlichkeit zu rechtfertigen.« Eine anschließende Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg erwägt Steinhauser ebenfalls.
Kritik an Begründung des Landgerichtsurteils
Steinhauser kritisiert, dass das Landgericht Heilbronn in seiner Urteilsbegründung einen Standpunkt vertreten habe, der in der Rechtsprechung einmalig sei und zudem von früheren Urteilen des Bundesgerichtshofs und des OLG Naumburg abweiche: Nach Auffassung des Gerichts seien im Bereich der Massentierhaltung Rechtsverstöße gegen den Tierschutz selbstverständlich und zudem jedem bekannt. Solange der Gesetzgeber das bewusst dulde, habe kein Veterinäramt die Möglichkeit, gegen tierschutzwidrige Zustände dort vorzugehen. Denn es läge für die Tierquälerei ein vernünftiger Grund vor – Tierquälerei als Folge der Massentierhaltung sei daher »sozial adäquat« und damit hinnehmbar.
Weder von einem Gericht noch in der juristischen Literatur sei jemals zuvor diese Rechtsauffassung vertreten worden. Nach Auffassung Steinhausers und seines Anwalts hat das Landgericht Heilbronn damit einen Präzedenzfall geschaffen, ebenso wie das OLG Stuttgart mit der Bestätigung des Urteils: Das Urteil führe dazu, dass kein deutsches Veterinäramt mehr gegen tierschutzwidrige Zustände in der Massentierhaltung vorgehen werde. Dies bedeute das Ende für den Tierschutz in deutschen Massentierhaltungsanlagen.
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