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Vorstellung: Helmut Kaplan

In einer losen Serie stellen wir Denker und Aktive der Tierschutz- und Tierrechtsszene vor. Dazu veröffentlichen wir jeweils einen Text, den uns die Personen zur Verfügung stellen und verweisen auf Bücher bzw. Webseiten. Wir möchten dazu einladen, die Thesen dieser Menschen kennenzulernen und zu diskutieren.

Heiligkeit des Lebens – ein Text von Helmut F. Kaplan

Helmut Kaplan bei einer Rede
Helmut Kaplan © Kevin Petzinger

Im »Zeit Magazin« (20, 2011) las ich Hans-Dietrich Genschers Aussage: »Jedes Menschenleben ist gleich wertvoll.« Für jemanden, der im Philosophiestudium darauf gedrillt wurde, niemals unbegründete oder gar unbegründbare Behauptungen aufzustellen, ist das eine, je nachdem, äußerst schludrige oder äußerst kühne Redeweise. Nichtsdestotrotz entspricht sie exakt der gültigen Sprachregelung. Mehr noch: Wer diesen Satz nicht uneingeschränkt unterschreibt, begibt sich ins absolute gesellschaftliche Abseits.

Die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, die vor ihrer politischen Tätigkeit als Sonderschullehrerin psychisch kranke Kinder unterrichtete und mit geistig Behinderten arbeitete, formuliert die gleiche Aussage so: »Mein ganzes Leben lang habe ich mich für den Gedanken eingesetzt, dass jedes Leben gleich viel wert ist.« (»Der Spiegel«, 26, 2011, S. 46)

Und in der »Zeit« (32, 2011) lese ich auf Seite 1 im Artikel »Kein Mitleid mehr!«, in dem es um Hungerkatastrophen geht: »Hungernde Menschen sind … Bürger dieser Weltgemeinschaft und damit Träger aller Menschenrechte.« Schließlich im »Spiegel« (32, 2011, S. 42) im Zusammenhang mit dem Kindesmörder Magnus Gäfgen: »Dass die Menschenwürde keiner Abwägung zugänglich und also auch bei einem Verbrecher zu achten sei, gilt längst als gefestigte Meinung.«

Was heißt all dies? Es heißt: Unabhängig von allen faktischen und moralischen Unterschieden, egal ob jemand hochbegabt oder schwerbehindert, steinreich oder bettelarm ist, ob er Mitmenschen rettet oder tötet, jeder Mensch ist gleich wertvoll und Träger von Menschenrechten.

Was ist denn nun die Funktion, die Auswirkung dieser Gleichwertigkeit aller Menschen? Die Antwort ist einfach: Diese Gleichwertigkeit hat eine fundamentale Schutzfunktion, sie sichert den Gleichwertigen einen Mindeststandard an Ansprüchen, insbesondere das Recht, nicht gefoltert oder getötet zu werden – wenn wir einmal von Staaten wie China und den USA absehen, in denen Menschenwürde und -rechte eine irritierende theoretische Schlagseite aufweisen.

Gibt es nun vernünftige Gründe, Tieren diesen Schutz durch Gleichwertigkeit vorzuenthalten? Um es gleich vorwegzunehmen: Nein! Denn »Abwertungen mittels Fakten« sind, wie wir gesehen haben, grundsätzlich unstatthaft – siehe etwa die intakte Gleichwertigkeit von Senilen, Dementen und geistig Behinderten. Außerdem befinden sich viele Tiere, etwa Hunde, Katzen, Rinder oder Schweine, auf einem HÖHEREN Niveau als viele Senile, Demente oder geistig Behinderte. Die »begabtesten« Tiere sind schlauer als die »unbegabtesten« Menschen. Daran ist nicht zu rütteln und dabei braucht man nicht einmal an Primaten zu denken, die sich mit der Zeichensprache mit Menschen unterhalten. Es genügt, einerseits an Blindenhunde zu denken oder an Kapuzineräffchen, die Behinderte betreuen, andererseits an im Bett vor sich hindämmernde Demente.

Wenn am menschlichen Leben etwas »heilig« ist, dann ist es keine »Heiligkeit« des menschlichen Lebens, sondern eine »Heiligkeit« des kreatürlichen Lebens – weil viele Tiere, wie gesagt, viel »heiliger«, sprich: schlauer, begabter, intelligenter, was auch immer, sind als viele Menschen.

Eine Minderbewertung von Tieren gegenüber Menschen mittels Fakten ist also rationalerweise ausgeschlossen. Ebenso eine Minderbewertung mittels religiöser Begründungen. Schließlich leben wir nicht mehr in »Gottesstaaten«, sondern in säkularen Gesellschaften, in denen auch Menschenrechte säkular, also »weltlich«, sprich: glaubensneutral begründet werden müssen. Tierlichem Leben grundsätzliche Gleichwertigkeit und Schutzwürdigkeit abzusprechen, beruht auf Unvernunft oder Grausamkeit.

Literatur

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