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Das Rufen der Kühe

Kuh Gisela vom Hof Butenland
Kuh Gisela vom Hof Butenland © Stiftung für Tierschutz

Hast Du schon mal gesehn, wie eine Kuhmutter nach ihrem Kalb sucht? Wie sie sich immer wieder umdreht und verzweifelt nach ihm ruft?

Auf Hof Butenland hörte ich einmal die Geschichte von Gisela. 14 mal hatte sie in ihrem Leben ein Kind bekommen. 14 mal wurde sie geschwängert. 14 mal trug sie ihr Kind aus. 14 Mal wurde es ihr direkt nach der Geburt entrissen. Gisela war eine Milchkuh.

Als ihre Milchleistung nachließ, war ihre Lebenszeit abgelaufen. Doch ihr Dienst für die Menschen endete nicht wie vorgesehen im Schlachthaus. Vielmehr hatte sie das Glück, ihren Lebensabend im Kuhaltersheim und Lebenshof Butenland zu verbringen.

Doch dieses Glück bedeutet nicht, dass sie noch glücklich werden kann. Diese Fähigkeit wurde ihr genommen. Ihr Blick ist immer noch gebrochen und verstört.

Kann eine Kuh wirklich nicht empfinden? Die Natur hat doch allen Säugetiermuttern eine starke Bindung zu ihrem Kind gegeben. Und immer wieder können wir das in Tierdokumentationen sehen. Die Löwin und ihr Kind, die Wolfsmutter, Wale.

Und die Kuh doch auch. Und die Schafsmutter.

Einmal im Jahr muss eine Kuh kalben, damit deren Milch für uns Menschen stetig fließen kann. Jedes Jahr aufs Neue das gleiche Martyrium. Bis das Leben der vielfach verhinderten Kuhmutter schließlich im Schlachthaus endet.

Gisela hat einen gebrochenen Blick. Ihre Knochen sind ausgelaugt und brüchig, ihr Hochleistungsmilchleben hat sie körperlich und seelisch ausgezehrt. So sieht also ein Wesen aus, das uns Menschen zigtausende Liter Milch beschert und nichts dafür bekommen hat als Leid.

Kürzlich lernte ich Vicky kennen. Die flippige Veganerin lebt derzeit in Hagen, wo sie sich aktiv für den Tierschutz einsetzt. Sie ist sehr herzlich dabei, emotional, nimmt kein Blatt vor den Mund und schreiben kann sie sagenhaft gut. Und: sie ist junge Mutter.

Eines Tages schickte sie mir einen Text. Sie war gerade so aufgewühlt. Und ihre Worte gehen nah. Ein Mensch, der wie ich nie ein heranwachsendes Kind in sich gespürt hat, vermag nur schwer nachzuempfinden, warum Vicky so sehr mit Kühen fühlen kann. Aber er kann es ahnen:

Ich war auch mal eine Milchkuh, schließlich bin ich Mama. Ich war die Milchkuh für mein Kind, und das war total schön. Dafür hat die Natur ja meine Milch vorgesehen, für mein Kind. Das ist bei den Kühen nicht anders.

Ich weiß noch, wie schön das war. Ich weiß noch, wie erfüllend es für eine Mutter ist, ihr eigenes, kleines Kind im Bauch zu spüren und es später zu ernähren.

Das ist bei Tieren nicht anders. Und auch der Kuhmama geht es so. Auch sie liebt ihr kleines Kind sehr und ist glücklich, es um sich zu haben. Das geht aber nicht, weil die Menschen Milch trinken wollen. Mutter und Kind werden direkt nach der Geburt voneinander getrennt. Und dann hört man tagelang die Schreie.

Ich bin Mama. Und oft denke ich, ich hätte einer dieser Mamakühe sein können. Es könnte mein Kind sein, was mir weggenommen wird, weil es ein lästiger »Milchdieb« ist. Schon bei der Vorstellung kommen mir fast die Tränen.

Und dann denke ich mir: lieber wäre ich eins der Tiere, das nur für Fleisch gehalten und in jungen Jahren umgebracht wird als ein so langes Leben voller Leid erdulden zu müssen.

Eines Tages wurde Matthes auf Hof Butenland geboren. Mehr Glück kann man als Kuh in Deutschland wohl kaum haben. Die Natürlichkeit geht so weit, dass Matthes gar nicht mehr so viel Nähe zu seiner Mutter braucht und munter mit den anderen Kühen der Herde umhergeht.

Ganz besonderen Gefallen an Matthes fand Gisela, die gebrochene Milchkuh. Von Beginn seines jungen Lebens an umsorgte sie ihn wie ein eigenes Kind.

Karin zeigte mir die beiden auf der Weide und machte mich darauf aufmerksam, dass Gisela Matthes auch dann im Blick hatte, wenn er weit weg war, bei seiner Mutter, wenn er ruhte oder herumspielte.

Und dann später beobachtete ich die beiden in einem Unterstand. Gisela stand stoisch da und Matthes suchte instinktiv ihr Euter. Natürlich konnte sie keine Milch mehr geben. Aber sie ließ ihn gewähren. Und man konnte spüren, wie sie es genoss. Es war, als wollte sie nachholen, was ihr vorher 14 mal verwehrt geblieben ist.

Hast Du schon mal gesehn, wie eine Kuhmutter nach ihrem Kalb sucht? Nach ihrem verlorenen Kind?

Tierschützern wird oft vorgeworfen, Tiere zu vermenschlichen. Tiere haben nicht die gleichen Gefühle wie Menschen. Sie können sich nicht reflektieren, sie können nicht so weit denken, sie können nicht planen.

Abgesehen davon, dass dies alles nicht bewiesen und nur eine Annahme aus hoher Warte ist, ist eines aber unbestreitbar: Tiere können leiden.

(Aus: der erwachende Riese, der derzeit entstehenden Fortsetzung von »Wie ich verlernte, Tiere zu essen« von Marsili Cronberg)

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