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Recht für Tiere

Die juristische Arbeit der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt verfolgt zwei Ziele: geltendes Recht durchzusetzen und Lücken im Tierschutzgesetz zu schließen. Mit strategischen Klagen greifen wir tierquälerische Standardpraktiken in der landwirtschaftlichen Tierhaltung an – ein oft langwieriges Unterfangen, bei dem wir sorgfältig abwägen müssen, wo wir ansetzen. Doch ein erfolgreiches Gerichtsverfahren kann nachhaltige Veränderungen bewirken: Wenn Gerichte bestätigen, dass bestimmte Praktiken rechtswidrig sind, muss auch die Politik handeln.

Klagen im Tierschutz sind mehr als juristische Verfahren – sie sind Werkzeuge des Wandels. Zwei Beispiele zeigen, wie das funktioniert.

Das Kükentöten-Urteil: Leben vor Profit

Bei diesem Urteil ging es im Kern um die Frage nach dem »vernünftigen Grund«, der es laut § 1 des Tierschutzgesetzes rechtfertigt, einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen. Ein solcher Grund ist nach Meinung der meisten Menschen die Herstellung von Lebensmitteln – aber zählen auch rein wirtschaftliche Abwägungen?

Bei der Zucht moderner »Hochleistungs-Legehennen« werden die männlichen Küken aussortiert, da sie weder Eier legen, noch das schnelle Wachstum der Mastrassen aufweisen – aus ökonomischer Sicht sind sie wertlos. Bis vor wenigen Jahren tötete man die etwa 45 Millionen Tiere pro Jahr routinemäßig noch am Tag des Schlüpfens: entweder mit einem sogenannten Homogenisator (einer Maschine mit schnell rotierenden Messern) oder durch Kohlendioxid, was einen qualvollen Erstickungstod bedeutet.

Bereits 2013 hatte das Land Nordrhein-Westfalen entschieden, dass diese wirtschaftliche Wertlosigkeit eben kein »vernünftiger Grund« sei, jedes Jahr Millionen Tiere zu töten. Dagegen klagten zwei Brütereien, die in den ersten beiden Instanzen sogar Recht bekamen. Glücklicherweise beantragte das Land NRW erneut Revision, sodass der Fall schließlich in höchster Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht landete. Unser ehemaliges Vorstandsmitglied Hans-Georg Kluge vertrat in seiner Rolle als Rechtsanwalt (als einer von mehreren Anwälten) das Land NRW und argumentierte erfolgreich für die Tiere.

Das Bundesverwaltungsgericht traf im dem Fall 2019 ein wegweisendes Urteil:

  • Das routinemäßige Töten männlicher Küken in der Legehennenzucht aus rein wirtschaftlichen Gründen ist kein »vernünftiger Grund« im Sinne des Tierschutzgesetzes. Das Gericht begründete dies auch damit, dass die Aufnahme des Tierschutzes in die Verfassung (§ 20a Grundgesetz) im Jahr 2002 die Bedeutung des Tierschutzes gestärkt hat. Erstmals erkannte ein Gericht an, dass die Verfassungsänderung ein Zeichen gewandelter gesellschaftlicher Wertvorstellungen war.

  • Dass Tierschutz Verfassungsrang hat, bedeutet auch, dass er gegen andere grundgesetzlich geschützte Rechte – zum Beispiel die Berufsfreiheit der Brütereibetreiber – abgewogen werden muss und diesen nicht etwa untergeordnet ist.

  • Zudem stellte das Gericht deutlich heraus, dass sich aus dem Tierschutzgesetz der Schutz des Lebens und nicht nur der Schutz des Wohlergehens der Tiere ergibt. Das hatte Gerichte bisher kaum beachtet.

Dieses Urteil war ein Durchbruch für den Tierschutz und veränderte das Bewusstsein in Rechtsprechung, Politik und Gesellschaft. 2022 verbot der Gesetzgeber das routinemäßige Töten der männlichen Legehennen-Küken. Und auch wenn die Tierindustrie derzeit Schlupflöcher nutzt – etwa indem sie Küken im Ausland töten lässt – hat das Kükenurteil den Tierschutz in Deutschland um einen riesigen Schritt vorangebracht. 2021 folgte Italien dem deutschen Beispiel.

Die Putenklage: Gängige Haltung vor Gericht

Ähnliches erhoffen wir uns von einem weiteren Fall: Im Jahr 2015 dokumentierten Stallfilmer:innen tierschutzwidrige Zustände in einem Putenmastbetrieb. Der Betrieb hielt die Tiere entsprechend der freiwilligen Haltungsvorgaben der Putenmastbranche – das zuständige Veterinäramt stufte sie daher als »gute Putenhaltung« ein. Dagegen klagte der Verein Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg mit unserer Unterstützung. Unser Ziel: die übliche Praxis der Putenmast in Deutschland, für die dieser Betrieb exemplarisch steht, als rechtswidrig einstufen zu lassen.

Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim in zweiter Instanz gab uns 2024 in wichtigen Punkten Recht:

  • Die praktizierte Haltung verstößt gegen das Tierschutzgesetz. In Ställen mit tausenden Tieren ohne Rückzugsmöglichkeiten, ohne Strukturierung und Beschäftigungsmöglichkeiten sei artgerechtes Verhalten schlicht unmöglich. Besonders beanstandete das Gericht, dass die Tiere keine Möglichkeit haben, sich ihrer Natur gemäß zum Schlafen und Ruhen auf erhöhte Bereiche mit Sitzstangen zurückzuziehen (das sogenannte »Aufbaumen«). Aber auch Probleme wie Beschädigungspicken durch Beschäftigungs- und Bewegungsmangel, Fußballenprobleme durch feuchte Einstreu, vermindertes Wohlbefinden durch Gefiederverschmutzung und Wundliegen sind für das Gericht unstrittig.
    Das Gericht machte zudem unmissverständlich klar, dass die freiwilligen Haltungsvorgaben der Tierindustrie als Maßstab für art- und bedürfnisgerechte Tierhaltung völlig ungeeignet sind.

  • Das Gericht verpflichtete das zuständige Veterinäramt, die Putenhaltung in dem fraglichen Betrieb neu zu bewerten und Verbesserungen anzuordnen – unabhängig davon, ob das die Wirtschaftlichkeit der Putenmast beeinflusst. Damit stellte auch der Verwaltungsgerichtshof Mannheim das Wohlergehen der Tiere über die wirtschaftlichen Interessen des Putenmastbetriebs. Die logische Konsequenz aus dem Urteil ist, dass die gängige Putenhaltung systematisch gegen das Tierschutzgesetz verstößt.

Dennoch haben wir Revision beantragt, da wir weiter reichende Klärungen erreichen wollen – etwa in Bezug auf das Schnabelkürzen oder Qualzucht bei Puten, da der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in diesen Punkten nicht unserer Argumentation folgte. Auch das beklagte Veterinäramt hat Revision beantragt, die im Februar 2025 zugelassen wurde. Nun geht es in dritter Instanz weiter. Mit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts rechnen wir im Laufe des Jahres 2026.

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