Wegweisendes Urteil zur Putenmast erwartet
Am Donnerstag, dem 7. März, von 9:15 Uhr bis 10:15 Uhr machen Tierschutzorganisationen vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim mit einer Mahnwache auf das Leid von Puten in der Mast aufmerksam. Ab 10 Uhr verhandelt nämlich das Gericht die Klage des Vereins Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg gegen das Land Baden-Württemberg. Die Entscheidung in diesem Prozess könnte weitreichende Konsequenzen haben: Es geht auch darum, ob die in Deutschland praktizierte Putenmast aufgrund von Qualzucht und Haltungsbedingungen per se als tierquälerisch anzusehen ist.
Der Termin im Überblick
Was: Mahnwache vor dem Gericht, u. a. mit zwei übermannshohen Puten-Figuren
Wann: Donnerstag, 7. März 2024, 9:15 bis 10:15 Uhr
Wo: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Schubertstraße 11, 68165 Mannheim
Pressekontakt vor Ort: Diana von Webel, Tel: +49 30 400 54 68-15 (Diese Nummer ist auch mobil erreichbar.)
Worum geht es vor Gericht?
Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg e. V. hatte 2017 mit Unterstützung der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt Verbandsklage erhoben, weil das Veterinäramt Schwäbisch-Hall im Fall eines Putenmästers keinen Anlass zum Einschreiten sah. Zwar geht es damit vor dem Verwaltungsgerichtshof vordergründig um einen konkreten Fall. Da die konventionelle Putenmast in Deutschland aber immer unter ähnlichen Bedingungen stattfindet, kann die Einschätzung des Gerichts zu Haltungsbedingungen, Qualzucht und zur Haltung qualgezüchteter Tiere Auswirkungen für die gesamte Branche haben. Menschen für Tierrechte und die Albert Schweitzer Stiftung setzen auf ein Präzedenzurteil.
Die Klage befindet sich mittlerweile in der Beweisaufnahme in zweiter Instanz und ist damit die am weitesten gediehene Verbandsklage einer Tierschutzorganisation in Deutschland. Am Donnerstag wird sich das Gericht Zeit für das Gutachten eines eigens bestellten Sachverständigen sowie für die Stellungnahme eines von klagender Seite beauftragten Privatgutachters nehmen.
Putenmast: Qualzucht und Qualhaltung
In Deutschland werden zur Mast überwiegend schwere Hypridputen (Kreuzungen) verwendet. Ein Hahn der häufigsten Linie »B.U.T. 6« legt innerhalb von 21 Wochen etwa 22,5 kg zu, eine Henne wiegt nach 16 Wochen mehr als 11 kg. Die Brustmuskulatur macht bei diesen Tieren schließlich mehr als ein Drittel des gesamten Körpergewichts aus – das ist von der Industrie so gewollt, weil Brustfleisch bei Verbraucher:innen besonders beliebt ist. Die Tiere sind durch ihre Körpermasse in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt, können sich kaum putzen und bekommen schwere gesundheitliche Probleme, von Oberschenkelbrüchen bis hin zu Herzversagen.
In den konventionellen Ställen leben jeweils tausende Tiere. Bis zu fünf weibliche oder drei männliche Tiere teilen sich dabei einen Quadratmeter. Ausläufe, Beschäftigung, erhöhte Bereiche oder andere Möglichkeiten zum Ruhen gibt es nicht. Sie könnten von den krankgezüchteten, schwerfälligen Tieren auch kaum genutzt werden – ein artgemäßes Verhalten ist unter diesen Umständen undenkbar.
Hinzu kommt: Um schwere Verletzungen durch Aggressionen und Verhaltensstörungen wie Federpicken und Kannibalismus zu verringern, werden den Mastputen routinemäßig die Schnabelspitzen kupiert. Eigentlich ist das laut Tierschutzgesetz nur in Ausnahmefällen erlaubt und wird zum Beispiel bei Legehennen schon lange nicht mehr praktiziert. Wenn jedoch die Putenmast ohne Schnabelkürzen nicht möglich ist, ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass die Haltungsbedingungen und Zuchtmerkmale nicht tierschutzkonform sind, argumentieren Menschen für Tierrechte und Albert Schweitzer Stiftung.
Zur Vorgeschichte: Verbandsklage mit Hindernissen
Menschen für Tierrechte hatte 2017 beim zuständigen Veterinäramt beantragt, gegen die Zustände bei einem Putenmäster im Kreis Schwäbisch-Hall einzuschreiten. Stallfilmer:innen hatten bei diesem zuvor nach eigener Einschätzung tierschutzwidrige Zustände dokumentiert. Das Veterinäramt sah jedoch keine Notwendigkeit zu handeln, da es sich um eine »gute Putenhaltung« handle. Deshalb reichte der Verein 2017 eine Untätigkeitsklage gegen den Landkreis beim Verwaltungsgericht Stuttgart ein.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart wies die Klage mit der Begründung ab, der Verein hätte alle Informationen, auch die Identität der Stallfilmer, offenlegen müssen – eine Rechtsauffassung, die die Arbeit zukünftiger Informant:innen extrem erschweren würde. 2019 ließ der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart zu und entschied 2021 durch ein Zwischenurteil, dass die ursprüngliche Klage zulässig ist. Die Berufung wird nun am Donnerstag in Mannheim verhandelt.
Update vom 7. März
Heute haben rund 35 Tierschützer:innen vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim auf die tierschutzwidrigen Bedingungen in der Putenmast aufmerksam gemacht. Das Ergebnis der Verhandlung wird morgen erwartet.
Fotos der Aktion finden Sie hier (Fotograf: Thomas Pirot).