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Biodiversität: Agrarwende ist überfällig

Etwa 8 Millionen Arten von Lebewesen tummeln sich Schätzungen zufolge auf der Erde. Den Großteil von ihnen hat der Mensch noch gar nicht entdeckt – und trotzdem sorgt er für ihr Verschwinden. Denn das Aussterben vieler Arten und die Zerstörung ganzer Ökosysteme steht in direktem Zusammenhang damit, wie wir Lebensmittel produzieren.

Was sind Biodiversität und Artensterben?

Biodiversität beschreibt nicht nur die Vielfalt der Arten, sondern auch die der Ökosysteme, in denen sie leben, sowie die Vielzahl der Genvarianten innerhalb der Arten (die deren Anpassungsfähigkeit sichert). Die komplexen Beziehungen zwischen den Organismen, den verschiedenen Lebensräumen, dem Klima und anderen Faktoren befinden sich dabei in einem teils empfindlichen Gleichgewicht.

Dieses Gleichgewicht ist im Zeitalter des Menschen bereits ziemlich ins Wanken geraten. Besonders greifbar wird dies darin, dass wir derzeit das vielleicht größte Artensterben seit den Dinosauriern beobachten: Täglich verschwinden bis zu 150 Arten, warnen Naturschutzverbände. Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) erstellte 2019 erstmals einen globalen Bericht zu Biodiversität und Ökosystemleistungen. Darin stellt er fest: In den meisten Land-Lebensräumen sank die Zahl der Arten seit 1900 im Mittel um mindestens 20 Prozent. Derzeit sind rund eine Million Arten akut vom Aussterben bedroht.1

Biodiversität, braucht man das?

Die biologische Vielfalt sichert das Überleben auf der Erde: Es gibt Organismen, die Sauerstoff erzeugen, Böden fruchtbar machen, Pflanzen bestäuben, Wasser und Luft reinigen oder Schädlinge und Krankheiten in Schach halten. So sorgen z. B. Bienen und andere Insekten dafür, dass sich viele Pflanzen überhaupt vermehren können – 75 % der Nahrungspflanzen für Menschen sind auf Tiere (überwiegend Insekten) zur Bestäubung angewiesen.2 Auch Ökosysteme wie Wälder sind unverzichtbar: Sie regulieren das Klima, produzieren Sauerstoff, filtern Wasser und speichern Kohlendioxid. Diese »Arbeit« ist möglicherweise unersetzbar.

Das Verschwinden einer Art hat also immer ganz konkrete – unter Umständen dramatische – Folgen für andere Organismen und den gemeinsamen Lebensraum. Was genau passiert, wenn diese oder jene Art verschwindet, lässt sich dabei kaum vorhersagen. Doch je größer die biologische Vielfalt, desto besser können Störungen kompensiert werden, um die Welt, so wie wir sie kennen, zu erhalten.

Die Vielfalt der Natur ist für uns Menschen schließlich auch Lebensqualität: Wir nutzen sie zur Erholung, als Inspiration oder erforschen sie. Natur ist ein immaterieller Reichtum und ihr Schutz ist, wie auch der Tierschutz, in Deutschland ein Staatsziel. Verlieren wir diesen Reichtum, ist der Verlust unumkehrbar.

Der Mensch gestaltet den Planeten

Obwohl Menschen also auf ein intaktes ökologisches Gleichgewicht angewiesen sind, ist das immense Artensterben unserer Zeit und der Verlust ganzer Ökosysteme eine direkte Folge menschlichen Handelns. Drei Viertel der Naturräume an Land und zwei Drittel der Meere wurden bereits erheblich durch den Menschen verändert, so der Weltbiodiversitätsrat.3

Ein überwiegender Teil der Naturnutzung durch den Menschen dient seiner Ernährung, vor allem durch Landwirtschaft. In der Landwirtschaft ist wiederum die Tierhaltung bestimmend: Laut Zahlen des Umweltbundesamts von 2013 werden über 90 % aller landwirtschaftlich genutzten Flächen als Weiden und für den Anbau von Tierfutter genutzt. Das sind etwa 34 % der gesamten Erdoberfläche.4 Auch ein großer Teil des Pflanzenanbaus dient also der Erzeugung von Tierprodukten. Die moderne, intensive Landwirtschaft nimmt dabei jedoch kaum Rücksicht auf Ökosysteme, Arten- oder Genvielfalt.

Intensive Landwirtschaft zerstört Naturvielfalt

Der Weltbiodiversitätsrat macht fünf hauptsächliche Gründe für Naturzerstörung und den Verlust von Biodiversität aus. Darin spielen Landwirtschaft und Tiernutzung jeweils eine mal größere, mal kleinere Rolle:

1.) Der wichtigste Grund: Für die Nutzung von Land und Wasser verändert und zerstört der Mensch wertvolle Ökosysteme wie Wälder und Feuchtgebiete. Der größte Treiber ist die Landwirtschaft. Daneben spielt zwar auch der Bau von Städten, Straßen usw. eine Rolle. In Deutschland nutzt die Landwirtschaft jedoch z. B. mehr als 50 % der Fläche des Landes. Weltweit gehen 80 % der Entwaldung auf die Umwandlung in Agrarflächen zurück.5 Vom tropischen Regenwald, dem Ort der größten Biodiversität auf dem Planeten, wurden zwischen 1980 und 2000 100 Mio. Hektar zerstört – etwa 42 Mio. Hektar davon allein für Rinderweiden.6

Landwirtschaftlich geprägte Landschaften können zwar auch Artenreichtum fördern, z. B. in Form von Streuobstwiesen. Für eine moderne, profitorientierte Bewirtschaftung wurden die Felder jedoch immer größer und Feldsäume, Gehölzinseln und andere Rückzugsräume und »Brücken« für wilde Arten seltener. Viele Nahrungs- und Futterpflanzen werden zudem als Monokulturen angebaut. In solchen Agrarwüsten fühlen sich nur wenige Tiere und Pflanzen wohl. Monokulturen sind auch anfälliger für Störungen wie Krankheiten oder Fraßfeinde. Zudem sind es die immer gleichen neun Arten, die 66 % der landwirtschaftlichen Flächen belegen: Zuckerrohr, Mais, Reis, Weizen, Kartoffeln, Soja, Ölpalmen, Zuckerrüben und Maniok.7

Durch die dauerhafte maximale Ausbeutung, z. B. durch Monokulturen oder Überweidung, und fehlende Regenerationsmöglichkeiten verschlechtert sich der Zustand der Böden zunehmend. Die sogenannte Bodendegradation ist ein immenser Schaden für Ökosysteme.

Ökosysteme können aber auch durch einen Überschuss an Nährstoffen aus dem Gleichgewicht geraten. So reichern z. B. landwirtschaftliche Dünger und Gülle aus der Tierhaltung die Böden und Gewässer mit Stickstoff an, was z. B. viele auf Mangelverhältnisse angepasste Arten verdrängt.

2.) Durch die Nutzung von Organismen, z. B. für die Landwirtschaft, durch Abholzung, Jagd oder Fischerei, beeinflusst, verändert und zerstört der Mensch ganz direkt Pflanzen- und Tierarten. So sind exotische Reptilien durch den internationalen Wildtierhandel bedroht, Arten wie die Wandertaube ausgerottet und 33 % der weltweiten Fischbeständen überfischt.8 In mehreren Meeresgebieten sind die genutzten Fischbestände bereits fast vollständig kollabiert.9

Im Hinblick auf die genetische Vielfalt ist es zudem problematisch, dass nur noch wenige Hochleistungsrassen und -sorten in der Landwirtschaft genutzt werden. Diese sind oft anfälliger, z. B. für Krankheiten. Mit alten Tierrassen und Pflanzensorten gehen wichtige genetische Merkmale verloren, die zumindest die Überzüchtung in der Tierhaltung umkehren könnten. So sind z. B. Hühner für die Mast auf enormes Wachstum gezüchtet. Ihr Leiden kann nicht allein durch eine Veränderung der Haltungsbedingungen vermindert werden.

3.) Die dritte wichtige Ursache menschlicher Naturzerstörung ist die menschengemachte Klimaerhitzung. Sie gefährdet viele Ökosysteme und Arten durch die veränderten Klimabedingungen. Der Anteil der Tierhaltung an den weltweiten Treibhausgasemissionen wird je nach Quelle auf 15 bis 51 % geschätzt.

Gleichzeitig befeuert der Verlust der Biodiversität die Klimakrise, z. B. weil Menschen Wälder und Feuchtgebiete zerstören, die das Klima regulieren helfen.

4.) Auch die Umweltverschmutzung verändert Ökosysteme und erschwert Arten das Überleben. Das sind nicht nur Plastikabfälle, die zu Todesfallen für Meerestiere werden. Jährlich werden auch 300 bis 400 Millionen Tonnen Schwermetalle, Lösungsmittel, toxische Schlämme und andere Abfälle aus Industrieanlagen in die Gewässer der Welt gekippt.10

Hinzu kommen landwirtschaftliche Pestizide wie Glyphosat und Neonikotinoide. Sie vernichten nicht nur Fraßfeinde, sondern oft auch Pflanzen und Tiere drumherum und sind so für den dramatischen Rückgang an Insekten verantwortlich. Pestizide lagern sich nachweislich auch z. B. in Seesedimenten ab und vergiften Ökosysteme dadurch langfristig.

Insekten sind die artenreichste aller Tiergruppen und auch an der Bodenbildung und Bodenfruchtbarkeit beteiligt. Das Insektensterben ist symptomatisch für den gesamten Verlust der Biodiversität, schreibt die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina: In Teilen Deutschlands und Europas sind Landinsekten in den letzten Jahrzehnten um 40 bis 80 % in ihrer Biomasse und um 30 bis 40 % in ihrer Artenzahl zurückgegangen. Am Insektensterben leiden wiederum andere Arten, wie z. B. Vögel. So sind in den Agrar- und Graslandschaften Europas und Nordamerikas die Vogelbestände seit 1970 im Durchschnitt um 30 bis 45 %, teils bis zu 90 %, zurückgegangen.11

5.) Eingeschleppte Arten, Neobiota genannt, wurden vom Menschen z. B. als Nutzpflanzen, als »Jagdwild«, für die Pelzzucht, als Schädlingsbekämpfer oder als blinde Passagiere im weltweiten Handel in fremde Ökosysteme eingeführt. Sie treten dort in Konkurrenz zu den vorhandenen Arten und können diese verdrängen, vernichten oder auch deren Genpool durch Einkreuzungen verändern.

Die Folgen: Von Armut bis Zoonosen

Der Weltbiodiversitätsrat warnt, dass die biologische Vielfalt unter den aktuellen Bedingungen immer weiter schrumpfen wird. Das macht es nicht nur immer schwerer die Erderhitzung aufzuhalten, sondern gefährdet auch die Erreichung von 80 % der UN-Nachhaltigkeitsziele, die eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen sichern sollen.12 Dazu zählen z. B. auch die Beseitigung von Armut und Hunger sowie die Sicherstellung von Gesundheit und Trinkwasser.

Aktuell besonders relevant ist die Gefahr von Zoonosen, also Krankheitserregern, die von Tieren auf Menschen überspringen, wie z. B. das neuartige Coronavirus. Zoonosen sind eine Folge der Schrumpfung natürlicher Lebens- und Rückzugsräume von Wildtieren. Die führt dazu, dass es immer mehr Kontakte zwischen Menschen und Wildtieren gibt. Das Pandemierisiko kann jedoch mit den gleichen Maßnahmen gemindert werden, die auch gegen den Biodiversitätsverlust notwendig sind, stellt der Weltbiodiversitätsrat in einem eigenen Bericht zu Biodiversität und Pandemien fest.

Vegan ist besser, auch für die biologische Vielfalt

Wie so oft, sind die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen aus den vorliegenden Erkenntnissen noch unzureichend. So einigten sich 2010 im japanischen Aichi zwar 150 Staaten auf 20 Ziele für das Jahr 2020, die zum Schutz der Biodiversität beitragen sollten. Sie wurden bis 2019 von 196 Staaten ratifiziert, auch von Deutschland. Keines der Ziele wurde jedoch bislang erreicht.13

Um Natur zu erhalten, wiederherzustellen und künftig nachhaltig zu nutzen, braucht es dringend einen umfassenden Wandel, mahnt der Weltbiodiversitätsrat. Wirtschaftliches Wachstum dürfe nicht länger das zentrale Paradigma sein, sondern Nachhaltigkeit.14 Zur Massentierhaltung äußert sich der Weltbiodiversitätsrat zwar nur zurückhaltend. Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina spricht sich dafür umso eindringlicher für eine Reduktion des Fleischkonsums aus und setzt sie auf Platz eins ihres Maßnahmenkatalogs gegen den globalen Biodiversitätsverlust.

Die Leopoldina argumentiert anhand einiger aktueller Zahlenbeispiele, dass die Herstellung von Tierprodukten schlicht zu ineffizient ist, um damit nachhaltig zu wirtschaften: Obwohl ihre Produktion etwa 80 % aller landwirtschaftlichen Flächen belegt, liefern Fleisch und Milch nur 18 % der globalen Nahrungsmittelkalorien. Und in der EU gehen 50 % der Ernte ins Tierfutter sowie weitere 15 bis 20 % in die Energie- und Treibstoffproduktion.15

Gleichzeitig sind Kosten – z. B. Waldrodungen, Klimakatastrophen, Überfischung – und Nutzen der Tierindustrie weltweit ungerecht verteilt. So stellen die OECD-Staaten, die Europäische Union und Russland zusammen nur 20 % der Weltbevölkerung, verbrauchen aber 40 % der Weltfleischproduktion.16

Ernährungsumstellung sichert Biodiversität, Klimastabilität und Welternährung

Die Leopoldina mahnt: Da die Weltbevölkerung weiter wächst und der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch steigt, werden bis zum Jahr 2050 sechs Millionen Quadratkilometer neue Agrarflächen benötigt, eine Fläche so groß wie Europa – wenn sich nichts ändert. Schon die Reduktion des Fleischkonsums um 30 % allein in den OECD-Staaten würde hingegen 300.000 Quadratkilometer Ackerland freisetzen. Zwei- bis dreimal so viel, wie es in Deutschland überhaupt gibt.17

Aus Umwelt- und Klimaschutzgründen, aber auch weil gesundheitlich viel dafür spricht, plädieren Wissenschaftler:innen inzwischen dringend dafür, dass die Menschheit ihren Konsum von Tierprodukten deutlich reduzieren muss. Aus diesem Grund wurde z. B. die »Planetary Health Diet« entwickelt. Demnach müsste in Europa u. a. der Konsum von Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten und Nüssen erhöht und der Konsum von Fleisch um 70 bis 80 % gesenkt werden, um dem Planeten nicht weiter zu schaden. Dabei gilt natürlich: Je weniger, desto besser. Einigen Berechnungen zufolge wäre die vegane Ernährung sogar die einzige Chance, die Ressourcen unseres Planeten fair und nachhaltig zu nutzen.

Wir bieten Ihnen mit unserer Vegan Taste Week kostenlose Tipps, wie sie sich ohne Tierprodukte vollwertig und genussvoll ernähren.

(jw)


  1. Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) 2019: Summary for policymakers of the global assessment report on biodiversity and ecosystem services. Bonn, S. 11 f.  

  2. Ebd., S. 10.  

  3. Ebd., S. 11.  

  4. Umweltbundesamt 2013: Globale Landflächen und Biomasse nachhaltig und umweltschonend nutzen. Dessau-Roßlau, S. 12.  

  5. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2020: Globale Biodiversität in der Krise – Was können Deutschland und die EU dagegen tun? Diskussion Nr. 24, Halle (Saale), S. 10.  

  6. Gibbs, H. K. / Ruesch, A. S. / Achard, F. / Clayton, M. K. / Holmgren, P. / Ramankutty, N. / Foley, J. A. 2010: Tropical forests were the primary sources of new agricultural land in the 1980s and 1990s. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), S. 2.  

  7. Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) 2019: The State of the World’s Biodiversity for Food and Agriculture. FAO Commission on Genetic Resources for Food and Agriculture Assessments. Rom, S. 114.  

  8. IPBES 2019, S. 24, 28.  

  9. Leopoldina 2020, S. 8.  

  10. IPBES 2019, S. 28.  

  11. Leopoldina 2020, S. 8.  

  12. IPBES 2019, S. 15.  

  13. Ebd., S. 33 ff.  

  14. Ebd., S. 39 ff, 19.  

  15. Leopoldina 2020, S. 11.  

  16. Ebd., S. 11.  

  17. Ebd., S. 11 f. 

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