Die Antibiotikalüge

Antibiotika, Petrischale
Antibibiotika © dondoc – Fotolia

Zum ersten Mal hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Zahlen zum Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin veröffentlicht. Im Jahr 2011 wurden 1.734 Tonnen Antibiotika von Pharmaunternehmen an Tierärzte geliefert. Diese Zahl belegt, dass deutsche Tierarzneimittelhersteller die Öffentlichkeit über die Abgabemengen von Antibiotika getäuscht haben:

Laut dem Bundesverband für Tiergesundheit (BfT), dem Interessenverband deutscher Pharmaunternehmen für Tierarzneimittel, fließen mehr als 90% der in der Tiermedizin eingesetzten Antibiotika in die »Nutztierhaltung«. 90% von 1.734 Tonnen ergibt 1.561 Tonnen. Doch noch im Januar diesen Jahres behauptete der BfT-Geschäftsführer, dass in den deutschen Tierställen »nur« 900 Tonnen Antibiotika eingesetzt wurden.

Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts in Berlin sterben schon jetzt auf Grund sich häufender Antibiotikaresistenzen jährlich 15.000 Menschen in Deutschland. Diese Resistenzen entstehen fast automatisch bei zunehmendem Antibiotikagebrauch, da Krankheitserreger so die Chance bekommen, sich auf die Medikamente einzustellen. Besonders leicht können die Resistenzen entstehen, wenn Antibiotika (illegal) niedrig dosiert über einen längeren Zeitraum eingesetzt werden.

Dr. Hermann Focke, langjähriger Veterinäramtsleiter im Oldenburger Münsterland, ist ein intimer Kenner der Materie, denn die Region, in der er tätig war, hat die höchste »Nutztierdichte« in ganz Europa. Laut Dr. Focke gehört der oben beschriebene illegale Antibiotikaeinsatz in der Agrarindustrie zur Routine. In seinem 2010 erschienenem Buch »Die Natur schlägt zurück – Antibiotikamissbrauch  in der intensiven Nutztierhaltung und Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt« dokumentiert Focke Fakten, Hintergründe und Verbundsysteme der heutigen agrarindustriellen »Tierproduktion«. Er schreibt:

Antibiotika als »Leistungsförderer«, auch »Masthilfsmittel« genannt, waren in Deutschland noch bis Ende 2005 für die Tiermast zugelassen. In subtherapeutischen Dosierungen  angewendet, dienten sie dazu, die tägliche Zunahme der Tiere zu erhöhen und so eine Gewinnmaximierung zu erreichen. Da sich jedoch zunehmend Resistenzen bildeten, trat 2006 ein EU-weites Verbot für Leistungsförderer in Kraft. Infolge dieses Verbots hätten die Abgabemengen von Antibiotika zwangsläufig sinken müssen.

Doch die Zahlen sanken nicht. Im Jahr 2005 wurden nach Angaben des BfT 784,4 Tonnen Antibiotika an »Nutztiere« verfüttert. Ab dann weigerte sich die Agrarindustrie, Zahlen zu veröffentlichen. Doch Focke wies in seinem Buch nach, dass die Antibiotikaumsätze weiter stiegen. Diese Recherchen und die folgende zentrale Erfassung brachten den Bundesverband für Tiergesundheit unter Zugzwang, wodurch er für 2011 zum ersten Mal von 900 Tonnen sprach, aber damit nur einen kleinen Teil der Wahrheit (mehr als 1.561 Tonnen) aussprach.

Vor diesem Hintergrund irritiert die Reaktion der Agrarindustrie auf die veröffentlichten Zahlen: »Der Deutsche Bauernverband wertet die Zahlen als  Beleg für den verantwortungsvollen Umgang der Landwirte und Tierärzte mit den antibakteriellen Arzneien.«

Es bleibt festzuhalten:

  • Trotz des Verbots, Antibiotika als Masthilfsmittel zu verwenden, hat sich der Antibiotikaverbrauch der Agrarindustrie in letzten sieben Jahren verdoppelt.
  • Die Agrarindustrie hat dazu zuerst geschwiegen, dann gelogen und zum Schluss alles beschönigt.
  • 15.000 Menschen sterben jedes Jahr an antibiotikaresistenten Krankheitserregern.

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Da die gängige Form der industriellen Tierhaltung ohne den massiven Einsatz von Antibiotika nicht möglich ist, darf man sich wundern, warum die Bundesregierung noch immer nicht die Abkehr von diesen »modernen Haltungsformen« eingeleitet hat. Diese Abkehr können Sie aber selbst in die Hand nehmen: durch Ihre Ernährung und Ihr Handeln.

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