Paleo: die Steinzeiternährung
»Paleo« beschreibt eine Ernährungsform, die sich am vermuteten Speiseplan der Menschen aus der Zeit des Paläolithikums, also der Altsteinzeit bis vor rund 10.000 Jahren ohne Ackerbau und Viehzucht, orientiert. Da zu dieser Zeit weder Getreide noch Milchprodukte angebaut bzw. hergestellt wurden, werden diese beiden Lebensmittelgruppen bei der Paleo-Ernährung vom Speiseplan gestrichen und gelten als schädlich. Deshalb wird ebenfalls auf Zucker, stark verarbeitete Fette und künstliche Zusatzstoffe verzichtet. Hülsenfrüchte gelten in der Paleo-Ernährung ebenso wie Getreide, Milch und stark Verarbeitetes als schlecht verträglich und werden nicht verzehrt. Erlaubte Nahrungsmittel sind hingegen Gemüse, Obst, Nüsse und Samen, Fleisch aus Weidehaltung oder Wildfleisch, Fisch aus Wildfang, Freilandeier sowie gewisse Fette, z. B. Olivenöl und Butterschmalz. Außerdem wird beim Konsum von tierlichen Produkten auf Nachhaltigkeitsaspekte wie Weide- bzw. Freilandhaltung und Grasfütterung geachtet, jedoch weniger aus Tierschutzgründen als vielmehr wegen der »Natürlichkeit« und Qualität der enthaltenen Nährstoffe.
Der Blog Paleo 360 fügt hinzu: »Paleo [orientiert sich] an der ursprünglichen Ernährung der Jäger und Sammler, ahmt diese mit den heute verfügbaren Lebensmitteln nach und setzt einen verstärkten Fokus auf hohe Lebensmittelqualität und Nachhaltigkeit. Die Grundlage der Paleo-Ernährung bilden daher Lebensmittel, die in ähnlicher Form während der etwa 2,5 Millionen Jahre langen Evolution der Gattung Mensch verfügbar waren und die eine ideale Nährstoffversorgung für unseren Organismus bieten.« Es wird deutlich, dass vor allem gesundheitliche Motive zur Umstellung auf die Paleo-Ernährung ausschlaggebend sind: »Mit Paleo kann man langfristig schlank, fit und gesund bleiben, da der menschliche Körper während der 2,5 Millionen Jahre dauernden Evolution genau an diese Lebensmittel angepasst wurde«, heißt es dazu.
Kritik an Paleo
Die Paleo-Ernährung wirft zunächst einige Fragen und berechtigte Kritik auf: Obst und Gemüse, wie wir es heute kennen, liegt längst nicht mehr in der Form vor, wie es vor Millionen von Jahren gewachsen ist. Jede Karotte, die wir im Supermarkt sehen, ist das Ergebnis langer Züchtung hin zum optimalen Ertrag, ansprechender Optik und längerer Haltbarkeit. Auch die Tiere, deren Fleisch als besonders natürlich angepriesen wird, sind heute aufgrund von Züchtung und Domestizierung andere als noch in der Altsteinzeit. Bei praktisch allen »Nutztieren« ist die Zucht stark auf Aspekte wie Milchproduktion, Fleischansatz und Legeleistung ausgerichtet. Die Paleo-Ernährung empfiehlt deswegen Wildfleisch und tierliche Produkte aus Weidehaltung – aber: In der Biohaltung werden fast ausschließlich dieselben Zuchtlinien eingesetzt wie in der Massentierhaltung. Ein besonders deutliches Beispiel sind Legehennen, die fast ausschließlich – ob Käfig- oder Biohaltung – derselben Rasse angehören. Diese Hühner legen rund 300 Eier jährlich – ganz im Gegensatz zu ihren Vorfahren, die nur wenige Male pro Jahr ein Gelege von Eiern zur Fortpflanzung bebrüteten.
Allgemein ist außerdem unklar, warum sich bei der Paleo-Ernährung genau auf die Altsteinzeit berufen wird, denn die Menschheit hat sich über viele Millionen Jahre entwickelt. Außerdem wird davon ausgegangen, dass der Großteil der damaligen Nahrung trotz beginnendem Fleischkonsum und Entdeckung des Feuers rein pflanzlich war, da diese Lebensmittel leichter und risikoloser zu beschaffen waren: Der Begriff »Jäger und Sammler« müsste also eher »Sammler und Jäger« heißen.
Nicht zuletzt unterschied sich die damalige Ernährung deutlich in Abhängigkeit von Ort, Jahrezeit, Jagd- und Sammelfähigkeiten, vorhandenen Werkzeugen usw., sodass es keine allgemeingültige Standard-Version der Paleo-Diät gibt.
Gesundheitsrelevante Kritik wird vor allem bezüglich des hohen Fleischkonsums und der geringen Aufnahme an Kohlenhydraten angemerkt. Außerdem sei die Paleo-Ernährung nicht an die heutige, meist sesshafte Lebensweise des modernen Menschen angepasst, und häufig würden dafür zu viele Kalorien aufgenommen. Ein hoher Konsum von gesättigten Fetten und Eiweißen kann außerdem zur Entstehung von z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen, genauso wie der hohe Konsum von rotem Fleisch u. a. das Darmkrebsrisiko erhöht.
Die kurze Lebenserwartung der damaligen Menschen von geschätzt rund 25 Jahren lässt außerdem daran zweifeln, ob – egal wie das Verhältnis von tierlichen zu pflanzlichen Lebensmitteln tatsächlich war und welche anderen Einflussfaktoren das Leben verkürzten – die damalige Ernährungsweise die wirklich optimale ist, um ein hohes Lebensalter zu erreichen. Als wissenschaftliche Grundlage für ein langes Leben in der heutigen Welt können Erkenntnisse über die Ernährung in der Steinzeit nicht unbedingt dienen. Im Gegenteil – der hohe Fleisch- und Eikonsum ist ein Aspekt der Paleo-Ernährung, der die Risikofaktoren für typische chronische (Alters-)Krankheiten wie hohe Cholesterinwerte und Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigt: Unsere Körper sind nicht dafür gemacht, hohe Mengen an Cholesterin und Fett zu verarbeiten (im Gegensatz zu karnivoren Lebewesen – mehr dazu in diesem Video).
Paleo + Vegan = Pegan?
Immer mehr interessierte Menschen kombinieren Ernährungsstile, so auch bei »peganer« Ernährung, die sich an den Paleo-Grundsätzen orientiert, aber Tierprodukte ausschließt. Übrig bleiben dabei Obst und Gemüse, pflanzliche Fette, Nüsse und Samen. Für Menschen, die Hülsenfrüchte und Getreide nicht gut vertragen, kann dies ein Leitfaden sein, die Ernährung anzupassen. Generell ist jedoch der Verzicht auf sämtliches Getreide und Hülsenfrüchte in Bezug auf die Nährstoffversorgung kritisch zu sehen und nur mit sehr fundiertem Hintergrundwissen über Ernährung praktisch gesund umzusetzen. Gerade in Vollkornprodukten sind wichtige Nährstoffe wie z. B. Zink und B-Vitamine enthalten, die leicht über beispielsweise Vollkornbrot oder Frühstückscerealien wie Haferflocken aufgenommen werden können. Bei Glutenunverträglichkeit stehen zudem viele gesunde glutenfreie Produkte zur Verfügung.
Bezüglich Hülsenfrüchten wird nach vermehrten Konsum, der häufig bei einer Ernährungsumstellung hin zu mehr pflanzlicher Kost stattfindet, oft über Verdauungsprobleme geklagt: Diese lassen jedoch schnell nach, da sich der Körper daran gewöhnt. Die scherzhafte Annahme »Jedes Böhnchen gibt ein Tönchen« sollte daher nicht als gemeingültiges Argument für den kompletten Verzicht auf Hülsenfrüchte gesehen werden. Natürlich sollten aber bei gesundheitlichen Problemen wie diagnostizierten Unverträglichkeiten oder erhöhten Harnsäurewerten die entsprechenden Hülsenfrüchte gemieden werden.
Paleo: Trend mit Zukunft?
Wir können die Paleo-Ernährung zusammenfassend aus drei wesentlichen Gründen nicht empfehlen: Ihre theoretische Fundierung steht auf wackeligen Beinen, es gibt Hinweise, dass sie die Entstehung von typischen chronischen Krankheiten fördert und nicht zuletzt sind Ernährungsformen mit vielen Tierprodukten sowohl aufgrund von ethischen als auch insbesondere von Nachhaltigkeitsaspekten äußerst problematisch. Letzteres kommt vor allem dann zum Tragen, wenn solche Ernährungsregeln von vielen Menschen übernommen werden.