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Für eine Neuorientierung der Landwirtschaft

Wie kaum ein zweites Thema aus dem Bereich der Landwirtschaft ist die Haltung von Tieren zur Nahrungsmittelproduktion in den vergangenen Jahren zu einem äußerst kontrovers diskutierten Dauerthema geworden. Besonders bemerkenswert dabei ist die Vielfalt der beteiligten Interessengruppen und einzelnen Akteure. Dazu gehören Landwirtschaftsverbände, die Lebensmittelindustrie, Politik und Medien sowie Tierschutz-, Tierrechts- und Umweltorganisationen, Gesundheitsverbände und Welternährungsorganisationen. Und Tausende von Menschen, die als besorgte Konsumenten oder auch als Tierliebhaber auftreten – sie alle betrachten die Tierhaltung aus spezifischen Blickwinkeln und bringen sich mit eigenen Argumenten in die Diskussion ein.

Gründe für Debatten

Als Ausgangspunkt der meisten Debatten dienen regelmäßig aktuell aufgezeigte Tierhaltungsmissstände sowie aber auch grundsätzliche Kritiken an vor allem intensiven Haltungsverfahren. Nicht zuletzt bietet speziell die massenhafte Haltung von Tieren reichlich Anlass zur Diskussion, wobei die als zu hoch eingeschätzte Anzahl von in Gruppen gehaltenen Tieren vornehmlich mit Tierschutzfragen diskutiert werden, die als zu hoch eingeschätzte Anzahl der insgesamt in Deutschland und der Welt gehaltenen sowie konsumierten Tiere mit Umwelt-, Gesundheits- und Menschenschutzfragen (z. B. klimaschädliche Emissionen, hoher Futtermittelverbrauch/Veredelungsverluste, Überproduktion, marktzerstörende Exporte und Nahrungsmittelverschwendung etc.).

Tiefere Ursachen

Aus dem Blickwinkel des Tierschutzes kann bezüglich der gegenwärtigen Debatten grundsätzlich Folgendes festgehalten werden: Missstände in der Tierhaltung treten als regelmäßiges Phänomen in Erscheinung. Daher erscheint die Annahme plausibel, dass die Bedingungen für und die Durchführung von »Nutztierhaltung« auf noch grundlegenderen Missständen aufbauen. Vor allem die regelmäßige – individuelle oder strukturell bedingte – Missachtung von bereits im Gesetz vorhandenen Maßstäben kann nebst unzureichenden Vorgaben für das Haltungsmanagement sowie ungenügend etablierten Kontrollstrukturen und -maßnahmen kritisiert werden. Als konkrete negative Beispiele hierfür können allein schon für die erste Hälfte des Jahres 2014 gravierende Missstände in Ferkelzuchtbetrieben oder in Zuliefererbetrieben eines größeren Lebensmittelunternehmens aufgeführt werden.

Mit Recht kritisiert werden können darüber hinaus aber auch gerade die grundlegenden Verstöße gegen das Tierschutzgesetz, die alltäglich, routinemäßig und systembedingt geschehen: Von einer der Art und den Bedürfnissen entsprechenden Unterbringung, Pflege und Ernährung kann etwa bei zu Tausenden in Mastställen gehaltenen Masthühnern und Puten oder von in Kleingruppenkäfigen gehaltenen Legehennen nicht die Rede sein. Wie schlecht die Haltungsbedingungen für die Tiere tatsächlich sind, mag sich auch durch den nach wie vor weit zu hohen, systembedingt notwendigen Einsatz von Antibiotika verdeutlichen.

Und verstümmelnde, routinemäßig durchgeführte Verfahren wie Enthornungen, das Kupieren von Schnäbeln und Schwänzen oder auch die betäubungslose Kastration von Ferkeln sind alles andere als gelegentliche Ausnahmen von der Regel – letztendlich können sie nur als tierschutzwidrige Versuche bezeichnet werden, nicht die Ursachen, sondern die Bedingungen (u. a. Platzmangel aufgrund hoher Gruppen- und Bestandszahlen, fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten) und Symptome (u. a. gestresste und verhaltensgestörte Tiere) eines Haltungsansatzes zu mildern, der die Tiere den Haltungsbedingungen anpasst und nicht umgekehrt die Haltungsbedingungen den Tieren. Nicht vergessen werden sollte hierbei, dass auch schon die Zucht von optimierten Hybrid- oder Hochleistungstieren den Tieren ein oftmals höheres Leid- und Schmerzpotential mit auf den Weg gibt – das Spannungsfeld »Nutztierhaltung« kann nur umfassend diskutiert werden, wenn auch die Zucht (und letztlich auch die Tötung) mit in den Blick genommen werden.

Erste Lösungsvorschläge

Wie kann den hier nur kurz angedeuteten, aber weithin bekannten Missständen entgegengewirkt werden? Zum einen, indem von politischer Seite aus das Staatsziel Tierschutz weitaus entschiedener umgesetzt wird als bisher. Dazu gehören wirklich ernst zu nehmende Novellierungen des Tierschutzgesetzes und der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung sowie die Etablierung effektiver Kontrollstrukturen. Zum anderen, indem sich die vielen Akteure, die sich in das komplexe Diskussions- und Handlungsfeld »Nutztierhaltung« einbringen, weitaus stärker als bisher darum bemühen, von einseitigen Schuldzuweisungen abzukommen und stattdessen nach gemeinsamen Lösungswegen zu suchen. Als positives Beispiel dafür kann der aktuelle Durchbruch beim Thema Schnabelkürzen dienen, der dieser Praxis ab dem 1. Januar 2017 ein Ende setzen soll. Er kam zustande aus einem gelungenen Zusammenspiel zwischen Politik, Wirtschaft und auch Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt. Und auch die sich aus solchen Durchbrüchen ergebenden Herausforderungen – etwa für Betriebe bei der Umstellung – sollten keineswegs als schuldzuweisende Kritik formuliert, stattdessen ebenfalls gemeinsam für einen verbesserten Tierschutz angegangen werden.

Grundsätzliche Neuausrichtung ist anzustreben

Nicht zuletzt gilt es auch, die grundsätzliche Debatte über die Aufgaben und Ziele der Landwirtschaft an sich und dabei auch die – je nach Sichtweise: notwendige oder zu verwerfende – Rolle der Nutztierhaltung konsequenter voranzutreiben. Keineswegs kann es darum gehen, blind romantisierend zu früheren Formen der Landwirtschaft und der Tierhaltung zurückzukehren. Allerdings kann es auch nicht darum gehen, die wirtschaftspolitischen Dogmen einer stetigen Produktionsausweitung und eines billigen Konsums von Tierprodukten aufrechtzuerhalten. Dies gilt besonders dann, wenn diese zwangsläufig und gut sichtbar dazu führen, dass gravierende Tierschutzprobleme auftreten oder Tierschutzverbesserungen in Ställen nicht durchgeführt werden können, da sie sich schlichtweg wirtschaftlich nicht rechnen. Oder aber auch dann, wenn die existenzielle Einkommenssicherung von Landwirten nur noch über Großbestände und stetige Stallerweiterungen sowie auch nur in großer Abhängigkeit von Exporten gewährleistet werden kann.

Beachtet werden sollten zusätzlich die inzwischen vielen und stark untermauerten wissenschaftlichen Erkenntnisse aus den Bereichen Umwelt und Gesundheit, die zu einer drastischen Verringerung der Tierproduktion und des Tierkonsums ermahnen. Sie zeigen zudem auf, dass zumindest in den westlichen Industrienationen ein Konsum von Tieren für eine ausgewogene Ernährung keinesfalls notwendig ist. Daher sollten mitunter genau diese Verringerungen einschließlich des gleichzeitigen, stetigen Ausbaus des Tierschutzes für eine die Zukunft verantwortungsvoll gestaltende Landwirtschaft als Minimalziel formuliert werden.

Zur Umsetzung diese Ziels können etwa strukturelle Ausgestaltungen von flächengebundenen Tierhaltungen und weniger arbeitsteiligen Tierproduktionsprozessen (vor allem zur Vermeidung von zu zeitintensiven Tiertransporten) sowie Subventionszahlungen an Betriebe mit erhöhten Tierschutzstandards und eine Festlegung von Tierhöchstzahlen pro Betrieb in Betracht gezogen werden. Darüber hinaus: die Schaffung von fairen und umsetzbaren Bedingungen und Möglichkeiten, um vor allem pflanzliche Nahrungsmittel für die direkte menschliche Ernährung zu produzieren (zur Vermeidung sog. »Veredelungsverluste«) oder um von der Tierproduktion auf Pflanzenproduktion umzustellen (Umstiegsangebote inkl. finanzieller Kompensationsmaßnahmen und Übergangsbeihilfen zur Senkung des Kostendrucks bei Umstellungen). Und auch die agrarpolitisch positive Bewerbung einer primär pflanzlichen Ernährung auf Verbraucherebene sollte in Betracht gezogen werden.

Nicht nur aus Sicht von Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen ergibt sich aus der Debatte um das Spannungsfeld »Nutztierhaltung« die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Neuorientierung in der Agrarpolitik und Landwirtschaft – eine Neuorientierung, die nur gemeinsam angegangen werden kann und letztlich nicht nur den Tieren zugutekommt.

Dieser Artikel unseres Wissenschaftsressort-Leiters Konstantinos Tsilimekis erschien erstmals am Freitag, den 29. August in der Printausgabe der Agrarzeitung in gekürzter Fassung unter dem Titel »Tierschutz bleibt ein gesellschaftliches Dauerthema« (als Beitrag zum az-Report »Spannungsfeld Nutztierhaltung«).

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