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Kastenstandhaltung für Schweine vor dem Aus?

Im Juni 2013 hat Nordrhein-Westfalen das Gesetz über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine (TierschutzVMG) verabschiedet. Acht Tierschutzverbände sind inzwischen dafür anerkannt. Sie können in tierschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren mitwirken und bei Verstößen gegen das Tierschutzrecht klagen, um die Belange des Tierschutzes in Nordrhein-Westfalen durchzusetzen. Als erste Organisation macht nun Animal Rights Watch e. V. (ARIWA) von den Möglichkeiten des Gesetzes Gebrauch und hat die tierschutzwidrige Haltung von Zuchtsauen in zu engen Kastenständen in sieben Ferkelproduktionsanlagen in sechs Landkreisen Nordrhein-Westfalens gemeldet. Unterstützt wird die Initiative von der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt und der Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz. Der Landkreis Steinfurt hat bereits reagiert und wird auf dem Verwaltungsgerichtsweg dazu Rechtsklarheit schaffen.

IIn den gemeldeten Betrieben werden Sauen in sogenannten Kastenständen gehalten, die lediglich eine Breite von 70 cm oder weniger aufweisen. Eine Kastenstandbreite von 70 cm für Sauen entspricht den Durchführungsbestimmungen der Länder Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, die oft für Genehmigungen in ganz Deutschland herangezogen werden. Die in solchen Kastenständen gehaltenen Zuchtsauen sind jedoch deutlich höher, als die Kastenstände breit sind. Ein Ausstrecken der Gliedmaßen in Seitenlage, wie es in § 24 Abs. 4 Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) gefordert wird, ist den Tieren daher nicht möglich.

ARIWA fordert deshalb ein Eingreifen der Behörden nach § 16a des Tierschutzgesetzes. Um die tierschutzrechtlichen Vorgaben zu erfüllen, sind durch die Veterinärämter Auflagen zu erlassen, die beinhalten, dass die verwendeten Kastenstände mindestens so breit sein müssen, wie die darin gehaltenen Sauen an der höchsten Stelle hoch sind. Mit dieser Forderung bezieht sich ARIWA auf drei Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt (Aktenzeichen 3 M 16/13 vom 17.06.2013 und M 40/13 vom 08.04.2013) und des Verwaltungsgerichts Magdeburg (AZ: 1 A 230/14 MD), wonach die Breite eines Kastenstandes nur dann ausreichend ist, wenn sie mindestens der Höhe (Stockmaß) des Tieres entspricht. »Diese Anpassung der Kastenstände ist in der Praxis die einzige Möglichkeit, die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung zu erfüllen«, betont Jürgen Foß, Agrarreferent von ARIWA. »Derzeit wird in den betroffenen Betrieben eindeutig gegen geltendes Recht verstoßen. Sollten die Behörden nicht eingreifen, werden wir deshalb von unserem Klagerecht Gebrauch machen.«

Der Landkreis Steinfurt hat nun reagiert und den Sachverhalt mit anderen betroffenen Kreisen, dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) und dem Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz erörtert. An einem runden Tisch mit ARIWA, dem Deutschen Bauernverband (DBV) und dem Land Nordrhein-Westfalen soll ein Kompromiss ausgearbeitet werden. Bis auf Weiteres wird der Kreis Steinfurt laufende Bauanträge einfrieren oder eine sich an der Größe der Sauen orientierende Kastenstandbreite fordern. Der ursprüngliche Plan, in einem Musterverfahren auf dem Verwaltungsgerichtsweg Rechtsklarheit zu schaffen, wurde vom Kreis Steinfurt, nach Intervention des DBV, vertagt. Sollte es dabei bleiben, wäre dem Kreis freilich eine Klage der Tierschützer sicher.

Dieser Fall verdeutlicht die Unentbehrlichkeit des Verbandsklagerechts, um Tierschutzbelange durchzusetzen. »Ohne das Verbandsklagerecht wird der bestehende Widerspruch zwischen der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung und den dazu gehörigen Durchführungsbestimmungen niemals aufgelöst«, so Jürgen Foß. Und Mahi Klosterhalfen von der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt ergänzt: »Nicht nur in Nordrhein-Westfalen, in ganz Deutschland werden unzulässige Kastenstände verwendet, die die Vorgaben der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung nicht erfüllen. Dass solche Kastenstände trotzdem genehmigt werden, ist jahrzehntelange gängige Praxis.«

»Wir begrüßen es, dass die Behörden die gemeldeten Missstände ernst nehmen. Die Kastenstandhaltung von Sauen in der Ferkelproduktion zählt generell zu den leidvollsten Auswüchsen der Nutztierhaltung überhaupt«, ergänzt Diana Gevers von der Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz. »Millionen Sauen in Deutschland werden in diesen körpergroßen Käfigen fast die Hälfte ihres Lebens gefangen gehalten. Wenn die Kastenstände dann auch noch zu schmal sind, wie es offenbar gang und gäbe ist, dann bedeutet das zusätzlich großes Leid für die Tiere.«

Nachtrag: Aufgrund von Rückfragen sei noch erläutert, dass eine Neuregelung der Kastenstandbreite dazu führen würde, dass die Kastenstandhaltung sowohl nach unserem Verständnis als auch nach uns überlieferten Aussagen des Bauernverbands unrentabel werden würde. Es würde dann nicht zu einer Haltung in größeren Kastenständen kommen, sondern diese Käfige würden gar nicht mehr genutzt werden. Wir gehen auch davon aus, dass in vielen Fällen die Forderung auf Bestandsschutz juristisch nicht durchsetzbar wäre.

Nachtrag: Das Bundesverwaltungsgericht hat unsere Rechtsauffassung inzwischen bestätigt.

Nachtrag: Das Verbandsklagerecht wurde in Nordrhein-Westfalen von der schwarz-gelben Regierung nicht verlängert, so dass es mit Ablauf des 31. Dezember 2018 außer Kraft getreten ist. Die Klagen, die damals jedoch erhoben wurden als das Verbandsklagerecht noch bestand, sind weiterhin anhängig.

Nachtrag: Am 29.01.2021 wurde die Tierschutznutztierhaltungsverordnung geändert: Die Kastenstandhaltung wird zu einem großen Teil abgeschafft. Allerdings gelten sehr lange Übergangsfristen für bereits genehmigte Anlagen.

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