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Camilla Björkbom: Tierschutz in Schweden

Camilla Björkbom
© Djurens Rätt

Im ersten Teil unserer neuen Interviewserie haben wir Ihnen Paul Shapiro von der Humane Society of the United States vorgestellt. Heute werfen wir einen Blick nach Schweden und sprechen mit Camilla Björkbom, der Präsidentin der ältesten schwedischen Tierrechtsorganisation Djurens Rätt. Camilla Björkbom erläutert unter anderem, welche Ziele Djurens Rätt verfolgt, seit wann sie sich für Tierrechte einsetzt und welche Tierschutzthemen in Schweden gerade aktuell sind.

Interview mit Camilla Björkbom

Camilla, erst einmal vielen Dank dafür, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Du bist die Präsidentin der schwedischen Organisation Djurens Rätt (deutsch: Tierrechte). Wann und warum wurde Djurens Rätt gegründet und was sind die Themen und Ziele der Organisation?

Danke, ich freue mich sehr über das Interview! Djurens Rätt wurde 1882 als Reaktion auf die Durchführung von Tierversuchen gegründet. Wir sind damit die älteste Tierrechtsorganisation in Schweden und wurden übrigens auch von einer Prinzessin aus dem schwedischen Königshaus finanziell unterstützt.

Der Einsatz gegen Tierversuche war für lange Zeit das Hauptthema von Djurens Rätt.
Heute ist das nach wie vor eines unserer größten Anliegen, zusammen mit dem Einsatz gegen Pelzfarmen (es gibt aktuell noch 70 Pelzfarmen in Schweden) und der Arbeit für die sogenannten »Nutztiere«. Wir setzen uns außerdem dafür ein, die vegane Lebensweise zu verbreiten, arbeiten mit pelzfreien Einzelhändlern zusammen und informieren Verbraucher über Produkte, die nicht an Tieren getestet worden sind.

Djurens Rätt hat heute etwa 36.000 Mitglieder. Besonders in den letzten Jahren sind wir gewachsen. Die Vision von Djurens Rätt ist eine Welt, in der alle Tiere als Individuen anerkannt werden, mit dem Recht, ihre eigenen Leben zu leben.

Ihr veranstaltet jedes Jahr eine sogenannte Sommarturné (deutsch: Sommertour). Könntest du uns mehr über diese Kampagne erzählen? Welche anderen Mittel nutzt ihr, um eure Ziele zu erreichen?

In diesem Sommer waren wir zum zehnten Mal in Folge mit der Sommarturné unterwegs. Wir besuchen dabei Festivals, um mit jungen Menschen ins Gespräch zu kommen und neue Mitglieder zu gewinnen.

Ein Ziel der Sommarturné war es schon immer, die vegane Lebensweise zu fördern. Um das zu tun, verteilen wir Broschüren zum veganen Lebensstil und geben Rezepttipps. Wir nutzen die Sommarturné auch, um unsere Kampagnen bekannt zu machen, zum Beispiel unsere Kampagne gegen Pelzfarmen. Während der Tour kommen wir mit tausenden Menschen in Kontakt. Das ist eine großartige Gelegenheit, um Unterschriften gegen Pelzfarmen zu sammeln, über Tierrechte zu informieren und neue Mitglieder zu gewinnen.

Die Tour ist auch ein großartiges Training für unsere Aktivistinnen und Aktivisten. Die Erfahrungen, die sie während der Sommarturné sammeln, können sie für ihre Arbeit in den Regionalgruppen in ihrer Heimat nutzen. Bis zu 200 Freiwillige sind jedes Jahr an der Sommarturné beteiligt, außerdem drei bis vier Hauptamtliche. Wir glauben, dass unsere engagierten Mitglieder die besten Botschafter für Djurens Rätt sind. Die Aktivitäten während der Tour sind auch förderlich für den Zusammenhalt, einerseits von uns als ganzer Organisation, aber auch für uns als Aktivisten.

Öffentlichkeitsarbeit ist nur eine Methode, mit der wir arbeiten. Zwei weitere Themenfelder bei uns sind politische Lobbyarbeit und das Verbraucherbewusstsein. Auch soziale Medien nutzen wir sehr häufig. Besonders erfolgreich ist unser Facebook-Account: Viele Inhalte, die wir dort veröffentlichen, werden anschließend von anderen Medien aufgenommen.

Was waren bisher die größten Erfolge von Djurens Rätt (besonders, was die sogenannten Nutztiere betrifft)?

Eine unserer Hauptkampagnen war es, Legehennen aus den Käfigen zu befreien. Als Zielgruppe haben wir uns dabei auf die Supermärkte konzentriert. Seit dem Beginn der Kampagne im Jahr 2008 haben hunderte Aktivisten Unterschriften von Konsumenten gesammelt, welche die Supermärkte dazu auffordern, Käfigeier aus dem Sortiment zu nehmen.

Der bisherige Zwischenstand ist, dass fünf der großen schwedischen Supermarktketten aufgehört haben, Käfigeier zu verkaufen. Der größte Supermarkt hat bisher keine Käfigfrei-Richtlinie eingeführt, aber trotzdem aufgehört, diese Eier anzubieten. Im Jahr 2008 lebten 2,3 Millionen schwedische Hennen in Käfigen. 2014 ist diese Zahl auf 1,5 Millionen gesunken.

In den letzten Jahren ernähren sich außerdem immer mehr Menschen vegetarisch oder vegan. 4 Prozent der Schweden sind Veganer; vor sechs Jahren waren es erst 2 Prozent. 6 Prozent sind Vegetarier; vor fünf Jahren waren es 4 Prozent. Die meisten Veganer und Vegetarier sind zwischen 15 und 24 Jahre alt. Diese Zahlen stammen aus unserer eigenen Umfrage aus dem Jahr 2014.

Camilla, wann und warum bist du Tierrechtsaktivistin geworden?

Ich habe Tiere immer geliebt, obwohl ich sie gegessen habe. Ich kann mich noch an drei Momente erinnern, die zusammen dazu geführt haben, dass ich mich heute für Tierrechte engagiere. Der erste war ein Sommerurlaub in Israel, als ich 18 Jahre alt war. Ich aß dort zum ersten Mal Falafeln in einem kleinen Straßenrestaurant in Jerusalem und konnte nicht fassen, dass dort kein Fleisch enthalten war. Das war 1995. Später im selben Jahr kam ich von einem Stall, in dem ich mich um ein Pferd kümmerte, nach Hause. Als ich mit einem Hamburger in meiner Hand am Küchentisch saß, dachte ich an das Pferd, das ich niemals essen wollen würde. Im selben Jahr, einen Tag vor Weihnachten, las ich einen Artikel in einer Lokalzeitung. Es ging um Schweine und den Weihnachtsschinken ­– Schinken ist in Schweden ein typisches Weihnachtsessen. Das war der Zeitpunkt, an dem ich schließlich entschloss, Vegetarierin zu werden. Eine Weile später fing ich an, mich auch aktiv für die Tiere einzusetzen.

Welche Rückschläge hast du während deiner Karriere als Aktivistin erlebt und was hast du aus ihnen gelernt?

In meinen frühen Jahren als Aktivistin war ich mit einer lokalen Aktionsgruppe in Kontakt. Ich war zu dieser Zeit vegan, aber ich hörte irgendwann auf, zu den Treffen zu gehen, weil immer nur lang und breit über die Details von Inhaltsstoffen diskutiert wurde. Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, Veganismus als etwas zu fördern, das die bestmögliche Wahl für die Tiere ist; es geht nicht darum, eine Liste von Dingen zu machen, die man als VeganerIn nicht mehr essen kann.

Zum Glück habe ich nur wenige Jahre später meinen Weg zurück zum Tierrechtsaktivismus gefunden. Wir, die Tierrechtsbewegung, werden die Welt verändern. Wir müssen auch Menschen integrieren, die vielleicht noch nicht so weit sind wie wir, und dabei diese starke und kraftvolle Bewegung für die Tiere weiter aufbauen. Manche Menschen entscheiden sich sofort für die vegane Ernährung, manche brauchen etwas mehr Zeit und einige werden sich vielleicht nie dafür entscheiden, aber sie unterstützen trotzdem die Arbeit gegen die Massentierhaltung. Wir brauchen all diese Menschen an unserer Seite.

Ich höre häufig, dass Menschen sagen, Schweden hätte »die besten Tierschutzgesetze der Welt«. Was ist deine Meinung dazu?

Das ist ein typisches Argument, das die schwedischen Politiker anbringen, um die Zustände nicht ändern zu müssen. Auch für die Tierhaltungsindustrie ist das natürlich sehr bequem. Leider glauben viele Schweden daran. Sie wissen zum Beispiel nicht, dass 98 Prozent der schwedischen Schweine nie nach draußen dürfen und dass deren Leben sich nicht wirklich von dem Leben der Schweine in anderen Ländern unterscheidet. Das gilt auch für Hühner. Bei Schweinen ist zwar das Kürzen der Ringelschwänze verboten, aber das Grundproblem ist natürlich, dass sie ihr ganzes Leben bei zu wenig Platz auf Betonböden verbringen müssen.

Es gibt in Schweden ein Limit von 8 Stunden bei Tiertransporten. Wir haben allerdings herausgefunden, dass die Transporteure mit ein paar Tricks um das Gesetz herumkommen können. Schweden exportiert außerdem lebende Tiere. Das ist etwas, das wir überhaupt nicht tun sollten.

Wie in vielen anderen Ländern gibt es auch hier so etwas wie einen »Fleischnationalismus«: Viele Menschen denken, es sei unproblematisch, Fleisch aus dem eigenen Land zu essen. Dabei sind die Probleme überall ähnlich.

Wir haben vor einigen Jahren einen Überblick über die Gesetzgebung in mehreren Ländern zusammengestellt. Das Ergebnis: Es gibt viele Länder, die strengere Tierschutzregularien haben als Schweden (das Dokument steht hier auf Englisch zum Download bereit). Wie ich schon sagte, werden Hennen in Schweden immer noch in Käfigen gehalten; das ist in Österreich verboten. In Deutschland habt ihr eine strengere Verordnung für Pelzfarmen. Obwohl diese Verordnung noch nicht eingehalten wird, seid ihr immerhin schon weiter als Schweden. Pelzfarmen sind außerdem in manchen Ländern verboten, zum Beispiel in England und Österreich.

Hat sich in Schweden der Konsum von Fleisch, Eiern und Milch in den letzten Jahren verändert?

Wir können hier eine positive Entwicklung feststellen. Allerdings ist der Fleisch-, Eier- und Milchkonsum nach wie vor hoch. Die Alternativen, Hafermilch zum Beispiel, werden aber immer beliebter. Was Eier aus Käfighaltung betrifft, so zeigt sich, dass nur 1 Prozent der Konsumenten diese wirklich wollen. In diesem Sommer hat sich ein großes Musikfestival in Schweden dazu entschlossen, überhaupt keine Milch mehr zu verkaufen. Vorher war das Festival bereits fleischfrei.

Informationen zum Siegeszug der pflanzlichen Milch in Schweden findet man hier (auf Englisch).

Bitte beschreib uns, wie das vegane Leben in Schweden aussieht. Gibt es viele vegane Restaurants und Shops? Wird der vegane Lebensstil von der Gesellschaft akzeptiert?

Der vegane Lebensstil ist in Stockholm und auf dem Land im südlichsten Teil Schwedens am häufigsten anzutreffen. Dort sind auch die meisten veganen Restaurants und Shops. In den Medien wird der vegane Lebensstil als »Trend« beschrieben, aber ich denke, er ist viel mehr: Eine Veränderung, die bleiben wird.

Camilla Björkbom, vielen Dank für das Interview!

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